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Ukraine – Perspektiven für die Bio-Zukunft sichern!

Eine Einordnung vom bioPress-Korrespondenten Peter Jossi

Ukraine – Perspektiven für die Bio-Zukunft sichern! © Organic Initiative
Organic Day in der Ukraine – Veranstaltung am 23. September 2024 in Kyiv – die Vertreter ökologischer Betriebe und Verbände waren dazu aus der gesamten Ukraine angereist.

Verlässliche Wertschöpfungspartnerschaften sind für die ukrainische Agrar- und Ernährungswirtschaft von existentieller Bedeutung. Der Biobranche kommt dabei eine zukunftsweisende Rolle zu – auch zur Sicherung der nachhaltigen Versorgungssicherheit Westeuropas.

Mehr als 1.000 Tage nach Beginn der ‚full scale invasion‘ im Februar 2022 dauert die russisch-imperialistische Aggression gegen die freiheitlich-demokratische Ukraine weiter an. Was viele schon fast wieder vergessen haben: Der russische Krieg dauert bereits zehn Jahre, seit das russische Regime auf den Erfolg der ‚Euromaidan‘- Demokratiebewegung im Winter 2013/14 mit der Besetzung der Krim und Teilen der Oblaste Donbass und Lukansk reagierte.

Für die heutige politische Einordnung ist ein weiteres Datum dringend notwendig: Am 1. Dezember 1991 unterstützten über 90 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer in einer freien Volksabstimmung den Weg in die ukrainische Unabhängigkeit. Bemerkenswert: Schon damals stimmten in allen 24 Verwaltungseinheiten (Oblasten) klare Mehrheiten für die Unabhängigkeit. Eine Grundhaltung, die sich namentlich in den Demokratiebewegungen der Jahre 2004 und 2014 seither stetig verstärkte.

Die aggressiv-militärische Reaktion seitens des russischen Regimes wurzelt in dieser Entwicklung. Mit der gleichzeitigen Unterdrückung der letzten Reste an Demokratie in der Russischen Föderation nahmen Machthaber im Kreml die Entwicklung einer offenen, demokratisch-freiheitlich verfassten Ordnung des ukrainischen Nachbarn als Bedrohung war: Denn was die ukrainische Demokratiebewegung schaffte, hätte sich als Vorbild und Ermutigung für die russische Gesellschaft auswirken können.

  • © Vitaliy Vorontsov
Vitaliy Vorontsov, Berater für ökologischen Landbau in der Ukraine, in der Plantage von ‚Nina Smirnova's Organic Nuts'N'Garden‘ in der Nähe von Kyiv (Aufnahme Mitte September 2024)

Weit über den militärischen Frontverlauf hinaus verursachen regelmäßige Drohnen- und Raketenangriffe durch die russische Armee in der gesamten Ukraine neben dem menschlichen Leid große Schäden an der zivilen und wirtschaftlichen Infrastruktur und je nach Region in unterschiedlichem Ausmaß auch in der Agrar- und Ernährungsbranche – und damit auch für die Bioproduktion entlang der ganzen Wertschöpfungs-Partnerschaften.

Jetzt nicht wegschauen – Solidarität durch Kooperation

Nach Beginn der russischen Invasion entstand europaweit eine große Solidaritätswelle mit dem ukrainischen Abwehr- und Befreiungskampf. Dies wirkte sich auch auf die Biobranche aus – mit einer erstaunlichen Kontinuität der Bio-Exporte im Jahr 2022. Was jenseits der Kriegsschlagzeilen oft übersehen wird: Die unter großem akuten Druck ausgebauten Logistik-Alternativen zum Schwarzmeer-Seeweg haben sich seither weiterentwickelt. Die Logistikpartnerschaften namentlich mit den baltischen Staaten und trotz zeitweise massiven Grenzblockaden auch mit Polen wurden massiv ausgebaut, mit modularen Kombinationen von Zug- und Schifftransport über die Ostsee und als südliche Alternative mit einer Wiederbelebung der Donau-Schifflogistik. Schon fast aus den Schlagzeilen verschwunden: Die Schwarzmeer-Route funktioniert beinahe wieder auf Vorkriegsniveau – einer der wesentlichsten militärischen Erfolge seitens der Ukraine, die sich als wirksamer erwiesen als alle diplomatischen ‚Grain Deal‘-Bemühungen.

Verlässliche Partner-schaften für Europa

Als Teil des vielfältigen und kreativen Spektrums der ukrainischen Gesellschaft und Wirtschaft erweist sich die Biobranche als erstaunlich resilient und leistungsfähig. Jedoch ist jetzt eines wichtiger denn je: verlässliche Partner entlang der Wertschöpfungskette, die die bestehenden Kooperationen weiterführen und ausbauen, wo immer möglich. Diese wortwörtliche ‚Grundhaltung‘ (Holding the ground) schafft und erhält die Perspektiven für die Zukunft.

Was viele ‚im Westen‘ noch nicht realisiert haben: Es gibt in der Ukraine nicht nur große, sondern auch sehr viele kleine innovative Bio-Landwirte und -Unternehmen, die sehr hochwertige Bioprodukte anbieten. Und: In Zeiten zunehmend unsicherer weltweiter Versorgungs- und Handelsströme wird die seit langem propagierte ‚Verkürzung der Lieferkette‘ teilweise von der Zielsetzung zur zwangsläufigen Realität. ‚Auf wen können wir uns verlassen?‘ wird zur existentiellen Frage. Oder anders gesagt: Europa wird den sprichwörtlichen Brotkorb Ukraine, ob von kleinen oder großen Betrieben, noch brauchen. Zeit, die ukrainische Agrar- und Ernährungswirtschaft als starken Partner für die nachhaltige Zukunftssicherung gezielt und strategisch einzubeziehen. Die gezielte Förderung der Bioproduktion und weiterer Nachhaltigkeits-Standards gewinnt aus dieser Gesamtsicht an existentieller Bedeutung.

Peter Jossi
 

Biofachauftritt 2025
Bitte vormerken: Die Ukraine wird auf der Biofach 2025 mit über 20 Unternehmen auf einem großen Gemeinschaftsstand in Halle 4A, Stand 625 vertreten sein. Wie im letzten Jahr wird es dazu im Rahmen des Biofach-Kongresses auch eine große Veranstaltung zum Handel mit der Ukraine geben. Sie findet statt am Mittwoch, 12.02.2025, von 14 bis 15.20 Uhr im Raum Shanghai und steht unter dem Motto ‚Ukraine's Organic Sector in the EU: Integration Process – Challenges, Opportunities and Post War Resilience‘. In der Experten Lounge im Meetingpoint BIOimSEH in Halle 7, Stand 751 folgt am Donnerstag, 13.02.2025 ab 10 Uhr ein Ukraine Talk mit Branchen-Vertretern. 
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