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Welchen Bezug haben wir zum Lebensmittel?

Qualität als Kulturprozess: Dr. Alexander Beck

Die Qualitätsfrage ist zentral für die ökologische Bewegung. Die neue ‚Bio‘-Bewegung entlehnt ihre Legitimation sehr stark der Beobachtung negativer Auswirkungen der modernen Agrar- und Ernährungswirtschaft. Dieses Erbe pflegen wir intensiv, indem nach wie vor die Negation in der Kommunikation unserer Branche eine zentrale Rolle spielt. „Wir sind gut weil andere schlecht sind“, so scheint das Credo. Dazu gehören Formulierungen wie ‚ohne Gentechnik‘, ‚ohne Nano‘, ‚ohne Rückstände‘, ‚ohne Agrarindustrie‘ usw. 

Ein anderes Erbe kommt aus der Lebensreformbewegung. Dort war das zentrale Thema die Rückkopplung des Menschen als Naturwesen zur Natur. Dieses naturalistische Konzept findet seinen schönsten Ausdruck in dem Satz von Werner Kollath: „Lasst unsere Nahrung so natürlich wie möglich“  oder auch von Karl Scharrer: „gesunder Boden, gesunde Pflanze, gesundes Tier, gesunder Mensch“. Was wir aktuell erfahren scheint jedoch eine Entkoppelung des Menschen von der Natur zu sein. Daraus folgen Essstörungen und falsche Vorstellungen eines ‚sicheren‘ Lebensmittels, das scheinbar nur sicher sein kann, wenn es vollkommen vom Menschen kontrolliert im Labor hergestellt wird. Der Mensch hat sich aus der Natur und die Natur die er selbst ist, herausgedacht. 

Der Verarbeiter als Mittler von Natur und Kultur

Interessanterweise ist jedoch gerade die Ernährung physisch gesehen die intensivste Interaktion des Menschen mit der Natur. Der Mensch nimmt in seinem Leben viele Tonnen Lebensmittel in sich auf – in jedem Jahr ein Vielfaches seines eigenen Gewichtes. Gerade Rudolf Steiner hat darauf hingewiesen, dass die Qualitätsfrage eine Beziehungsfrage ist. Welche Beziehung hat der Esser zu dem Lebensmittel, das er konsumiert? Was braucht der individuelle Esser - wie wirkt das Lebensmittel? Steiner hat damit konsequent das Qualitätsthema vom Objekt, nämlich dem Lebensmittel, gelöst und zwischen Esser und Lebensmittel gestellt.

Es ist wichtig zu begreifen, dass es bei der Verarbeitung von Lebensmitteln um die Vermittlung geht zwischen landwirtschaftlicher Produktion, die stark an Naturprozesse gebunden ist, und der Ernährung, die heute ganz überwiegend ein Kulturprozess ist. Dieser Transferprozess muss durchdrungen und bewusst gestaltet werden. Die Herrichtung, Verarbeitung und Gestaltung der Lebensmittel ist wichtiger Bestandteil des Kulturprozesses. Eine rein naturalistische Betrachtung der Ernährung hilft nicht weiter – wenn ich z.B. einer Frau Pralinen schenke, ist es nicht meine Absicht, ihr Fett, Zucker und noch ein paar andere, aus ernährungswissenschaftlicher Sicht eher unbedeutende Inhaltsstoffe zuzumuten. Es geht um Hinwendung, Respekt oder vielleicht Liebe. 

Die entscheidende Frage, die man stellen muss, ist: Wie wird gestaltet? Die Gestaltung des Geschmacks, der Geruch und das Aussehen aber auch die Einbettung in soziokulturelle Prozesse sind zentrale Elemente der Interaktion des Essers mit dem Lebensmittel. Diese Eigenschaften definieren die Beziehungsqualität zwischen Esser und Lebensmittel. Leitet das ‚verkünstelte‘ Lebensmittel den Esser in die falsche Richtung, wird es in der Konsequenz zu Ernährungsproblemen führen.

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