Editorial
Editorial Ausgabe 83/April 2015, 2. Quartal
Liebe Leserin, lieber Leser!
1983 - ein junges Paar entschließt sich, in Kalifornien auf einem Hektar Acker Gemüse nach Biolandbau-Kriterien anzubauen. Die Anfänge waren schwierig. Die Beiden haben sich durchgebissen und das Unternehmen verfügt heute über eine Anbaufläche von mehr als 16.000 Hektar Bioland für Gemüse und hauptsächlich Salate. Ihre Kühltransporter fahren quer durch den Kontinent von West nach Ost und versorgen Amerika mit convenienten Bio-Salaten. Ihr Umsatz liegt umgerechnet bei 450 Millionen Euro!
Drei Highlights auf einmal: Größe der Anbaufläche, riesige Entfernung und ein für uns fast unvorstellbarer Umsatz nur für Salate. Wir berichten in dieser Ausgabe auch über das deutsche Pendant. Dort ist der Umsatz unter 4 Millionen Euro. Die Verbraucher in den Vereinigten Staaten kennen Earthbound Farm Organic, die bei Salaten für einen Bio-Marktanteil von fast 50 Prozent sorgen.
In Deutschland herrscht in Teilen der Branche die Meinung vor, dass Größe den Bio-Charakter gefährdet. Es wird auf Kleinstrukturen gesetzt. Zugegeben, die Entwicklung in der Landwirtschaft, in der Lebensmittelproduktion und im Handel hin zu immer größer hat zu immensen Fehlentwicklungen geführt. Wir stellen jedoch die Frage, ob das zwangsläufig so sein muss. Oder gibt es alternative Strukturen, die durchaus Größe zulassen? Kommt es auf die Ausdehnung an? Dann dürfte Bio nicht weiter wachsen. Oder kommt es auf die Inhalte an?
Die Biobranche akzeptiert auch Ausnahmen: Einige Groß- und Einzelhändler, vorweg Denree und Alnatura, stehen für Markt-Konzentration im Naturkostfachhandel. Parallel dazu wird vom BNN getrommelt für den Fachhandel: Die kleinen Strukturen seien Garanten für die Bio-Ideale. Obwohl im BNN-Vorstand Menschen sitzen, deren Ziel ein ordentliches Wachstum ist. Es scheint ein Widerspruch ohne Ende. Fakt ist, wo Umsatzkonzentration stattfindet, wird Bio nach Außen hin deutlicher sichtbar. Und - so der Eindruck - bezahlbar. Bio-Salate in Amerika kosten rund 20 Prozent mehr als konventionelle.
Schauen wir in die Schweiz auf die Coop. Ein weiteres Highlight: Eine Milliarde Bio-Umsatz! Auch dort wurde früh die Entscheidung für Bio getroffen, um so zu mehr Nachhaltigkeit zu kommen. Der größte Bio-Einzelhändler - vielleicht der Welt - ist in der konventionellen Handelsstruktur entstanden! Ist das anachronistisch oder eine Folge von einfach anderen Entscheidungen? Im Ergebnis zählt das Zeugnis, dass Schwimmen gegen den Strom nicht einfach ist, aber machbar. Die Manager der Coop arbeiten gemeinsam an ihrer Vision und kommen so Stück für Stück zu mehr Bodenerhalt, besserem Tierwohl und gerechteren Produktions- und Handelsstrukturen.
Alles Wünsche, die auch auf der Agenda der Biobranche stehen. Es gibt intern ein Bewusstsein für das gesündere Lebensmittel. Das wird jedoch nicht aktiv nach außen getragen, es wird einfach umgesetzt. Man sei schließlich ein Lebensmittelhandel und keine Apotheke. Die Stärke liegt im Engagement für das Ganze und bei zehn Prozent Bioanteil müssen die anderen 90 Prozent auch noch bewältigt werden. Möglicherweise mit dem Ziel, immer mehr davon zu konvertieren?
Die Handelsstruktur in Deutschland ist anders gestrickt. Es gibt wesentlich mehr Player am Markt. Das macht eine Einigung auf ein gemeinsames Ziel schwierig. Man sitzt nicht an einem Tisch und keiner hat die Entscheidungskompetenz über Nachhaltigkeitsstrukturen für die anderen. Auch eine eigene Eisenbahngesellschaft wie bei der Coop steht nicht zur Verfügung.
Die meisten Vorstufen des Handels hier bei uns verfügen nur über wenig Nachhaltigkeitskompetenz. Da ist Selbsthilfe im Einzelhandel gefragt. Bioangebote - ein Bio-Vollsortiment - bilden für die Kaufleute eine glaubwürdige Gundlage. Daneben können mit eigener Anstrengung noch zusätzliche Akzente gesetzt werden, die im Wettbewerb um die Kunden hilfreich sind. Jeder tut, was er kann.
Beim Bündeln von Bioprodukten für den Handel entwickelt der Markt immer mehr interessante Anbieter. Sie überwinden die oft nur selbstgesetzten Grenzen und versorgen auch Supermarktinhaber in der Fläche mit allem, was sich die Kunden an Bioangeboten wünschen.
Erich Margrander
Herausgeber