Agrarwende
Reformpfad abgebrochen: Green Deal im Argen
Politik, Wissenschaft und Praxis im Online-Talk

Pestizidreduktion, Naturschutz und umweltfreundliche Landwirtschaft: In den letzten Monaten gab es zahlreiche Rückschritte in der Agrarwende, die 2019 von der EU-Kommission unter Ursula von der Leyen geplant worden war: zuletzt durch den Beschluss, die Umweltregeln der gemeinsamen Agrarpolitik aufzuweichen. Am 30. April lud die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus zum Online-Gespräch über die Zukunft des Green Deal. Als Gäste schilderten Agrarökonom Sebastian Lakner und Landwirt Ottmar Ilchmann ihre Perspektive.
Etwas Optimismus vorneweg: Wenn man alle Bereiche des Green Deals betrachtet, sieht es nicht komplett schwarz aus. „Bei Energie und Klima haben wir viel erreicht“, sagte Jutta Paulus zum Auftakt des Gesprächs. Anders sei die Lage allerdings mit Blick auf Biodiversität und Landwirtschaft zu bewerten. Das Scheitern der Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (SUR) wird begleitet von zahlreichen weiteren Gesetzesplänen, die momentan auf der Kippe stehen: allen voran das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (NRL), das man eigentlich schon in trockenen Tüchern geglaubt hatte. „Nach der Präsidentschaftswahl in der Slowakei wird es auch von dort keine Unterstützung mehr geben“, gab Paulus ein Update. Damit sich noch eine Mehrheit findet, brauche es einen größeren Mitgliedstaat, der das Gesetz befürwortet. Als weiterer Rückschlag sei momentan eine Aufweichung der Nitratrichtlinie geplant, wodurch Agrarkonzerne „noch hemmungsloser düngen“ dürften.
Die düstere Einschätzung wurde von den beiden Gesprächspartnern geteilt. „Im Bereich Landwirtschaft ist der Green Deal mausetot“, sagte Sebastian Lakner, Professor für Agrarökonomie an der Agrar- und Umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock. Nicht zuletzt mit der gerade beschlossenen GAP-Aufweichung habe aus Umweltperspektive ein Rollback um 15 Jahre stattgefunden. „Der Reformpfad wurde abgebrochen – es sieht gerade schwarz aus für die Zukunft“, meint auch Ottmar Ilchmann, Sprecher für Agrarpolitik der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).
„Die aktuelle gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP) hatte den längsten Reformprozess, den es je gab“, erklärte Lakner. Über Jahre hinweg – von 2017 bis 2021 – wurden die neuen Regelungen ausgehandelt. „Aber schon damals haben wir kritisiert: Die Pflöcke wurden nicht tief genug eingeschlagen.“ Und nun sei von den ursprünglichen Umweltvorhaben nicht mehr viel übrig.
Brachen, Grünland und Fruchtwechsel gefährdet
Wie viele NGOs und andere Wissenschaftler kritisiert Lakner vor allem die Streichung der Nummer 8 der Standards für den ‚guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand‘ (GLÖZ) – die Vorgabe, mindestens vier Prozent der Nutzfläche für nicht-produktive Zwecke zu reservieren. „Das wurde jetzt einfach vollständig aus dem Rechtstext herausgenommen.“ Dabei seien Brachen ein sehr probates Mittel für Biodiversität und hätten eine wichtige Funktion für die Bodenfruchtbarkeit.
Auch mit Blick auf die ‚flexiblere‘ Anpassung von GLÖZ 1 – dem Erhalt von Dauergrünland – sind laut Ansicht des Agrarökonoms besorgniserregende Konsequenzen möglich. Dem Grünlandumbruch zu Ackerflächen habe man damit „Tür und Tor geöffnet“.
AbL-Experte Ilchmann fügt den Wegfall der Vorgabe zum Fruchtwechsel (GLÖZ 7) als „dramatisch“ hinzu. Dabei seien Fruchtfolgen für Landwirte eigentlich traditionell eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie das Bewusstsein, dass Überdüngung nicht gut ist.
„Der Funke ist nicht übergesprungen“, meint Lakner zum Scheitern des landwirtschaftlichen Green Deals. Manche Kritikpunkte der Bauern seien verständlich gewesen, insgesamt habe man zu wenig kommuniziert und hätte mehr informieren müssen. So sei die Frage, wie man Brachen positiv ins Betriebskonzept einbindet, ein Beratungsthema. „Wenn man mit den Praktikern redet, können viele vermeintliche Hürden aus dem Weg geräumt werden.“
„Wir brauchen eine Koalition der Willigen“
Ilchmann hat auch für Grüne und NGOs Kritik übrig: Sie hätten sich von den Protesten und Forderungen überfahren lassen, anstatt entschiedenen Widerstand zu leisten. Dabei ist der Deutsche Bauernverband für Ilchmann nur ein ‚Scheinriese‘, der im Bund mit CDU bzw. Europäischer Volkspartei (EVP) zu viel Einfluss habe. Im Zuge der Agrarproteste hätten Bauernverband und Co. kommuniziert, dass die europäische Agrarpolitik eine grundsätzlich falsche Richtung eingeschlagen habe, die es wieder umzukehren gelte – mit Fokus Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität. „Genau das ist jetzt passiert“, bedauert Ilchmann. Das vermeintliche Anliegen des Bürokratieabbaus ist für ihn nur ein Vorwand. Konsense, wie sie in den letzten Jahren erzielt wurden – etwa in der Borchert-Kommission – seien nun wieder aufgekündigt worden. Die Zeichen stünden jetzt auf ‚weiter so‘, mit dem Diktat, möglichst viel zu produzieren. Als Folge würden sich auch die Preise nicht erholen. „Die Probleme verschwinden nicht, wenn man sie nicht beachtet“, warnt er. „Das wird uns noch auf die Füße fallen.“
Welche Möglichkeiten bleiben in dieser GAP-Periode noch, um Naturschutzmaßnahmen anzuregen? Das sind für Ilchmann in erster Linie die Öko-Regelungen – freiwillige Umweltauflagen, für die 25 Prozent der Gelder der 1. GAP-Säule reserviert sind. „Sie brauchen unbedingt Nachbesserung“, meint der AbL-Experte. Bisher seien sie nicht gut angenommen worden und hätten außerdem Lücken mit Blick auf Grünland und Weidehaltung. Für eine bessere Umsetzung schlägt er eine Staffelung nach Betriebsgröße vor. „Wir müssen die Öko-Regelungen sehr stark in Wert setzen und auf diese Weise Schadensbegrenzung betreiben.“
Tendenziell werde der Fördertopf für die Landwirtschaft kleiner, was fairere Erzeugerpreise und Marktbedingungen umso wichtiger mache. Mit der nationalen Umsetzung des Artikels 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) der EU will das Bundeslandwirtschaftsministerium momentan die Position von Milcherzeugern in der Wertschöpfungskette stärken. Vor der Lieferung müssten Molkereien ihnen dann ein schriftliches Abnahmeangebot machen und den Preis für mindestens 80 Prozent der voraussichtlichen Liefermenge festlegen. „Eigentlich eine Selbstverständlichkeit“, kommentiert Ilchmann. In der Realität aber bekämen Milchbauern den Preis oft erst nach der Lieferung genannt.
„Man muss den ländlichen Raum mitnehmen“, betonte Ilchmann. Das seien traditionell keine Grünen-Wähler. Es gelte, das Engagement der Landwirte zu würdigen, ihre Arbeit angemessen zu bezahlen und weiter auf sie zuzugehen. Ohne die Bauern gehe es nicht.
Einigkeit gab es unter den Referenten zudem über die Wichtigkeit der Zivilgesellschaft, in der es ein großes Bündnis aus Unterstützern der Agrarwende gebe. Sie müssten ein Gegengewicht zu rechtskonservativen Parteien bilden.
„Wir brauchen jetzt eine Koalition der Willigen“, meint Lakner. Diejenigen, die etwas verändern wollen, gelte es zu fördern – und in der Praxis seien das viel mehr, als der Deutsche Bauernverband vermuten lässt.
Lena Renner