Kongress
Große Politik und kleine Strukturen
Branchen-Diskussion auf Schloss Kirchberg live und digital

Bei den III. Öko-Marketingtagen auf Schloss Kirchberg standen der Green Deal und GAP-Kompromiss im Zentrum. Wenn es um die Lösungen der Bio-Branche als Taktgeber des nachhaltigen Wandels ging, dann wandte sich der Blick ins Kleinteilige. Denn vor allem in optimalen Unternehmensgrößen, in regionalen Strukturen, kurzen Wertschöpfungsketten und Eigenverantwortung bei allen Beteiligten sahen Bio-Vertreter die Lösung für viele Probleme.
Der Corona-Krise geschuldet hat die Akademie Schloss Kirchberg den Rittersaal ins TV-Studio verwandelt und die III. Öko-Marketingtage weitgehend ins Netz verlagert. Die Moderatoren und einige wenige Vertreter der Branche waren vor Ort. Mehr als 450 Teilnehmende verfolgten die Beiträge per Livestream und konnten im Chat auch direkt Fragen stellen.
Das neue Format habe seine Stärken, etwa den schnellen, direkten Austausch des Publikums mit den Referierenden. Viel beschäftigte Experten ließen sich zudem gerne, statt eine lange Anreise auf sich zu nehmen, für eine Stunde vor den Computer verpflichten. Darauf wies Gastgeber Rudolf Bühler, Vorsitzender der Stiftung Haus der Bauern, in der Begrüßung hin: „Eine Online-Konferenz erlaubt auch einen weiteren Kreis an Teilnehmenden.“
© Akademie Schloss Kirchberg
Dann kam er aber direkt zu den politischen Entwicklungen der letzten Zeit, die die Bio-Branche gerade besonders betreffen: „Fast hätte man glauben können, die große Politik hat begriffen, um was es geht. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuß.“
Die Biobranche fasse den Green Deal als Weg zu einer nachhaltigen grünen Gesamtökonomie auf – und ist selbst bereit, als Taktgeber dieses Wandels zu dienen, betonte Bühler. Dies bestätigte später Jan Plagge, Vorstand Bioland und IFOAM Europe, noch einmal wörtlich und diese Einstellung vereinigte deutlich alle Teilnehmer des Kongresses.
Kritik am GAP-Kompromiss des EU-Agrarrats
Doch der gerade erfolgte Kompromiss der EU-Agrarministerkonferenz für die neuen Leitlinien für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der nächsten sechs Jahre fiel nicht entsprechend den großen Hoffnungen aus.
Wolfgang Burtscher, Generaldirektor Generaldirektion Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung (AGRI), der als Vertreter der Europäischen Kommission zugeschaltet war, musste viel Kritik abwehren. Er wurde auch damit konfrontiert, dass Frans Timmermans, der für die Umsetzung des Green Deal zuständige exekutive EU-Vizepräsident, parallel zum zweiten Tag des Kongresses ebenfalls seine Enttäuschung in einem Interview mit der ARD formulierte.
Auch Timmermans kritisierte, dass der Rat und das Europäische Parlament nicht mehr Ambitionen gezeigt hätten und an einer nicht nachhaltigen Agrarpolitik festhalten würden. Auf Fragen dazu aus dem Online-Chat wich Burtscher größtenteils aus. Er sei überzeugt, der Rechtsrahmen sei grundsätzlich in der Lage, die Zielsetzungen des Green Deal umzusetzen. Der EU-Generaldirektor wies darauf hin, dass die Agrarpolitik auch die Lebensmittelsicherheit gewährleisten müsse.
Ernährungsverhalten als zentraler Punkt
Zur Frage, ob ökologische Methoden in der Landwirtschaft und tiergerechte Produktion genügend Lebensmittel zur Verfügung stellen könnten, hatte sich schon Alexander Beck geäußert, Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller. Die Erträge würden zwar geringer werden, doch für die Ernährung der EU-Bürger ausreichen – wenn die Ernährungsgewohnheiten sich hin zu mehr pflanzlichen Lebensmitteln ändern und die Lebensmittelverschwendung absinke. Ernährungsstil und -verhalten seien zentral, weil sie den Umbau der Landwirtschaft so erst ermöglichen – und gleichzeitig ungesunde Ernährung, enorme gesellschaftliche Kosten und individuelles Leid verursachten.
Konkrete Maßnahmen und Innovation gebe es wenig, meist nur alte Themen wie Kennzeichnungsregeln usw. Besonders ärgerte es ihn, dass alles wieder einmal auf freiwillige Zugeständnisse hinausliefe.
Vergessen würden auch die Gestaltungsmöglichkeiten der Verarbeiter und Händler zu Ernährungsumgebungen. Die Realität des Lebensmittelmarktes sei geprägt durch eine einseitige Marktmacht großer Einzelhandelskonzerne.
Handel neu gedacht?
Doch wie kann Handel auf verschiedenen Ebenen neu gedacht werden? Dazu kamen ein Online-Unternehmen, eine Genossenschaft und ein Vertreter der Big Four des LEH zu Wort.
Das Start-Up Pielers stellte sich vor, ein neuer Online-Marktplatz für die Direktvermarktung nachhaltiger Lebensmittel. Im Angebot sind wenige Bio-Produkte, der Schwerpunkt liegt auf selbstgesetzten Qualitätsregeln. Hier können Kunden Produkte direkt vom Erzeuger zu sich nach Hause bestellen. Der Versand erfolgt deutschlandweit per Post. Angesprochen werden die Kunden vor allem über Social Media Plattformen.
Die im Lübecker Land angesiedelte Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft Landwege hat inzwischen über 1.000 Mitglieder und betreibt zwei Bio-Märkte. Ihre Geschäftsführerin Tina Andres beschreibt sie als ökologisches Modell echter gelebter Regionalität.
Der Vertreter der Edeka, der Bereichsleiter für Bioprodukte Robert Poschacher, sah in seinem Konzern die selbstständigen Kaufleute als Herzstück bei der Brücke zum Verbraucher, sie ständen für Ehrlichkeit und Authentizität.
Jan Plagge sieht ganz ausdrücklich eine Chance der selbständigen Kaufleute, über ihr Sortiment nachhaltig und gesellschaftlich zu wirken. Aus dem Chat danach gefragt, warum sich so wenig um diese Kaufleute gekümmert würde, sieht er dort Nachholbedarf. Die engagierten Kaufleute dürften nicht allein gelassen werden. Sie benötigten Investitionen, zum Beispiel beim Strukturaufbau und bei der Unterstützung kurzer Wertschöpfungsketten, gemeinsam mit Herstellern, Verarbeitern und Landwirten.
Die Ethik im Einkaufskorb vermitteln
Beim Thema Glaubwürdigkeit des Handels ging es um die Strategien, den Kunden zu erreichen. Er soll nachhaltig einkaufen und dafür, wenn nötig, mehr Geld ausgeben. Die Verbraucher sind dazu bereit, wenn Marketingkonzepte den wahren Kern treffen.
Die Vertreter von Rewe, BNN und einer regionalen Lieferkiste waren sich einig: Glaubwürdigkeit und Transparenz sind essentiell. Marcus Wewer, Referent Ökologischer Landbau der Rewe Group, nannte schon die Kennzeichnung der Hersteller auf den Rewe-Eigenmarken einen großen Schritt zur Transparenz. Ansonsten hätten viele öffentlichkeitswirksame Ökomarketing-Aktionen ausgerechnet bei Penny stattgefunden. Die letzte Aktion war die Auszeichnung von Produkten bei Penny mit ihren wahren Preisen. Sie hatte viel Aufmerksamkeit und auch Diskussionen mit den Kunden gebracht.
Der Kunde wolle wissen, was mit seinem Geld geschieht. Die Milch von Du-bist-hier-der-Chef, mit der transparenten Deklaration, wie der Preis begründet ist, komme gut beim Kunden an. Dennoch: Dass so etwas bei hauseigenen Rewe-Produkten auf der Packung, am Point-of-Sale dargestellt würde, hält Wewer für schwierig realisierbar.
Georg Neubauer von der Hamburger Blattfrisch GmbH und Gründer der regionalen Lieferkiste Liekedeeler meinte, der Discount könne vieles auch besser darstellen, da sein Sortiment begrenzter sei. Oft seien auch Kennzeichnungen pro Produkt viel zu aufwendig, etwa beim CO2-Abdruck.
Da müsse man mit übergeordneten Kategorien arbeiten, etwa mit Produktgruppen. Bei der Preisgestaltung für Bioprodukte sieht er Spielraum für den Handel. Da die Aufschläge des Handels prozentual berechnet würden, käme es bei einem höheren Anfangspreis, der für Bio-Produkte angemessen sei, zu einer „Preisspirale“. Diese könne durchbrochen werden, denn zum Beispiel die Transportkosten seien schließlich für Bio-Produkte nicht höher als für konventionelle.
Wirtschaft neu denken mit regionalen Strukturen
Handel war der eine Kongress-Teil, es ging auch um Wirtschaft allgemein neu denken. Wie regionale Wertschöpfungsketten den Strukturaufbau ganzer Regionen unterstützen können und auch neue Ideen von Partnerschaft entstehen, zeigte sich am Beispiel der Bohlsener Mühle und der Voelkel GmbH. Bio als Taktgeber des Wandels – hier stellte sich wieder die Frage, inwiefern für den Green Deal überhaupt neue Modelle erfunden werden müssen. Kurze Wertschöpfungsketten, langfristige Partnerschaften und die Einbeziehung sozialer Faktoren sind seit Anbeginn ein Kennzeichen der Bio-Branche. Diese dürfe sich auch nicht von ihren Grundwerten abbringen lassen, wenn Bio aus der Nische herauswächst. Boris Voelkel warnte davor, dass die Bio-Branche in die gleichen Probleme schlittern könne wie die Konventionellen.
Da stimmte ihm Volker Krause von der Bohlsener Mühle zu. Bio-Produkte herstellen könne fast jeder, ganzheitlich arbeiten aber nur wenige. Verarbeitungsbetriebe seien nicht nur „Durchlauferhitzer für Bio-Rohstoffe“, sie müssten soziokulturelle Multiplikatoren sein. Dabei sieht er den Mittelstand als innovativer an als große Strukturen. Eine Einschätzung, die er mit vielen Vertretern der Bio-Branche teilt. Auch Georg Neubauer, der Geschäftsführer der Hamburger Blattfrisch GmbH, sah in kleineren Strukturen einen Innovationsvorteil und auch einen Vorteil für die Realisierung nachhaltiger Ideen.
Insgesamt kritisiert wurde die häufig klobige Logistik – es ist der Bio-Großhandel gemeint – der authentischen Verarbeiter. Hier könne durch Verbesserung Geld für die Landwirtschaft freigespielt werden, wenn die LKWs auf ihrem Weg auch bei Kaufleuten auslieferten.
Außerdem seien nachhaltige Prinzipien leicht machbar, wenn die vielseitigen authentischen Bio-Herstellermarken einen Platz im Regal hätten. Zustimmung von Hubert Heigl, Präsident von Naturland, der gegen Bio-Eigenmarken mit möglichst günstigen Rohwaren plädiert. Er wies auch darauf hin, dass Regionalität in allen Regionen der Welt zuhause sei und betonte die Wichtigkeit eines effektiven Lieferkettengesetzes.
Außer-Haus-Verpflegung als Hebel für Bio
Dass es für einen größeren Anteil an ökologischem Landbau auch einen größeren Markt geben müsste, darauf wurde in vielen Diskussionen hingewiesen. Martin Hahn, der Vorsitzende des Ausschusses für ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg hob in seiner Einführung hervor, dass in der Außer-Haus-Verpflegung die großen Märkte lägen, die politisch begleitbar seien.
Hier gäbe es viel zu tun. Carola Strassner, Professorin für nachhaltige Ernährungssysteme an der FH Münster gab einen Überblick über die derzeitige Situation in der AHV. Es werde hier immer noch deutlich weniger Bio als im Einzelhandel umgesetzt. Viel Luft nach oben also – wenn der Wille da ist.
Elke Reinecke