Kongress
Nachhaltige Entwicklung mit Kooperation und Frauenpower
V. World Organic Forum versammelt internationale Bio-Gemeinschaft

Unter dem Motto ‚Localizing SDGs‘ trafen sich vom 27. bis 30. Juni 150 Teilnehmer in der Akademie Schloss Kirchberg, weiteres Publikum verfolgte die Konferenz via Livestream. Wie sich die Ziele zur nachhaltigen Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) in die Praxis überführen lassen, wie sich die Abhängigkeit von Düngemitteln umgehen lässt und wieso Bio in der DNA der SDGs verankert ist, beleuchteten hochkarätige Referenten aus Ghana, Tansania, Indien, Spanien, Italien, Norwegen oder Deutschland.
„Wir müssen die Dinge auf den Boden bringen“, sagte Rudolf Bühler, Vorsitzender der Stiftung Haus der Bauern und Gastgeber des Forums, in der Begrüßung, „die Erde in bäuerlichen Gemeinschaften ökologisch bewirtschaften, statt sie industriell zu verwirtschaften“. Für dieses Ziel wurde vor vier Jahren von den Vereinten Nationen die Erklärung für die Rechte von Kleinbauern verabschiedet. Seither hat sich das World Organic Forum als jährliches Treffen etabliert, mit dem die nachhaltigen Entwicklungsziele und der Ökolandbau weltweit vorangetrieben werden sollen. Im nächsten Schritt soll eine Online- Plattform etabliert werden, um das globale Netzwerken zu erleichtern und Kontakte zu knüpfen mit den Leuten vor Ort und ihrer Expertise.
Zu einem internationalen Netzwerk der SDG-Regionen
Mit 29 Regionen sei Kirchberg bis dato im Gespräch, berichtete Akademie-Leiter Franz-Theo Gottwald. Bis die geplante Netzwerkplattform wirklich realisiert ist, rechnet er noch mit einer Dauer von fünf Jahren. Neben der Region Hohenlohe selbst sind andere Öko-Modellregionen in Deutsch- land dabei, daneben gibt es internationale Partner in Serbien, Rumänien, Portugal, Peru, Indien, Tansania oder Ghana. Die Akademie Schloss Kirchberg soll als Plattformbetreiber für die Moderation, Dokumentation und Auswertung der Lernprozesse bei der Umsetzung der SDGs verantwortlich sein.
Bio als der bessere Landbau
Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine am 24. Februar wird die Systemfrage wieder neu gestellt. Für die Referenten des Forums ist keine intensivere Landwirtschaft, sondern mehr Ökolandbau die Lösung, um mehr Unabhängigkeit in der Lebensmittelversorgung zu erreichen: durch regionale Kreislaufwirtschaft, gesunde Böden und mehr Unabhängigkeit von Düngemitteln. Die höheren Preise für Stickstoffdünger könnte man über den Anbau von Leguminosen wie Kichererbsen oder Bohnen, durch die man Stickstoff auf natürliche Art und Weise im Boden bindet, vermeiden, erklärte Bühler. Die Bio-Landwirtschaft sei um den Faktor vier ressourceneffizienter als die konventionelle.
„Die artenreichsten Ökosysteme entstehen in der Kombination von Landwirtschaft und Umweltschutz“, betonte Jan Plagge, Präsident des internationalen Bio-Dachverbands IFOAM Organics Europe. Dafür sei es aber nötig, mit der entsprechenden Expertise in Landnutzung und Naturschutz über die Vorschriften der EU-Öko-Verordnung noch hinauszugehen.
Bio kommt in den freiwilligen Berichten der Länder zur Umsetzung der SDGs nicht vor, bemängelte Gabor Figeczky, Senior Policy Manager bei IFOAM International. Dabei trage es zur Bekämpfung des Welthungers bei (SDG 2), zur Versorgung mit sauberem (Trink-) Wasser (SDG 6), zum verantwortlichen Konsum und der verantwortlichen Produktion (SDG 12), zum Klimaschutz (SDG 13) und zur Bewahrung des Landlebens, der Biodiversität (SDG 15). „Bio hat die SDGs in seiner DNA“, fasste Figeczky zusammen.
Wirtschaftswachstum bringt Klimaschäden
Einen Exkurs, der eindringlich verdeutlichte, weshalb die baldige Agrarwende essentiell ist, unternahm Club of Rome-Ehrenpräsident Ernst Ulrich von Weizsäcker. „1,3 Milliarden Menschen leben direkt an der Meeresküste“, schilderte er. Mit 200 Millionen zu erwartenden Flüchtlingen sei der Anstieg des Meeresspiegels die größte Katastrophe in Folge des Klimawandels. Über die Korrelation von CO2-Emissionen und dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zeigte Weizsäcker, dass das Wirtschaftswachstum von Klimaschäden entkoppelt werden muss. Die Lösung liegt für ihn in einer Revolution der Effizienz und im Ausbau der Sonnenenergie. Wurden die Energiepreise in den letzten 40 Jahren billiger und billiger, so sei die Industrie jetzt angesichts der Verteuerung aufgrund des Ukrainekriegs gezwungen, sich nach effizienten Möglichkeiten der Energiegewinnung umzusehen.
Stärkung der Erzeuger vor Ort
„Wir haben mit unserer Kultur die Welt zerstört“, sagte König Osagyefuo Amoatia Ofori Panin aus Ghana. „Wir können sie retten, indem wir unsere Kultur ändern. Dazu müssen wir anerkennen, dass wir ein Teil der Natur sind.“ Die Grundlagen des Bio-Anbaus gehörten seit Jahrhunderten zum traditionellen Wissen der Landwirte in Ghana. Für 60 bis 80 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion seien Frauen verantwortlich – jedoch nicht als Eigentümer, sondern vielfach als ausgebeutete Arbeitskräfte. Bio sei elementar dafür, sie zu stärken.
Was zur Unterstützung der Erzeuger weltweit bereits in der Praxis geschieht, war Thema eines Podiums mit verschiedenen international tätigen Bio-Anbauverbänden. „Wenn man eine Frau ausbildet, bildet man eine ganze Gemeinschaft aus“, sagte Janet Maro Wostry, Geschäftsführerin von ‚Sustainable Agriculture Tanzania‘ (SAT) und Gewinnerin des Rapunzel One World Awards 2021. Mit ihrer Hilfe konnte mittlerweile ein Master in Agrarökologie etabliert werden, der von der tansanischen Regierung genehmigt wurde. Über 1.000 Leute werden jährlich im ‚Farmer Training Center‘ ausgebildet. Insgesamt arbeitet SAT mit über 27.000 Landwirten aus 150 Dörfern zusammen, die sie entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Produktion bis Vermarktung unterstützt. Nach einer externen Evaluation von 2017 konnten dadurch 97 Prozent ihre Situation verbessern.
Vom Engagement der ‚Naturland Academy‘, die bereits in 60 Ländern aktiv ist, erzählte Geschäftsführer Steffen Reese. „Wir müssen weltweit Bio-Inseln aufbauen, die dann zusammenwachsen“, so der Naturland-Chef. Das gelingt am besten über Bottom-up-Ansätze und den Fokus auf die spezifischen Kontexte vor Ort, erklärte Felix Hübner von Demeter International. „Wir sollten nicht versuchen, Standards top-down zu etablieren, sondern mit den Erzeugern zusammenarbeiten.“
Boden verbessern statt verdüngen
Geballte Frauenpower traf sich bei einem Podium zu den SDGs und regenerativer Landwirtschaft. „Localizing SDGs bedeutet, zurück zu den Wurzeln von Bio zu kommen“, meinte die indische Physikerin und Ikone der Agrarwende Vandana Shiva. „Monokulturen sind ein System, das Armut erzeugt.“ Durch Chemie in der Landwirtschaft würden 70 bis 90 Prozent der Nährstoffe im Boden zerstört. Patente auf Saatgut führten die Farmer in Verschuldung und Selbstmord. Mit einem Verlust an Sortenvielfalt gehe auch der Verlust von gutem Essen einher. „Wir sollten den Nährwert und die Qualität von Lebensmitteln messen, anstatt die Quantität“, betont Shiva.
Wie verwirtschafteter Boden wieder fruchtbar gemacht werden kann, zeigte Ana Digón, Koordinatorin der Vereinigung für regenerative Landwirtschaft in Spanien und Portugal. Viele Gebiete auf der iberischen Halbinsel seien von Wüstenbildung bedroht. Essentiell, um dem entgegenzuwirken, seien die richtig geplante Weidehaltungstechnik und intelligentes Wassermanagement nach dem ‚Keyline Design‘ (Schlüssellinienkultur).
„Warum verbessern wir nicht den Boden?“, fragte Janet Maro, angesichts von steigenden Düngerpreisen und Diskussionen über subventionierte Dünger für afrikanische Länder. Das Konzept von mehr und mehr Dünger funktioniere nicht. Stattdessen brauche es mehr Kompost und mehr Leguminosen für eine wirklich nachhaltige Entwicklung. „Kom- postieren ist Regeneration“, stimmte Vandana Shiva zu. „Machen wir uns die SDGs zu eigen und verwandeln sie in guten lebendigen Boden!“
Entwicklung statt Wachstum
Einen kritischen Blick auf die SDGs bot Christine von Weizsäcker, Biologin und Präsidentin des europäischen Netzwerks Ecoropa. Sie seien ein unfertiges Unterfangen und ein Kompromiss. Durch ihren Ursprung in vielen verschiedenen Sektoren und ihre Verteilung auf verschiedene Ministerien gebe es Widersprüche zwischen den einzelnen Zielen, die nicht miteinander abgestimmt wurden. „Die Har-monisierung bleibt unsere Aufgabe“, schlussfolgerte sie.
„Wir müssen die Verbindung zwischen den verschiedenen Problemen sehen und brauchen einen transdisziplinären Ansatz“, meinte auch Ove D. Jakobsen, Professor für Ökologische Ökonomie an der Universität Nordland in Norwegen. Nachhaltiges Wirtschaftswachstum habe keine konkrete Definition in den SDGs. Sie lieferten zwar eine gute Beschreibung der zu lösenden Probleme, aber keine Anleitung dafür, wie wir zur Lösung kommen.
Sein Vorschlag ist, das Wachstumsziel mit dem Ziel einer guten Gesellschaft zu ersetzen. Statt Wachstum gebe es dann Entwicklung, statt Wettbewerb Zusammenarbeit und anstelle von beobachtenden Konsumenten teilnehmende Bürger, die sich verantwortlich gegenüber Gesellschaft und Natur verhalten. „Wir brauchen einen viel tieferen Systemwandel, als wir ihn bisher angestoßen haben“, so Jakobsen.
Ein Beispiel für kooperatives Netzwerken mitsamt dem Ausbau von lokalen Lebensmittelmärkten sind die Bio-Bezirke, die von Salvatore Basile und Jostein Hertwig vorgestellt wurden. Nach Vorbild des ersten und größten europäischen Bio-Bezirks Cilento (Italien) gibt es mittlerweile 66 Bio-Bezirke in Europa – weltweit sind es 1.300 auf fünf Kontinenten. Als Kompetenzzentren sollen sie wichtige Vorbilder für andere Regionen werden, gemeinsamer Rahmen ist der Bottom-up-Ansatz und die Beteiligung der gesamten Gemeinschaft.
„Wir haben Impulse aus ganz verschiedenen lokalen Kontexten erlebt: starke Frauen mit der Vielfalt ihrer persönlichen Hintergründe, bäuerliche Erfolgsmodelle aus der ganzen Welt, die Möglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen und – auf Regierungsebene – den politischen Einsatz des Königs Osagyefuo aus Ghana“, fasste Organisator Frederik Schulze-Hamann den Mehrwert des V. World Organic Forums zusammen. Abschließend dankte er dem Verbundpartner IFOAM - Organics International, der auf dem Forum sein 50-jähriges Jubiläum gefeiert und den Kongress auch konzeptuell unterstützt hat.
Lena Renner