Verbände
Bio-Mehrwert muss honoriert werden
Naturland-Chef Steffen Reese im Gespräch mit bioPress
Über 140.000 landwirtschaftliche Mitglieder weltweit, ein eigenes Naturland Fair-Siegel und gleichzeitig Partnerschaften mit den Händlern Aldi und Rewe: Das sind Charakterzüge des größten internationalen Bio-Anbauverbands aus Deutschland. Der Naturland-Geschäftsführer Steffen Reese sprach mit bioPress über die jüngsten Schritte auf dem Weg zum Fairen Handel, die Notwendigkeit, mit konventionellen Strukturen zusammenarbeiten und das wachsende Bewusstsein für den Mehrwert von Bio in der Gesellschaft.
bioPress: Herr Reese, was ist die wichtigste Aufgabe von Naturland?
Steffen Reese: Unser Grundziel ist der Umweltschutz und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, verbunden mit allem, was dazugehört: von der Ökolandbau-Forschung bis hin zur Fortbildung und Öffentlichkeitsarbeit. Was uns von anderen Verbänden differenziert, ist die Thematik der Entwicklungszusammenarbeit und die Verbesserung der sozialen Verhältnisse in der Landwirtschaft, was auch in unserer Satzung verankert ist. Dafür Richtlinien aufzustellen und ihre Umsetzung zu überwachen, ist ebenfalls Aufgabe von Naturland. Die Landwirte können sich nur leisten, gesellschaftliche Mehrwerte zu erbringen, wenn diese auch in Verarbeitung, Handel und in der Gesellschaft anerkannt und finanziell honoriert werden.
bioPress: Kommt denn genug vom Bio-Mehrpreis beim Landwirt an?
Reese: Es ist eine Herausforderung zu gewährleisten, dass alle in der Wertschöpfungskette bekommen, was sie verdient haben. Insgesamt gibt es aktuell rund 265.000 Landwirte in Deutschland. Im Jahr 2000 waren es wahrscheinlich noch 460.000 und 1980 über 800.000. Alle 20 Jahre wird ihre Anzahl halbiert. Das weist ausdrücklich auf ein Ungleichgewicht in der finanziellen Honorierung hin. Der Ökolandbau ist zwar im Gegensatz dazu in den letzten Jahren gewachsen – trotzdem befindet er sich im gleichen System, mit denselben Risiken.
bioPress: Seit 2010 arbeiten Sie mit der Rewe zusammen. Wie hat sich diese Partnerschaft entwickelt?
Reese: Auch vorher gab es schon ein paar Naturland-Produkte bei Rewe, aber 2010 haben wir uns gemeinsam das Ziel gesetzt, dass möglichst alle Produkte der Rewe-Eigenmarke mit Naturland zertifiziert sein sollen. Die Zusammenarbeit war natürlich ein Prozess, in dem man sich zunächst finden musste. Immer wieder gibt es Diskussionen, in denen Naturland die Mehrwerte seiner Produkte neu darstellen muss. Der Mehrwert wird aber von den Kunden gut angenommen und zunehmend nachgefragt. Wir können von einer positiven Erfahrung sprechen.
bioPress: Und wie sieht es mit der neuen Zusammenarbeit mit Aldi aus?
Reese: Die ist noch in der Vorbereitungsphase und wird erst im nächsten Jahr konkret werden. Unser Ziel dabei ist, noch mehr Verbraucher für Bio zu gewinnen und in der Breite schneller etwas zu verändern. Die Erfahrung von unseren bisherigen Partnerschaften mit dem Handel ist, dass sie dabei helfen, den Mehrwert von Bio in der Gesellschaft zu honorieren.
Ich denke, der Handel hat erkannt, dass es nicht nur um den günstigsten Preis geht, sondern auch um die beste Nachhaltigkeit. Zumindest werden die eigenen Nachhaltigkeitsbestrebungen sehr eifrig kommuniziert. Handelsunternehmen sind dabei teils schon weiter gegangen, als die Politik sich getraut hat – zum Beispiel beim Vorhaben der Discounter, nur noch Fleisch aus den höheren Tierhaltungsstufen zu verkaufen.
In der Politik basieren immer noch zu viele Übereinkünfte, wie etwa die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen, auf Freiwilligkeit. Wenn keine politischen Rahmenbedingungen gesetzt werden, wird aber der ungehemmte Kapitalismus letzten Endes auch nicht gebremst. Das hat uns dazu gebracht, zu schauen, ob wir gemeinsam mit dem Handel unsere Ziele besser erreichen können.
Um die Zusammenarbeit mit dem Handel zu verbessern, haben wir übrigens vor kurzem eine Allianz gegründet, für eine ‚Faire und Ökologische Marktwirtschaft‘ (FÖM). Mitglieder sind unter anderen die Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller, der Bundesverband Naturkost Naturwaren, die Gepa, Demeter und Bioland. Zusammen haben wir fünf grundsätzliche Handelspraktiken (fair trade practices) für einen fairen Umgang erarbeitet und setzen nun darauf, dass diese Absichtserklärung von den Handels-Unternehmen unterzeichnet wird und auf dieser Grundlage ein regelmäßiger Austausch stattfindet.
bioPress: Der Handel agiert zentralistisch und macht es den Kaufleuten nicht leicht, ein breites Bio-Vollsortiment zu entwickeln. Gibt es bei Naturland Strategien dafür, Bio besser in die Fläche zu bringen? Und sehen Sie Chancen dafür, eine dritte Schiene für Bio zu etablieren – neben Fachhandel und Zentralen?
Reese: Ich glaube, dass ein Filialist künftig viel lokaler denken und arbeiten muss, um mehr Regionalität für den Kunden vor Ort erlebbar zu machen. Eine kapitalistische Optimierungsfabrik kann nicht die Zukunft des Handels sein. Der Einkaufsgenuss wird einen neuen Stellenwert bekommen und dazu gehört auch Transparenz über die Herkunft. Wir brauchen eine Regionalisierung des Einkaufs, aber dieser Wandel wir nicht von heute auf morgen passieren. Aktuell läuft eben noch das meiste über die Zentralen und deshalb erreichen wir nur eine Verbesserung, wenn wir auch mit zentralen Strukturen zusammenarbeiten.
bioPress: Um Fairen Handel zu gewährleisten, hat Naturland ein eigenes Naturland Fair-Siegel entwickelt. Was können Sie uns darüber erzählen?
Reese: 2005 haben wir damit begonnen, auch soziale Richtlinien in die Naturland-Zertifizierung mitaufzunehmen. Dann sind wir noch einen Schritt weiter gegangen und haben eine eigene Zertifizierung für den Fair-Bereich entwickelt. Diese wurde einerseits von unseren Mitgliedern im globalen Süden gewünscht. Andererseits wollten wir damit auch die nördliche Hemisphäre miteinbeziehen und das Bauernsterben in Deutschland bremsen.
Eine der Herausforderungen besteht in der Thematik der Mindestpreise hinsichtlich der sozialen Gerechtigkeit. Dabei Nord und Süd zu verbinden, ist so schwierig wie zwingend. Das muss auch berücksichtigt werden, wenn aktuell Orientierungspreise in Deutschland für ökologische Mehrwerte diskutiert werden.
bioPress: Das internationale Engagement unterscheidet Naturland von anderen deutschen Anbauverbänden. Auf wie viele Mitglieder kommen Sie aktuell weltweit?
Reese: Aktuell haben wir 4.800 Mitglieder in Deutschland, 1.000 in Österreich und 135.000 Bäuerinnen und Bauern im Rest der Welt, die nach Naturland-Standards arbeiten. Die meisten von ihnen sind in Kooperativen organisiert, zum Beispiel im Tee-, Kakao-, Kaffee- oder Bananen-Anbau. Früher waren wir international nur im Pflanzenbau tätig. Heute haben wir etwa mit einem Feta-Produzenten in Griechenland auch den Bereich der Tierhaltung dabei, was eine zusätzliche Herausforderung darstellt.
bioPress: Früher war die Umstellung auf Bio ja noch viel einfacher, weil mit den Jahren immer neue und strengere Regeln dazugekommen sind. Wäre es nicht besser, die Einstiegsschwelle niedriger zu setzen und anschließend die Qualität weiter zu steigern?
Reese: Ich bin sehr froh über unseren heutigen Naturland-Standard. Ein Ärgernis ist aber der ständig wachsende bürokratische Aufwand. Waren beispielsweise unsere Naturland-Gärtner früher einen Tag in der Woche mit Büroarbeit beschäftigt, so müssen sie heute quasi täglich ins Büro, um alle Anforderungen aus Brüssel oder Berlin zu erfüllen. Und für die eigentliche Arbeit im Feld brauchen sie dann angestelltes Personal. Die gesetzlichen Anforderungen sind zwar teilweise sinnvoll, teilweise aber auch kontraproduktiv. Gleichzeitig sind die Anforderungen in Bezug auf die Anstellung von Arbeitskräften gestiegen. Einerseits richtig, andererseits Puzzlestein des Strukturwandels.
Früher war dafür die Vermarktung von Bio-Produkten viel schwerer – die Betriebe mussten einen Großteil ihrer Ware als konventionell verkaufen. Heute stellen sie um und können sofort fast alles als Bio vermarkten.
bioPress: Wie sieht es mit Ihrer Beziehung zu den Verbrauchern aus?
Reese: Vor 20 Jahren haben die Verbraucher noch wenige Detailnachfragen gestellt. Das hat sich grundlegend geändert. Heute ist im Zeitalter von Klimakrise, Wasserknappheit und sozialer Ungerechtigkeit viel mehr gesellschaftliches Interesse da, vor allem von der jungen Generation. Das heißt, die Kommunikation mit den Verbrauchern über Öko- und Sozial-Themen wird immer besser und tiefgründiger.
Auf der anderen Seite gibt es auch eine Entfremdung – vor allem von der städtischen Schicht – von den Anstrengungen und Nöten der Landwirte. Hier brauchen wir wieder ein gemeinsames Verständnis. Wir arbeiten deshalb mit Stiftungen zusammen, die versuchen, schon bei Kindern ein Bewusstsein für Landwirtschaft und Ökolandbau zu schaffen.
bioPress: Haben Sie noch ein Schlusswort für unsere Leser?
Reese: Wir arbeiten hart daran, die Gesellschaft für den Einkauf der attraktivsten Nachhaltigkeit zu gewinnen. Dazu benötigen wir Unterstützung aus allen Bereichen: den Medien, der Politik, Verarbeitung und Handel und selbstverständlich von der Gesellschaft, von jedem Einzelnen!