Editorial
Editorial Ausgabe 82/Januar 2015, 1. Quartal
Liebe Leserin, lieber Leser!
Bio-Marken machen Politik. Mit zu viel Idealismus wird von der Bio-Fachhandelsbranche ein Pflänzchen gepflegt, das langsam zu verholzen droht. Mit Macht soll die Biovermarktung in den Händen des Bio-Fachhandels festgehalten werden. Lebensmittelkaufleute mit Bio im Sortiment werden diskriminiert: sie verkaufen Bio ohne Herzblut. Schlimmer noch, sie können es angeblich nicht und deren Bio ist zweifelhaft? Unbedarfte Bioverbraucher zeigen wie das wirkt, wenn sie regelmäßig fragen, ob Bio bei Rewe, Edeka, in der Drogerie oder gar beim Discounter wirklich Bio ist.
Nur der Bio-Fachhandel kann Bio richtig? Der Slogan 100 Prozent Bio drückt für den Einen 100 Prozent Bioanbau aus. Für manche Akteure im Bio-Fachhandel ist das 100 Prozent Ziel: alle Supermärkte weg und nur noch Bio-Supermärkte her. Die ein Jahrzehnt dauernde Gangart der Ausgrenzung aller Bio-Vermarkter ohne direkten Anschluss an die Branchenhierarchie bewirkt Kontraproduktives. Einige wenige geben den Ton vor, der die wahre Biowelt verkörpern soll. In Wirklichkeit ist Bio aus sich selbst heraus kraftvoll genug. Und es gibt sie doch: Die Vernunft!
Flächendeckende nachhaltige Wirtschaft geht nur bei Einbeziehung aller Handlungsebenen. Am Ende -- bei 100 Prozent -- ist kein Platz mehr für selbstbezogene Profilierungen. Wir brauchen Leuchttürme, ja, aber die sollten nicht dem Ego dienen. Wir leiden alle unter green washing. Wie steht es jedoch mit der selbstüberschätzenden Okkupation einer nachhaltigen Entwicklung mit dem Mittel der Ausgrenzung?
Die grüne Eroberung des Bundeslandwirtschaftsministeriums hat die verkappte Ernährungs-Politik von immer mehr - immer besser radikal verändert. Alle Landesministerien, egal welcher Couleur, sind dem Beispiel gefolgt und haben ihre Arbeit, ihre Verantwortung für die Lebensmittel neu justiert. Nicht mehr nur der Großbauer und seine Subventionen stehen seitdem im Mittelpunkt. Von den Ministerien kommen heute auch Programme für vitalreicheres Essen in den Kitas, Schulen, Kantinen und anderswo. Die Biolandwirtschaft steht mit auf dem Programm. Müssen die Grünen deshalb abdanken?
An die Lebensmittelvermarktung traut man sich noch nicht so recht heran. Die Handelslandschaft steckt fest in den Händen von Konzernlenkern. Mit denen will es sich keiner verscherzen. Besser mit als gegen den Strom schwimmen. Also doch keine neue Ethikperspektive?
Es scheint, als käme dieser Stillstand der Lebensplanung nicht wenigen Bio-Akteuren entgegen. Sie können auf lange Sicht ungestört schwelgen im eigenen Gutmenschentum. Das gaukelt Existenzsicherheit vor. Der Weg zu Bio für ALLE ist wegen der notwendigen ständigen Veränderungen und Anpassungen beschwerlich.
Wenn die Biobranche ihre Ziele - Boden als Lebensbasis erhalten, gesunde und vitale Pflanzen ernten, die Tierwelt lebenswert gestalten und die Menschen gesund ernähren und das alles bei fairen Bedingunge für alle Beteiligten - aufrichtig verfolgen will, muss sie immer wieder und mehr als andere über den eigenen Schatten springen.
Bio muss einsickern in alle Vertriebskanäle. Die Verbraucher sind die Bio-Zukunft! Auch wenn viele auf einem Niveau abgeholt werden müssen, das für manche weit entwickelte Glückspilze grausig erscheint. Bio muss für ALLE so zugänglich wie erschwinglich werden.
Verbände sind nicht weniger wichtig als Politik. Beide können jedoch erstarren, wenn sie grundlegende Prinzipien allein für sich beanspruchen und Vernunft nur einfordern, wo sie selbst profitieren.
Die Anbauverbände scheinen die Ausgrenzungen überwunden zu haben. Sie haben verstanden, dass Bio für ALLE nur mit allen geht. Demeter, Naturland und zuletzt auch Bioland kooperieren jetzt offen mit dem Lebensmittelhandel. Was fehlt sind Einblicke in die reale Handelswelt.
Gehen die Wege nur über die Zentralen bei Beibehaltung der herkömmlichen Strukturen? Oder gibt es alternative Zugänge zu den Kaufleuten unter Einsparung zentralistischer Zusatzkosten? Lässt sich Regionalität von Zentralen organisieren? Tragen Fairtrade-Versprechen tatsächlich bis hin zum Landarbeiter? Niemand muss sich gegen andere richten. Es gibt für alle genug zu tun. Und nur mehr Kooperationen über die eigenen Ideale hinweg schaffen zukunftsfähige Glaubwürdigkeit.
Erich Margrander
Herausgeber