Handel
Vom Hof in den Markt
Landmarkt-Initiative bringt bio-regionale Frische in hessische Rewe-Märkte

Logistisch schwierig, teuer und aufwendig: Streckenlieferungen in den Supermarkt stehen viele Händler zunächst skeptisch gegenüber. Regional, frisch, vielfältig und authentisch – sind Mehrwerte, die sie ihren Kunden damit bieten können. Die Vereinigung der Hessischen Direktvermarkter (VHD e.V.) hat sich der Herausforderung gestellt. Mit ihrer Dachmarke Landmarkt beliefert sie schon seit 2005 regionale Rewe-Märkte in Hessen. Inzwischen sind 180 Landwirte – darunter 35 Bio-Erzeuger – als Direktlieferanten gelistet.
Eva-Maria Döhler-Herzing arbeitet bereits seit 2002 für die Rewe und betreut inzwischen als Regionalitätsbeauftragte sechs Gebiete in Hessen für die Rewe Mitte. Ihre Diplomarbeit hat sie über das Landmarkt-Konzept geschrieben.
Leo Gärtner hat die Vereinigung der Hessischen Direktvermarkter viele Jahre lang koordiniert und als selbstständiger Berater als Vermittler zwischen Direktvermarktern und Mitarbeitern der Rewe Mitte fungiert. Zusammen mit seiner Frau Susanne Gärtner leitet er heute den bio-vegan-Großhändler biocraft und die Unternehmensberatung Bio-Akademie.
Die VHD ist heute eng mit der Rewe verknüpft – das war allerdings nicht immer so. Der Verband, der ausschließlich Bauern als Mitglieder aufnimmt, wurde schon 1989 mit Unterstützung der hessischen Agrarverwaltung gegründet. Damals vermarkteten die beteiligten Erzeuger hauptsächlich an Marktständen und in Hofläden, vereinzelt belieferten sie auch schon die Gastronomie und den selbstständigen Einzelhandel.
Um sich von Verkäufern abzugrenzen, die sich nur den Anschein der Direktvermarktung gaben und ihre Ware in Wirklichkeit vom Großmarkt bezogen, hat der Verband Kriterien aufgestellt: von der Idealform – der Vermarktung eines selbst erzeugten und verarbeiteten Produkts durch einen landwirtschaftlichen Betrieb – zu erlaubten Abweichungen: etwa der Kooperation mit Lohnverarbeitern oder dem Zukauf von Rohstoffen. Für Betriebe, die die Definitionsvorgaben als landwirtschaftliche Direktvermarkter erfüllen, wurde 2004 die Dachmarke Landmarkt eingeführt. Alle Produkte, die das Siegel der VHD tragen, werden durch akkreditierte Kontrollstellen überwacht.
„Zu der Zeit hat die Rewe eine Exkursion zum österreichischen Kooperationspartner Sutterlüty nach Bregenz organisiert“, erzählt Leo Gärtner. Der auf Regionalität spezialisierte Einzelhändler mache heute 40 Prozent des Umsatzes mit regionalen Produkten. „Ein Rewe-Kaufmann war total begeistert von dem Konzept und sagte ‚ich will das auch haben!‘“ Er trat an die Vereinigung der Hessischen Direktvermarkter heran und 2005 wurde im Rewe-Markt in Wächtersbach östlich von Frankfurt die erste Landmarkt-Abteilung etabliert, in der rund 20 Bauern aus der Region ihre Produkte anboten.
Bio-Frische vom Hof nebenan
Heute wird Landmarkt in über 300 hessischen Rewe-Märkten verkauft. 180 Landmarkt-Lieferanten sind bei Rewe gelistet. „Von allen Rewe-Märkten in Deutschland macht die Rewe Mitte jetzt den größten Umsatz mit Bauern“, freut sich Gärtner.
35 der beteiligten Landwirte sind Bio-zertifiziert, viele davon tragen zusätzlich ein Bioland- oder Naturland-Siegel. Auf der Landmarkt-Homepage lassen sich alle Betriebe transparent nach Warengruppe und Region geordnet – und gegebenenfalls mit der entsprechenden Bio-Zertifizierung gekennzeichnet – einsehen.
Mit Blick aufs Sortiment sind die Bio-Landwirte bunt gemischt, ein Schwerpunkt liegt auf der Frische. Neben Eiern ist vor allem sehr viel Käse unter den gelieferten Produkten – nicht nur von Kuhmilch, sondern auch von Ziegen und Schafen. Es gibt Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch, etwas Wurst, Obst, Gemüse, Kartoffeln und Brot. Außerdem werden auch Getränke von Landmarkt-Erzeugern geliefert – Saft, Sekt oder Wein – und im Trockensortiment Nudeln, Honig und Marmeladen.
Streckenlieferung mit Gesicht
Die Landwirte räumen die Produkte als Streckenlieferanten selbst in die Marktregale ein. Sie bekommen auch Einblick in die Warenwirtschaft und können selbst sehen, was sie verkauft haben. Der Preis wird gemeinsam mit der Rewe festgelegt, die Gärtner als fairen Vertragspartner beschreibt. „In Bio-Supermärkten ist der Aufschlag teils doppelt so hoch wie im LEH“, meint er. Zu hohe Preisvorschläge würden von Einkäufern nur abgelehnt, wenn es wirklich schwierig sei, ein Produkt damit zu verkaufen. „Ich habe es eher erlebt, dass Landwirte zu günstige Preise genannt haben“, so Gärtner. Wer bisher vor allem im Hofladen verkauft hat, habe die zusätzlichen Logistikkosten vielleicht noch nicht ausreichend einkalkuliert. Die VHD biete eine Preisberatung an, damit es wirtschaftlich gut funktioniert.
Beliefert werden nur Rewe-Märkte in der Umgebung. „Ein Landwirt fährt nur wenige Märkte an“, erklärt Döhler-Herzing. Das bringe natürlich höhere Liefer- und Personalkosten mit sich, als es bei zentral gelisteten Produkten der Fall sei. „Dafür sind es keine No-Name-Artikel – der Erzeugerbetrieb steht immer auf dem Etikett!“
Außerdem wüssten die Kunden die regionale Herkunft wirklich zu schätzen und seien bereit, einen höheren Preis dafür zu zahlen. „Sie akzeptieren es auch, wenn die Erdbeeren alle sind – wenn sie wissen, dass die vom Landwirt nebenan kommen“, so Döhler-Herzing. Im Bio-Bereich sei die Verfügbarkeit allerdings teilweise schon etwas knapp. Landmarkt hat für die Rewe eine Erst-und Zweitlieferantenregelung, sodass ein Landwirt einspringen kann, wenn der andere nicht liefern kann.
Aus der Nachfrageperspektive stellt die Aufnahme neuer Bio-Produkte nach Ansicht der Regionalitätsbeauftragten kein Risiko dar. „Der Bedarf für Bio ist bei der Kundschaft da“, meint Döhler-Herzing. Dass Kaufleute mit einer entsprechenden Sortimentsveränderung gegen die Wand gefahren sind, habe sie noch nicht erlebt. Neue Sortimente würden ja im Vorfeld auch ausführlich durchkalkuliert.
Bio-Umstellung: Ohne Überzeugung geht es nicht
Die Gärtners ermutigen Bauern, auf Bio umzustellen. Einfach sei das aber nicht. „Die Umstellung ist ja eine große Geschichte. Teilweise bedeutet das für den Einzelnen erstmal Familienkrieg“, meint Susanne Gärtner. Gerade für Obstbauern und Winzer sei es schwierig – dabei seien gerade diese am häufigsten von Spritzmittelvergiftungen betroffen. Manche jungen Landwirte hingen noch in alten Verträgen fest, die von ihren Vorgängern für 15 oder 20 Jahre geschlossen wurden.
Leo Gärtner weist zudem auf das Problem der Umstellungsphase hin: „Sie dauert viel zu lange, um Landwirte für Bio zu begeistern!“ Mit dem Wegbereiter-Programm unterstützt die Rewe bereits künftige Naturland-Höfe in der bis zu dreijährigen Übergangszeit, in der sie schon nach Ökorichtlinien wirtschaften, aber noch kein Zertifikat vorweisen und entsprechend auch keine höheren Preise verlangen können. Ab dem zweiten Umstellungsjahr können diese Landwirte ihre Ware bei Rewe als ‚Wegbereiter‘ kennzeichnen und erhalten dafür laut Aussage des Händlers einen Aufpreis in Höhe des regulären Bio-Preises. Außerdem werden die Produkte schon neben den zertifizierten Bio-Artikeln platziert.
„Das Nulljahr, in dem ein Hof mit der Umstellung anfängt, wird allerdings noch nicht besonders bezahlt“, merkt Leo Gärtner an. „Es ist ein steiniger Weg. Ohne Überzeugung geht es nicht“, so Susanne Gärtner.
Der Weg zur Listung
Mit einer Bio-Zertifizierung alleine ist es für Landwirte, die Rewe-Märkte beliefern wollen, noch nicht getan. Notwendig sind weitere Zertifikate, die der umfangreichen Qualitätssicherung gerecht werden. „Was Dennree zulässt, lässt Rewe noch lange nicht zu“, stellt Leo Gärtner fest. Auch in diesem Punkt sei es mitunter herausfordernd, den Betrieben die Notwendigkeit zu vermitteln. „Aber Hygienevorgaben sind für den Verbraucherschutz einfach extrem wichtig“, meint der langjährige Berater. Wer sie nicht erfüllt, kann auch kein Mitglied bei Landmarkt werden. Die Gärtners sehen ihre Aufgabe darin, Übersetzer zu sein zwischen Bauern und Handel.
Auf sich alleine gestellt sind die Landwirte mit den vielen Anforderungen nicht: Sowohl Rewe als auch Landmarkt unterstützen potenzielle neue Lieferanten durch Beratung. Außerdem gibt es Seminare im Handelsrecht, um den Produzenten rechtliche Grundlagen für Vermarktungsrecht und die Handelsvorgaben zu vermitteln.
„Es braucht viel Zeit und Energie, bis ein Betrieb gelistet ist“, so Susanne Gärtner. Die Erzeuger müssten die Logistik leisten können, in ihre Produktionstechnik investieren und verlässlich sein. Die entsprechenden Investitionen lohnten sich aber auch und machten die Höfe zukunftssicher.
Win-Win für Bauern und Händler
„Wir haben wahrscheinlich schon 30 bis 40 Betriebe vor dem Aufgeben gerettet“, meint Leo Gärtner stolz. Durch die neue Absatzmöglichkeit hätten Nachfolger wieder eine wirtschaftliche Perspektive gesehen. Eine Initiative wie Landmarkt könne eine ganz neue Kommunikation zwischen Landwirten und den Mitarbeitern im Handel ermöglichen, bis hin zu Freundschaften über das Geschäftliche hinaus.
Döhler-Herzing bestätigt von Rewe-Seite den engen Kontakt: Die Gebietsmanager machten inzwischen Schulungen auf den Bauernhöfen, die sie beliefern. Und auch die Marktleiter würden die Landwirte von Landmarkt persönlich kennen. „Das schafft viel Verständnis.“
Von dem Konzept können ihrer Meinung nach alle Beteiligten profitieren: „Vorher standen ein Landwirt und ein Kaufmann im Ort zueinander in Konkurrenz. Jetzt bekommt der Bauer ein Regal im Supermarkt. Es ist eine Win-Win-Lösung.“
Lena Renner