Donnerstagstalk
Bio zwischen Retortenfleisch und undurchsichtigen Handelsstrukturen
Neunter Donnerstag-Talk im bioPress Square & Fair Table, jede Woche ab 15 Uhr
Ist künstliches Fleisch eine gute Möglichkeit, um viele Menschen ohne Tierleid zu versorgen? Können Bio-Bauern klimafreundliche Alternativen bieten? Und welches Bio ist besser – das bei denn’s oder das bei Aldi? Der gestrige Donnerstag-Talk spannte einen weiten Bogen von der zellulären Landwirtschaft bis hin zu den Handelsstrukturen im Bio-Bereich.
Fleisch aus der Retorte ist im Aufwind. Heute ist es kein Problem mehr, im Labor aus (schmerzfrei entnommenen) Rinderzellen Fleisch wachsen zu lassen. In puncto Geschmack und Konsistenz werden stetig Fortschritte erzielt. Und auch die industrielle und wirtschaftlich rentable Produktion ist mittlerweile in greifbare Nähe gerückt.
Britische Forscher brüsten sich damit, dass sie für die Aufzucht von Retortenfleisch die Struktur von Grashalmen als Gerüst verwenden. Das sei überraschend einfach und preiswert und bedeute, dass der Zwischenschritt der Energieumwandlung durch die Kuh entfällt. Während eine Litauer Firma einen 3D-Drucker mit gefriergetrockneten Bio-Rohstoffen füttert und ihn dann per Knopfdruck Lebensmittel herstellen lässt, bestückt ein spanisches Unternehmen den 3D-Drucker mit Zellkulturen und möchte so die Produktion von künstlichen Koteletts in Fließbandgeschwindigkeit ermöglichen.
„Ist die Natur für die Lebensmittelproduktion bald gar nicht mehr nötig?“, fragte bioPress-Herausgeber Erich Margrander angesichts dieser Entwicklungen. Für ihn ist die Antwort ein klares „Doch!“ Denn wie die Einnahme von Vitamin C-Pillen nicht das Essen eines Apfels ersetzen könne, so komme auch künstliches Fleisch nicht an natürliches heran. Vitalität brauche die Natur, wie sie der Mensch in der Evolution kennengelernt und der Körper sie geübt habe.
„Wenn vegan, dann auch Bio!“
Was passieren kann, wenn man sich bei Lebensmitteln von der Natur entfernt, zeige auch das Beispiel der USA. Schon zu Obama-Zeiten hat die Lobby der Industrie es hier geschafft, Bio für sich zu okkupieren: Auf mit Herbiziden totgespritztem Boden dürfen Produzenten eine Plastikfolie spannen, auf der sie dann mittels Hydroponik als Bio zertifizierte Pflanzen züchten. Dass das reichlich abstrus ist, zeigen die echten Bio-Bauern mit ihrer Gegenbewegung, die sich im Real Organic Project zusammengeschlossen hat und Zulauf von immer mehr Landwirten bekommt. Gesunde Böden seien Teil der Grundsätze von Bio und elementar, um gesunde Lebensmittel zu produzieren, so ihre Auffassung.
Während ProVeg, die sich als Vertreter der Veganer- und Vegetarier gibt, nun, nach Fleischersatzprodukten, auch die zelluläre Landwirtschaft propagiert und die weltgrößte Lebensmittelmesse Anuga den Trend unter dem Motto ‚Transform‘ zelebriert, gilt für Margrander „wenn vegan, dann auch Bio!“
Es sei doch ein Wunder, wie eine Kuh nur Gras fressen müsse, um anschließend auf natürliche Weise Milch und Fleisch zu liefern. „Aber wir haben diese Fähigkeit missbraucht“, bedauert Margrander. Durch Massentierhaltung und Sojafutter aus Brasilien sei Fleisch heute zum Klimakiller geworden. Dass es auch anders gehe, zeige etwa das Schweinefleisch der BESH, dessen CO2-Fußabdruck durch die Fütterung von regionalem Bio-Soja um fast 50 Prozent kleiner ist als der von herkömmlichem Schweinefleisch. Auch Rinder aus Weidehaltung gäben zwar im Winter etwas weniger Milch, verursachten dafür aber auch deutlich weniger Treibhausgase. Klimafreundliches Fleisch herzustellen ist mit Hilfe des Ökolandbaus also durchaus möglich.
Dennoch investiere die deutsche Regierung lieber in die Digitalisierung der Landwirtschaft als in Bio. 60 Millionen Euro seien erst kürzlich dafür bewilligt worden. „So viel hat Bio noch nie bekommen!“, empörte sich Margrander. Dabei werde es von immer mehr Menschen gewollt – nicht zuletzt seit der Corona-Pandemie. Vor 20 Jahren hätten erst rund 30 Prozent den Ökolandbau befürwortet – heute seien es über 90 Prozent.
Hoher Preis gleich faire Löhne?
Dass viele trotz des guten Willens noch von den hohen Preisen von Bio-Produkten abgeschreckt würden, brachte Teilnehmerin Sandra Ganzenmüller, Leiterin der Agentur kommunikation.pur, ins Gespräch ein. Die hohen Preise seien aber kein Muss, meinte dazu Erich Margrander. Die Bioläden behaupteten zwar, höhere Preise verlangen zu müssen, um die Bauern fairer bezahlen zu können – „aber wenn das wirklich so wäre, gäbe es bereits viel mehr Bio-Bauern!“ Bio-Experten sähen viel vom Preis auf dem Weg zum Bauern versickern.
Aldi zahle für seine Bio-Einkäufe nicht selten sogar mehr als die Fachhändler und gebe Kostenvorteile in der Logistik an die Kunden weiter, was zu günstigeren Preise führe. Anders als denn’s oder Alnatura gäben die Handelsketten Rewe und Aldi immer auch den Produzenten auf dem Produkt an und schafften damit Transparenz. Und mit jeweils über einer Milliarde Umsatz hätten denn’s und Alnatura bereits zentralistische Strukturen wie Aldi oder Rewe mit ähnlichen Auswirkungen. „Die hohen ethischen Ansprüche spiegeln sich nicht immer im eigenen Verhalten wieder“, stellte Margrander fest.
„Ich hätte aber trotzdem lieber mehr dennree- als Aldi-Märkte“, meinte Sandra Ganzenmüller. Margrander ist da nicht so sicher. Das halb so teure Bio-Hähnchen bei Aldi müsse keine schlechtere Qualität haben – der Discounter habe einfach andere Strukturen. Er habe weniger Zwischenhändler und viel Direktgeschäft. Vor ein paar Jahren hätten die Südtiroler Bio-Bauern ihre Äpfel an Aldi statt an dennree verkauft. Der Discounter habe den Bauern zehn Cent mehr gezahlt und 20 Mal mehr abgeholt. Und dennoch konnte er die Ware für 50 Cent weniger als der Bio-Handel anbieten.
„Aldi hat zwar einen schlechteren Ruf, zahlt aber eigentlich höhere Löhne“, schlussfolgerte Margrander. Auch sein Bio-Angebot sei besser als das vom Vollsortimenter Rewe. „Es ist mir lieber, wenn Bio eine breitere Basis geboten wird, als zuzuschauen, wie Bioläden mit teuren Strukturen hohe Biopreise vorgeben, von denen dann Rewe mit gleich hoher Preispolitik profitiert.“ Bezahlbares Bio sei doch ein erstrebenswertes Ziel.
Lena Renner