TTIP
TTIP - Bedrohung für die Ernährungswirtschaft?
Hohe Standards als gemeinsame Zielsetzung und Forderung
Am jährlichen Schweizer eco.naturkongress 2016 (27. Mai) in Basel trafen sich die Nachhaltigkeitsexperten zu einer Leistungsschau der besten Ideen und Lösungen. Dieses Jahr stand die Thematik ‚Welternährung und die Schweiz‘ im Zentrum. Top Speaker aus den Bereichen Produktion, Handel und Verarbeitung traten auf und diskutierten über Bio, Gentech, fairen und freien Handel und unsere Konsumgewohnheiten.
Der von Slow Food Schweiz organisierte Workshop gab eine aktuelle Übersicht zu den Verhandlungen zu TTIP, der ‚Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft‘ zwischen den USA und der EU. Im Fokus der Diskussion standen die Auswirkungen auf die Ernährungswirtschaft. Josef Zisyadis, Co-Präsident Slow Food Schweiz und Alt-Nationalrat (Schweizer Parlament), zeigte zu Beginn der Veranstaltung auf, weshalb Slow Food Schweiz gerade TTIP und weitere Agrarabkommen als politischen Schwerpunkt setzt: „Es geht darum, das Recht auf Selbstbestimmung, Qualität und Genuss für die menschliche Ernährung zu verteidigen. Dazu braucht es die richtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen, und zwar weltweit.“
TTIP auch für Nestlé eine Black Box – und gar nicht so wichtig
Karen Cooper von der Abteilung ‚Nutrition and Sustainablity‘ bei Nestlé erinnerte daran, dass der Weltkonzern dieses Jahr vor 150 Jahren in der Schweiz gegründet wurde – übrigens von einem Deutschen.
„Nestlé hat derzeit keine Position zu TTIP”, stellte Karen Cooper auf Nachfrage klar und ergänzte: „weil auch wir keine konkreten Informationen dazu vorliegen haben!” Zudem sei für Nestlé das Marktpotential zwischen EU-USA gar nicht so interessant.” Den US-Markt versorgt Nestlé in erster Linie selbst mit Produkten aus der US-Landwirtschaft.
Wieso ist TTIP viel umstrittener als andere Agrarabkommen?
Harald Ebner, Mitglied des deutschen Bundestags (Grüne), hatte als einer der wenigen politischen Vertreter Einsicht in die TTIP-Entwürfe im vielzitierten „geheimen Leseraum“. Er bestätigte den aus Medien bekannten Eindruck von sehr intransparenten Verhandlungsabläufen. „Die TTIP-Leaks strafen alle Beteuerungen Lügen, dass TTIP am Umwelt- und Verbraucherschutzniveau nichts ändern würde. Aussagen von US-Vertretern lassen kaum Zweifel daran, dass es ohne Marktöffnung der EU für Gentechnik keine US-Zustimmung geben wird“, bestätigte Ebner eine der wichtigsten Befürchtungen.
Anders als bei Agrarabkommen ist die Landwirtschaft bei TTIP nur einer von vielen Bereichen. Der Agrarbereich droht darin zur reinen Verhandlungsmasse für andere Sektoren zu verkommen. Die US-Agrarlobby macht starken Druck, dass sie TTIP blockieren will, wenn nicht genügend Zugeständnisse in ihrem Sinne erreicht werden. Dass deutsche Bauern mehrheitlich zu den TTIP-Verlierern zählen würden, hat die Bundesregierung selbst eingeräumt.
TTIP ist für die qualitätsorientierte Land- und Lebensmittelwirtschaft keine Chance, sondern eine Gefahr. Die Europäer und vor allem Deutschland versprechen sich von TTIP vor allem Vorteile für die Autoindustrie, etwa durch einheitliche Normen. Es kann aber nicht angehen, dass wir unsere kleinstrukturierte bäuerliche Landwirtschaft mit all ihren Vorteilen für Umwelt und Verbraucher opfern im Tausch gegen Zugeständnisse für die europäische Automobilindustrie.
Berechtigte TTIP-Bedenken
TTIP stellt das europäische Vorsorgeprinzip in Frage, nach dem beispielsweise ein Produkt nicht zugelassen wird, solange Zweifel an seiner Sicherheit bestehen. In den USA funktioniert es genau andersherum: dort wird erst einmal zugelassen, solange keine eindeutigen Beweise für die Schädlichkeit vorliegen. Dafür müssen Hersteller im Schadensfall im Nachhinein hohen Schadenersatz zahlen. Diese beiden Prinzipien unterscheiden sich so grundsätzlich, dass ein Kompromiss nicht möglich ist.
Harald Ebner listet einige gravierende Kritikpunkte auf: „Die deutsche Bundesregierung hat in einer Antwort auf meine kleine Anfrage indirekt eingeräumt, dass eine Verteidigung aller EU-Standards unrealistisch ist. Ein ganz konkreter Beleg für die Standardverschlechterung ist die grundsätzliche Bereitschaft der EU, deutlich höhere Rückstandshöchstgrenzwerte für Pestizide in Lebensmitteln zu akzeptieren.“
TTIP würde voraussichtlich auch die Kennzeichnung von Gentech-Lebensmitteln erschweren. Ein US-Vorschlag in den kürzlich geleakten TTIP-Dokumenten greift außerdem die Nulltoleranz für Gentechnik-Verunreinigungen an. Künftige neue Regeln etwa im Umweltschutz sollen nach TTIP immer zunächst auf ihre Auswirkungen auf den Handel geprüft und hinterfragt werden.
Faire, soziale und tiergerechte Standards – weltweit
Vor rund zehn Jahren war Maya Graf, Schweizer Nationalrätin (Grüne), maßgeblich am deutlichen Abstimmungserfolg der Gentechfrei-Intitiative beteiligt. Bis heute gilt für die Schweizer Landwirtschaft ein Gentechmoratorium, mittlerweile ein wichtiger Pfeiler der Qualitätsstrategie der Schweizer Ernährungswirtschaft.
Maya Graf, selbst Biolandwirtin in der Nähe von Basel, steht dem Agrarhandel nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Ganz im Sinne der von ihrer Partei vor kurzem lancierten ‚Fair-Food-Initiative‘ verlangt sie jedoch Lebensmittel aus einer naturnahen, umwelt- und tierfreundlichen Landwirtschaft mit fairen Arbeitsbedingungen – auch für Importprodukte.
„Um dies sicherzustellen, braucht es für importierte Nahrungsmittel gleichwertige Standards,“ so Graf. Umgesetzt wird dies nicht zwingend durch starre gesetzliche Schranken, die handelspolitisch ohnehin schwierig durchsetzbar wären. „Die Fairfood-Ziele sind weitgehend durch Branchenlösungen und Leistungsvereinbarungen aller Marktpartner beim Import zu erreichen,“ konkretisierte Graf ihre Umsetzungsvorstellungen. Tatsächlich sind solche Branchenlösungen in der Schweiz gut etabliert.
Die marktdominierenden Detailhändler (LEH) Coop und Migros definieren regelmäßig Standards, etwa bezüglich Tierhaltung beim Import von Fleisch und Eiern oder Nachhaltigkeitskriterien für Agrarrohstoffe wie Palmfett und Soja.
Freihandel – aber nicht ohne Regeln
Stefan Vannoni vertrat den Schweizer Wirtschaftsdachverband economiesuisse, bei dem er die Funktion des stellvertretenden Leiters ‚Allgemeine Wirtschaftspolitik & Bildung‘ einnimmt. Mit diesem Hintergrund steht er Freihandelsabkommen selbstverständlich grundsätzlich positiv gegenüber: „Handelserleichterungen dienen den Konsumentinnen und Konsumenten. Sie führen einerseits zu günstigeren Preisen und andererseits zu einer größeren Vielfalt. Dies gilt es auch bei TTIP immer im Kopf zu behalten. Die exportierende Wirtschaft in der Schweiz hat enorme Herausforderungen zu bewältigen.“
Gemeinsamer Nenner: Rechtssicherheit, Transparenz,
Produktionsstandards
Die an der Workshop-Diskussion beteiligten Fachpersonen vertraten einen teilweise sehr unterschiedlichen persönlichen, politischen und beruflichen Hintergrund. Einigkeit herrschte dennoch in einigen zentralen Punkten: In den Verhandlungen fehlt die Respektierung des rechtlichen Rahmens in den Ländern der EU sowohl in Bezug auf die politischen Entscheidungsabläufe als auch auf die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeiten.
Die Podiumsmitwirkenden vertraten unterschiedliche Sichtweisen und Interessen der Ernährungswirtschafts- und Politik. Dies kam vor allem bei Fragen der Schweizer Landwirtschaftspolitik zum Ausdruck. Der gemeinsame Nenner aller Einschätzungen und Statements war daher umso klarer und eindrücklicher: Handelsabkommen sind nur dann zu unterstützen, wenn sie nicht nur zur Marktöffnung beitragen, sondern gleichzeitig den Wettbewerb um die besten Qualitätsstandards mit etablierten Standards wie Bioproduktion, Tier-, Umwelt- oder Herkunftsschutz fördern.
Mehr Informationen:
http://www.eco.ch/ttip-bedrohung-fuer-die-schweizer-ernaehrungswirtschaft/
http://www.eco.ch/kongress/
Peter Jossi