Verbände
Erste AöL-Partnertagung: Lebensmittelhandwerk als Garant von Nachhaltigkeit
Hersteller, Handel und Wissenschaft in der Diskussion auf Schloss Kirchberg

In welcher Art von Wirtschaftswelt kann Nachhaltigkeit bestehen? Und wie kann Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsvorteil werden? Unter diesen Leitfragen versammelte die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) am 22. und 23. Oktober Mitglieder und Handelspartner bei ihrer ersten Partnertagung in der Akademie Schloss Kirchberg. Im Zentrum des Austausches stand die Rolle mittelständischer Lebensmittelverarbeiter für resiliente Ernährungssysteme, ihre wirtschaftliche Bedrängnis und der Weg ihrer Innovationen aus der Nische.
Als „eine Art Feldversuch“ präsentierte die AöL-Geschäftsführerin Anne Baumann die Partnertagung und freute sich, dass Handelsvertreter von Edeka, Rewe, Aldi, Lidl und dennree der Einladung zur Premiere gefolgt sind. Obwohl die Veranstaltung zum ersten Mal stattfand, war der Rittersaal im Schloss Kirchberg bereits voll besetzt. Mit Blick auf Nachfolgeformate äußerte Baumann den Wunsch, dass sich noch weitere Vertreter des Naturkostfachhandels zu den Teilnehmern gesellen.
Den Eingangsimpuls zur Tagung gab Andreas Swoboda, AöL-Vorstand und Geschäftsführer von Bio Breadness, den Versammelten mit. Fokus: Resilienz als Voraussetzung von Nachhaltigkeit – und der Mittelstand als Garant für diese Resilienz. „Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet, soziale, ökologische und ökonomische Belange gegeneinander abzuwiegen und in ein vernünftiges Verhältnis zu bringen“, definierte Swoboda.
Der Ukraine-Krieg habe auch dem Westen vor Augen geführt, wie anfällig die Versorgungssicherheit in Zeiten von Konflikten ist. Für Nachhaltigkeit brauche es resiliente Systeme, die Schockwellen absorbieren können. So bildeten Kreislaufwirtschaft und Biodiversität eine Basis dafür, nicht von limitierten Ressourcen abhängig zu sein. „Vielfalt und Abwechslung schafft Robustheit!“, betonte Swoboda.
Verarbeiter im Regulierungsdschungel
Mittelständische Lebensmittelverarbeiter sind für ihn mit ihrer Verwurzelung in den Regionen, der Tradition langfristiger Partnerschaften, ihrer Rolle als Ausbilder sowie effizienten Strukturen, die gleichzeitig Raum für Flexibilität ließen, Teil eines resilienten Systems. Die vielen (gut gemeinten) neuen Verordnungen der letzten Jahre könnten allerdings zu einer strukturellen Überforderung angesichts einer kaum beherrschbaren Regelungsdichte für den Mittelstand führen. So sei etwa das Lieferkettengesetz in der Theorie nur für Großunternehmen gedacht, zwinge aber im Endeffekt auch KMUs dazu, sich abzusichern, um nicht als Folge von „Kettenverantwortung“ haftbar gemacht zu werden. Dabei lenkt zu viel Formalismus laut Swoboda davon ab, sich im eigentlichen Kerngeschäft weiterzuentwickeln und die Qualität der Produkte sicherzustellen. „Die Freiheit, unternehmerisch entscheiden zu dürfen, muss bleiben“, meint der AöL-Vorstand und wünscht sich in diesem Sinne eine „mittelstandstaugliche“ Bürokratie.
Gemäß seiner ‚Ausgleichsdefinition‘ von Nachhaltigkeit müsse auch darauf geachtet werden, dass die drei Marktpfeiler Landwirtschaft, Verarbeitung und Handel in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen und kein Glied zu dominant wird. Eine nachhaltige Wirtschaft brauche vielfältige Lieferstrukturen, langfristige Verbindlichkeit, Fairness und die Honorierung nachhaltiger Leistungen. Zusammenfassend benötige der Markt ‚Assoziatives Wirtschaften‘ – „wie es schon im Namen der AöL angelegt ist.“
Nachhaltigkeitswissenschaft für die Rettung des Handwerks
Die Frage, wie man kleine und mittlere Lebensmittelbetriebe institutionell am besten unterstützen kann, ist ein Forschungsschwerpunkt des Nachhaltigkeitswissenschaftlers Arnim Wiek, der eine Alexander von Humboldt-Professur erhalten hat und nun mit fünfjähriger Förderung an der Universität Freiburg ein Zentrum für Nachhaltige Ernährungswirtschaft aufbauen will.
Wie Swoboda attestierte Wiek der Gattung mittelständischer Verarbeiter besonders viel Potenzial für die Entwicklung nachhaltiger regionaler Wertschöpfungsketten. Sie seien besser regional vernetzt und agierten oft innovativer als große Konzerne – nur spielten sich die vielfältigen Innovationen aktuell noch hauptsächlich in Nischen ab. „Wie bringen wir die Innovationen von Pionieren aus der Nische heraus in die Breite?“, ist daher eine Kernfrage des Humboldt-Professors.
Sein Forschungsteam versucht, für die verschiedenen Nachhaltigkeitsherausforderungen von Lebensmittelverarbeitern Lösungswege zu ermitteln. So haben die Wissenschaftler etwa wirtschaftlichen Problemen von KMUs – verursacht durch die zunehmende Marktkonzentration, die Aktivitäten des Handels im Verarbeitungsbereich und problematisches Wettbewerbsverhalten von Großkonzernen – das Konzept der ‚kooperativen Kundenbindung‘ entgegengestellt.
Die Idee ist es, Kunden selbst am Unternehmen zu beteiligen, wie es etwa bereits beim Modell der Solidarischen Landwirtschaft oder bei kooperativen Lebensmittelläden geschieht. Als Beispiel für den Verarbeitungsbereich nannte Wiek das ‚Backhaus der Vielfalt‘ in Freiburg, eine gemeinschaftlich getragene Bäckerei mit einem Solawi-ähnlichen Konzept: Gegen einen monatlichen Beitrag erhalten Mitglieder wöchentlich ein Überraschungsbrot und können an Mitmachtagen selbst beim Backen dabei sein. Um Unternehmen auf dem Weg zu gemeinschaftlichen Wirtschaftsformen zu unterstützen, hat die Humboldt-Professur eine ‚Lernwerkstatt für kooperatives Wirtschaften in der Ernährungswirtschaft‘ (KoWerk) ins Leben gerufen.
Mehr Wertschätzung und moderne Arbeitsbedingungen
Als weitere Herausforderung hat sich das Forschungsteam dem allgegenwärtigen Problem des Fachkräftemangels angenommen. „Zwischen 2020 und 2023 ging die Zahl der Bäckerausbildungen um 78 Prozent zurück“, führte Wiek dem Publikum das Ausmaß vor Augen. Insgesamt blieben in Deutschland im Jahr 2023 13 Prozent der Ausbildungsplätze unbesetzt. Und während die Zahl kleiner und mittlerer Lebensmittelunternehmen jährlich zurückgeht, legen Großunternehmen weiter zu und sind inzwischen für fast 80 Prozent des Umsatzes verantwortlich.
Auch in diesem Bereich ist laut Wiek das Konzept der Mitbestimmung erfolgversprechend – dieses Mal als Mittel, um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und im Unternehmen zu halten. Wertschätzung und attraktive Arbeitsbedingungen, wie familienfreundliche Arbeitszeiten und eine angemessene Bezahlung stehen auf der Rezeptliste des Nachhaltigkeitszentrums. Als Beispiel verwies Wiek auf die neue Bäckerei ‚Till & Brot‘ in Freiburg, die der junge Brotsommelier Till Gurka gegründet hat und die unter der Woche erst um 11 öffnet, sodass morgens ein ‚normaler‘ Arbeitszeitenbeginn möglich ist. Außerdem wünscht sich der Wissenschaftler mehr duale Elemente und Programme in der Ausbildung. Wie praktische Beteiligung in einer Bildungsinstitution aussehen kann, zeigt die Fachakademie für Ernährungs- und Versorgungsmanagement an der Berufsschule B7 in Nürnberg, in der die Schüler und Studenten selbst die mit Bioland-Gold zertifizierte Mensa betreiben.
Neben der Forschung ist das Zentrum für Nachhaltige Ernährungswirtschaft auch in der wissenschaftlichen Begleitung von Innovationsmodellen tätig. In diesem Sinne lud Wiek die versammelten Bio-Verarbeiter zur Zusammenarbeit ein.
Rewe will authentische Marken
Praktiker aus der konventionellen und Bio-Branche, Verarbeitung und Handel trafen sich am zweiten Tag der Partnertagung zur Podiumsdiskussion über Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil. „Der Handel muss weg von ‚Geiz ist geil‘“, forderte in der Runde Georg Hoffmann, Nachhaltigkeitsmanager bei Ritter Sport. In der Agroforstpolitik wiederum solle wieder Leistung statt Fläche entlohnt werden. Viel Potenzial dafür, zu zeigen, was Bio-Lebensmittelhersteller im Bereich Nachhaltigkeit leisten, sieht Hoffmann in der EU-Taxonomie, nach der wirtschaftliche Investitionen festgelegten Umweltzielen nicht widersprechen dürfen. „Wir müssen dieses Schwert nutzen“, meint er.
Für authentische Marken, „die Mehrwert schaffen zu dem, was schon da ist“, sprach sich Matthias Sinn, Category Development Manager bei Rewe, aus. Und einen weiterführenden Dialog mit dem Handel wünscht sich Anne Mutter, AöL-Vorständin und Geschäftsführerin bei Holle Baby Food. Es gelte, „gemeinsam zu spüren, wo unsere Reise in Zukunft hingeht.“ Dafür will sich die AöL in Arbeitskreisen und Nachfolgeformaten der Tagung einsetzen.
Lena Renner