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Fleisch

Bio-Handwerk aus Herrmannsdorf

Naturkostpionier liefert Wurstspezialitäten aus traditioneller Herstellung

Bio-Handwerk aus Herrmannsdorf © Herrmannsdorfer Landwerkstätten

Das Lebensmittelhandwerk retten und umweltgerechte Produkte für die Region herstellen: Dafür sind in den 80er Jahren die Herrmannsdorfer Landwerkstätten aus Glonn angetreten. Zum Schwerpunkt Fleisch- und Wurstverarbeitung haben sich Käse-Herstellung, Back- und Braukunst gesellt. Auch heute ist der Bio-Pionier mit 180 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 19,5 Millionen Euro missionarisch für die Handwerkskunst unterwegs. Der Vertrieb wurde vom Zentrum München auf Naturkostgeschäfte in anderen Teilen Deutschlands ausgeweitet. Seit 2024 sind Herrmannsdorfer-Produkte im qualifizierten Einzelhandel – bei tegut und ersten Edekanern – zu finden.

Bereits 40 Jahre ist es her, dass Karl Ludwig Schweisfurth den übernommenen Familienbetrieb – das große Fleischverarbeitungsunternehmen Herta mit Sitz im Ruhrgebiet – verkaufte, um sich umzuorientieren und einen Neuanfang in Oberbayern zu wagen. Er gründete die Schweisfurth Stiftung, die sich für eine artgerechte Nutztierhaltung und eine zukunftsfähige Land- und Lebensmittelwirtschaft einsetzt, und kaufte einen Hof im Glonner Ortsteil Herrmannsdorf, zwischen München und Rosenheim. 1986 wurden die Herrmannsdorfer Landwerkstätten ins Leben gerufen – mit dem Ziel, die „alte Handwerkskunst“ zurückzuholen und Fleisch und Wurst aus tier- und umweltgerechter Landwirtschaft herzustellen. Seit 2006 gibt es einen weiteren Standort in Kerschlach, westlich vom Starnberger See.

Kern des Unternehmens sind – wie der Name schon sagt – die Werkstätten, mit denen Herrmannsdorfer das Lebensmittelhandwerk hochhalten will. Und zwar in enger Kooperation mit der lokalen Landwirtschaft, sodass Konservierung, Zwischenlagerung und Transport weitestgehend entfallen können. Metzgerei, Bäckerei, Brauerei und Käserei sind in Glonn alle auf einem Gelände versammelt und werden von rund 100 Bio-Landwirten aus der Region beliefert. Dabei setzt Herrmannsdorfer nicht nur die Einhaltung des EU-Bio-Standards, sondern die Zertifizierung nach Kriterien eines Bio-Anbauverbands voraus. Die Landwerkstätten selbst sind Mitglied bei Biokreis.

Zur eigenen Landwirtschaft gehören rund 400 Ferkel und Schweine. Anfang der 90er Jahre war Herrmannsdorfer Pionier in der Bio-Schweinehaltung und setzte dabei von Beginn an in Kooperation mit der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall (BESH) auf die Zucht Schwäbisch-Hällischer Landschweine. Die alte Rasse wird seit jeher mit Piétrain- und Duroc-Ebern gekreuzt, um den Anteil an intramuskulärem Fett zu erhöhen und so das Aroma zu optimieren.

Ebenfalls Vorreiter waren die Landwerkstätten in der Haltung von Zweinutzungshühnern: Schon 2008 wurde das Landhuhn-Projekt mit einer Kreuzung der alten Rassen Les Bleues aus Frankreich und Sulmtaler aus Österreich gestartet, das 2012 mit dem Förderpreis Ökologischer Landbau ausgezeichnet wurde. Mast- und Legehennenzucht erfolgt dabei unter einer Hand: Die Hennen werden nach einer Legephase von etwa zwölf Monaten geschlachtet und als Suppenhennen verkauft, ihre Brüder nach vier bis fünf Monaten als Mastgockel. Heute hält der Lieferant rund 1.700 Zweinutzungshühner.

Hausschlachtungsgeschmack durch traditionelle Verarbeitung

Jede Woche werden in Glonn etwa 220 Tiere geschlachtet: 60 Schweine, zehn Rinder, zehn Kälber, 20 Lämmer und Schafe sowie 120  Hühner – „immer morgens um 5“, berichtet Karl Schweisfurth, der das Unternehmen in zweiter Generation leitet. Im Rinderbereich zählt Herrmannsdorfer über 30 Zulieferer, die Bio-Schweine stammen von 14 bayerischen Partnerbetrieben, darunter zum Beispiel der Biokreishof Scheitz in Andechs. Die Lieferanten halten Edelschweine, Deutsches Landschwein oder Schwäbisch-Hällische als Mutterrassen.

„In unserer Metzgerei gibt es noch echtes Handwerk“, betont der Geschäftsführer. Kern davon sei die Warmfleischverarbeitung. Sofort nach der Schlachtung – maximal vier bis fünf Stunden später – werden die Tiere direkt nebenan zerlegt, sodass der natürliche Gehalt an Phosphat ausreicht, um eine qualitativ einwandfreie Wurst herzustellen, und auf den künstlichen Zusatz von Stabilisatoren verzichtet werden kann. „Dadurch haben die Produkte auch den tollen traditionellen Hausschlachtungsgeschmack“, schwärmt Schweisfurth – natürliches Frischfleischaroma ohne Geschmacksverstärker. Bei Herrmannsdorfer komme nur halb so viel Pökelsalz wie üblich zum Einsatz und die verwendeten Gewürze würden nach eigenen Rezepturen vor Ort selbst gemischt.

Über 100 verschiedene Wurstsorten von Lyoner über Kräuterleberwurst bis hin zu italienischer Salami oder San-Daniele-Schinken, der anderthalb Jahre im eigenen Reifegewölbe hängt, haben die Landwerkstätten im Sortiment. Mit Ausnahme der Geflügelwurst stammen alle Sorten aus eigener Schlachtung. Zu zugeschnittenem Frischfleisch und Frischwurst für die Theke kommen SB-Würste fürs Kühlwarenregal.

„Inzwischen haben wir auch ein starkes Brühensortiment“, berichtet Vertriebschef Ferdinand Schwarzbauer. Die Auswahl an eingekochten Weckgläsern wie Kalbsfond, Bolognese oder Geflügelbrühe wurde in den letzten Jahren erweitert. Im Unterschied zu industriellen Produkten sei die Ware durchs Einmachen zwar pasteurisiert, nicht aber sterilisiert – „das bedeutet weniger Haltbarkeit und dafür mehr Geschmack!“, erklärt Schweisfurth. Die wertvollen Inhaltstoffe blieben erhalten. Anders als konventionelle Konserven-Artikel müssen die Gläser gekühlt aufbewahrt werden.

Handwerkskurse und Metzger-Festival

Das Metzgerhandwerk hochhalten: Dafür engagiert sich der Bio-Pionier auch außerhalb der Produktionsgeschäfts. Im Juni hat das Unternehmen das ‚1. International Butcher’s Festival‘ veranstaltet. Metzger aus aller Welt waren dazu eingeladen, den Herrmannsdorfer Hof zu besuchen und das Programm selbst mitzugestalten. So gab es Diskussionsrunden mit Gästen aus Österreich, der Schweiz, Italien und den Niederlanden, in der Handwerkstatt konnten Interessenten beim ‚Salsiccia-Wenden‘ dabei sein und die niederländische Wurstmanufaktur ‚Brandt & Levie‘ führte in die Bratwurst-Herstellung ein. Morgens wurde in der Herrmannsdorfer Metzgerei ein Schwein geschlachtet, zerlegt und zu Blutwurst weiterverarbeitet, es gab einen Wildkurs, die Verkostung von wenig geläufigen Kuriositäten und Street Food wie Kalbsbratwurst, Ochsenschnitzel oder Kesselfleisch mit Sauerkraut zum Verzehr. „Das ist für uns Marketing“, erklärt Schweisfurth. „Ein Thema wie Warmfleischverarbeitung in die Köpfe zu kriegen.“

Dauerhaft nimmt sich das Unternehmen dieser Aufklärungsarbeit mit Kursen an, die in der Handwerkstatt – der ‚Akademie für gute Lebens-Mittel‘ – angeboten werden. Brezn drehn für Kinder, Croissant oder Sauerteigbrot backen, ein Schwein zerlegen, Bratwurst herstellen, Gemüse fermentieren oder Knödel zubereiten steht auf dem Programm – und findet guten Anklang: Manche Termine sind schon zwei Monate vorher ausgebucht.

Ganztierverarbeitung steuern – durch variable Preise

Preislich rangieren Herrmannsdorfer-Produkte laut Schwarzbauer nicht weit vom gehobenen Einzelhandel entfernt. „Wir haben Artikel im Sortiment, die sich jeder leisten kann“, betont der Vertriebsleiter – neben teureren Spezialitäten für die kaufkräftigere Kundschaft.

Beispielsweise sei Herrmannsdorfer in ganz München präsent, in den verschiedenen Stadtbezirken könne aber ein ganz unterschiedliches Sortiment abgesetzt werden. So würden in Pasing und Sendling weniger Filets verkauft, dafür mehr Bäuche, Füße oder Blutwurst, oder mit Blick aufs Rindfleisch das R3-Sortiment mit höherem Sehnenanteil und viel Speck – „eigentlich das Beste!“, kommentiert Schwarzbauer. Auch ein Dauerbrenner des Lieferanten, die „leckere deutsche Haussalami“ könne relativ günstig angeboten werden. 100 Gramm liegen bei knapp drei Euro. Über die variable Angebotspolitik will Herrmannsdorfer nicht nur verschiedene Käuferschichten mit Bio versorgen, sondern auch sicherstellen, dass das ganze Tier verwertet werden kann.

Vertriebsvielfalt: Hofläden, Naturkosthändler und Filialisten

Bei der Vermarktung der Ware zeigt sich immer noch die Gründungsidee Herrmannsdorfers: in der Region für die Region produzieren – unabhängig vom Großhandel. Die Hälfte seiner Produkte setzt das Unternehmen in eigenen Geschäften in München ab: zehn Hofläden, in denen schwerpunktmäßig selbst hergestellte Artikel verkauft werden – an großen Fleisch-, Wurst-, Käse- und Back-theken mit Bedienung. In zwei Geschäften gibt es Mittagsbistros, in manchen wird zusätzlich Wein, Obst und Gemüse angeboten. In der Größenordnung rangieren die Verkaufsstätten im Bereich von 40 bis 150 Quadratmetern.

Die andere Hälfte des Absatzes geschieht in vielfältigen Kanälen: Insgesamt beliefert Herrmannsdorfer aktuell um die 160 bis 170 aktive Kunden. Darunter sind Filialisten wie VollCorner und denn’s sowie selbstständige kleine Bioläden. Das meiste werde regional in und um München vermarktet – wobei die Einzelhandelspartner durch Restaurants ergänzt werden. Dazu gebe es „kleine, feine Kontakte deutschlandweit“. So führt die ‚Fleischhandlung Berlin‘, die von einer weggezogenen Münchenerin eröffnet wurde, Ware von Herrmannsdorfer – ebenso wie der Berliner LPG Biomarkt. „Auch Füllhorn in Karlsruhe und Bruchsal gehört schon länger zu unseren Kunden“, berichtet Karl Schweisfurth.

Früher habe das Thema Fleisch in der Bio-Branche eine untergeordnete Priorität gehabt. „Es gab ein paar Pioniere mit Fleischtheken, aber für die meisten waren sie der letzte Schritt im Bio-Sortiment“, stellt der Geschäftsführer fest. Irgendwann hätten dann aber auch Bio-Märkte bemerkt, dass sie zur Abrundung des Sortiments Fleisch und Wurst anbieten müssen. Auf der Suche nach Partnern, um Fleischkompetenz aufzubauen, seien viele einzelgeführte Bioladner auf Herrmannsdorfer zugekommen.

Bio-Wachstum braucht neue Vermarktungswege

Den konventionellen Einzelhandel hat Herrmannsdorfer aus Gründen der Fachhandelstreue jahrelang als Zielgruppe nicht in Betracht gezogen. Dabei bekundet Karl Schweisfurth als Gründungsmitglied der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller (AöL) die Mission, den Ökolandbau in die Breite zu tragen und für eine erfolgreiche Vermarktung von Bio zu sorgen. Nur über die Fachgeschäfte sei es am Ende nicht gelungen, die steigende Menge an Öko-Erzeugnissen abzusetzen und eine lückenlose Versorgung sicherzustellen.

„Deutschland ist der Erfinder des Discounts – es ist sehr schwierig, sich am Lebensmittelmarkt zu behaupten“, stellt Schweisfurth fest. Angesichts dessen sei es im Grunde erstaunlich, dass sich der Bio-Fachhandel überhaupt so weit verbreiten konnte. „Aber für das Wachstum des Ökolandbaus braucht es weitere Vermarktungswege.“

Mit der basic-Übernahme durch tegut, die zu Beginn des Jahres in die Praxis umgesetzt wurde, erhielt Herrmannsdorfer als Stammlieferant bereits Einzug in den qualifizierten Einzelhandel. Als Edeka-Händler der Region auf den Hersteller zukamen, weil sie Herrmannsdorfer-Ware in ihren Märkten verkaufen wollten, erklärte sich das Unternehmen bereit zur Kooperation, sodass Fleischartikel der Landwerkstätten jetzt in drei Edekas zu finden sind. „Selbstständige Edekaner habe ich schon immer sehr bewundert“, sagt Schweisfurth. Die Genossenschaft habe ein „hervorragendes System aufgebaut – mit Kaufleuten vor Ort, die das Beste tun, um ihre Kunden zu begeistern“.

Apropos Genossenschaft: Begeistert ist der Geschäftsführer auch vom Münchener FoodHub, an dessen Gründung er selbst beteiligt war. Der Mitmach-Supermarkt, dessen Mission es ist, Qualitätslebensmittel günstiger anzubieten – für alle wird gleichberechtigt ein Aufschlag von 30 Prozent einbehalten –, entwickle sich wie hier gut. 2.500 Genossenschaftler gehören inzwischen dazu und verpflichten sich damit, jeden Monat drei Stunden im Laden mitzuarbeiten. Für alle sei das Konzept daher nicht geeignet, der Markt überzeuge aber durch sein gut sortiertes Angebot – mit viel regional und überwiegend Bio – das von engagierten Mit- gliedern aufgebaut wurde. „Vielleicht ein Vorbild für die Bio-Vermarktung der Zukunft“, meint Schweisfurth.

Lena Renner

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