Nachhaltigkeit
Tönnies vergrünen?
Nachhaltigkeit in der Fleisch-Branche auf dem Prüfstand

Der Global Player Tönnies ist der mit weitem Abstand größte Schlachtbetrieb in Deutschland und nach eigenen Angaben mittlerweile auch Marktführer im Bio-Markt. Seit Oktober 2020 soll der Ex-Bioland-Chef Thomas Dosch für mehr Nachhaltigkeit in den Strukturen sorgen. Seine Einschätzung: Eine bessere Tierhaltung ist für Produzenten in Deutschland unumgänglich. Und sie funktioniert nur im Schulterschluss von Wirtschaft und Politik.
Spätestens seit einem Corona-Ausbruch im Juni 2020, bei dem die schlechten Arbeitsbedingungen ausländischer Werkvertragsarbeiter ins Schlaglicht gerieten, gilt der Konzern Tönnies mit Hauptsitz im nordrhein-westfälischen Rheda-Wiedenbrück bei vielen als Symbol für alles, was in der Fleischbranche schief läuft.
Der langjährige Konzernchef Clemens Tönnies stand schon zuvor vielfach in der Kritik, wegen Preisabsprachen, Involviertheit in Cum-Ex-Geschäfte und einer rassistischen Äußerung. Sein Neffe Robert Tönnies, der mittlerweile 50 Prozent der Unternehmensanteile hält, profiliert sich dagegen eher als Gegenpol und macht sich für mehr Tierwohl in der Schlachtbranche stark.
Im Oktober 2020 hat der Beitritt von Thomas Dosch zum größten Schlachtbetrieb Deutschlands für Aufsehen gesorgt. Als Koordinator für die Entwicklung im Sinne einer nachhaltigeren Agrar- und Ernährungswirtschaft soll er frischen Wind in die Nachhaltigkeitsbemühungen bei Tönnies bringen.
Dosch stammt aus Hohenlohe, hat selbst Landwirtschaft studiert und verfügt über praktische Erfahrungen aus einem eigenen Bio-Betrieb mit Mastschweinen sowie dem Lebensmittelhandwerk. Von 2002 bis 2014 war er Chef des Bioanbauverbands Bioland. Danach saß er sechs Jahre lang für die Grünen im Landwirtschaftsministerium von Niedersachsen, wo er laut Weser-Kurier aufgrund von Streitigkeiten mit der CDU-Ministerin ausschied.
‚Vom Ökobauern zum Tönnies-Oberlobbyisten‘ titelte die WirtschaftsWoche im Zuge des erwartbaren Shitstorms, der auf den rabiat erscheinenden Umstieg des Ex-Bioländlers folgte. Dosch selbst sieht sich nach wie vor als Brückenbauer für Tierschutz und eine umweltgerechte Landwirtschaft. Einen tatsächlichen Wandel von Seiten der Wirtschaft anstelle von Worten seitens der Politik beschreibt er als Motivation für seinen Berufswechsel.
Ende März gab der frühere Bioland-Präsident auf Einladung des Verbands Deutscher Agrarjournalisten (VDAJ) aus dem Hauptstadtbüro Auskunft über die weitere Entwicklung des Unternehmens – und einen Blick auf Nachhaltigkeit und Tierwohl aus Sicht des Branchenführers.
Die wirtschaftliche Situation für die Fleischbranche in Deutschland ist laut Dosch alles andere als rosig. Die Preise für Rindfleisch etwa entwickelten sich rasant nach oben. Sei Deutschland vor 20 Jahren tatsächlich noch ein Gunststandort für billige Schweinefleischproduktion mit Exportfokus gewesen, habe sich das aufgrund der Kostenstruktur im Vergleich zum europäischen Maßstab schon vor langem geändert. Ein Mindestlohn von momentan elf Euro und andere hohe Produktionskosten ließen den deutschen Wettbewerbern überhaupt keine Wahl, als sich jetzt im heimischen Markt durch Qualität zu profilieren.
„Wir wollen die Transformation der Tierhaltung!“, betonte der Tönnies-Nachhaltigkeitskoordinator. Der Konzern stehe hinter der Umsetzung der Empfehlungen der Borchert-Kommission. Außerdem propagiere man die Idee von 5xD: also geboren, aufgezogen, gemästet, geschlachtet und verarbeitet in Deutschland, sowie eine verpflichtende Haltungskennzeichnung im Handel. Bestenfalls könne es dadurch mit Hilfe der Konsumenten eine Entwicklung wie bei den Schaleneiern geben: Das absolut günstigste Produkt kommt nicht mehr vor.
Kein Wandel ohne die Landwirte
Die für Dosch notwendige Bedingung: „Wir müssen auch die Betriebe mitnehmen. Landwirtschaft ist kein Industriegut!“ Ein zu schneller Wandel kön-ne zu einer Notlage führen und die Landwirte in der Region gefährden. Auch Wohlstandssicherung müsse ein Teil der Überlegung sein. Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) habe gezeigt, dass ein aufeinander Zugehen der verschiedenen Interessengruppen möglich ist. Nun sei es an der Politik, die entsprechenden Folgen daraus abzuleiten und die Finanzierung der Transformation, den Einkommensausgleich für die Landwirte sicherzustellen.
„Wenn der Handel unter Druck gerät, schwimmt er sich auf Kosten der Landwirte frei“, warnte Dosch und plädierte daher für ein realistisches und pragmatisches Vorgehen. Mit den ‚Philosophen‘ in den Führungsetagen des Handels gebe es tolle Gespräche, die aber keine sichtbare Wirkung auf die Einkäufer hätten: Die drückten weiter die Preise, wo es nur geht.
Erst der Konsum, dann die Erzeugung
In puncto Strukturwandel wies Dosch auf die Gefahr von Leakage-Effekten hin. Solange die Fleisch-Nachfrage nicht so stark zurückginge, wie es der Eindruck sei, führte weniger Tierhaltung in Deutschland nur zur Abwanderung der Produktion ins Ausland – ohne positiven Nutzen fürs Klima. Kapazitäten, die in Deutschland abgebaut würden, entstünden dann in gleichem Maße neu in Spanien. Renate Künasts Ziel, den Tierbestand bis 2030 zu halbieren, hält der Tönnies-Vertreter aus seinem Blickwinkel nicht für realistisch. Dennoch sei eine flächengebundene Reduktion des Tierbestands im Sinne einer artgerechteren Haltung und mehr Klimafreundlichkeit zu begrüßen.
Aktuell reduziere sich die Tierhaltung nicht in den ‚Schweinehochburgen‘, sondern in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen-Anhalt. In den Tierhaltungszentren Nordrheinwestfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein gebe es dagegen weiterhin auf engem Raum kurze Wertschöpfungsketten.
Regenwaldrodung verhindern
Bisher verarbeitet Tönnies auch Fleisch aus Südamerika. Gerade zu den Stoßzeiten vor Weihnachten sei dies nötig, um die Nachfrage zu decken. Dass die Ware nicht aus Regenwaldgebieten stammen darf, habe man zwar eigentlich vertraglich festgelegt – die Regel wurde aber umgangen. Ein Grund mehr für das Unternehmen sei dies, um auf regionale Produktion zu setzen.
Auch auf Soja-Futter aus Rodungsregionen will der Konzern künftig verzichten. Alle großen Futtermittelanbieter, mit denen Tönnies zusammenarbeitet, hätten sich dazu bereiterklärt. WWF und Greenpeace sollen die Infos dazu beitragen, auf welche Zertifizierer für ‚regenwaldfreies Soja‘ man sich verlassen kann. Gleichzeitig wolle man die Versorgung mit heimischen Eiweiß-Futtermitteln stärken, etwa den Soja-Anbau in Süddeutschland.
Finanzierung sicherstellen
Die Kosten für die Transformation sind für Dosch keine unüberwindbare Hürde. Nach Berechnung des wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) müsste jeder Bürger pro Woche 70 Cent mehr Ausgaben einplanen, damit der Umbau der Tierhaltung finanziert werden kann – das sind 36 Euro pro Jahr.
„Wir appellieren auch an die FDP mitzuziehen“, so der Ex-Biolandchef. Viele Landwirte hätten die Liberalen gewählt und bauten nun auf ihre Unterstützung. Die Fleischindustrie sei bereit, auf die Subvention von tierischen Lebensmitteln über den verminderten Mehrwertsteuersatz zu verzichten. Nach Tönnies‘ Ermessen wäre das die einfachste Finanzierungsoption – ohne großen Bürokratieaufwand. Die FDP aber sehe bereits in dieser Erhöhung der Mehrwertsteuer einen vermeintlichen Bruch des Koalitionsvertrags.
Laut BMEL-Machbarkeitsstudie aus dem vergangenen Jahr kann die Finanzierung auch über Solidaritätszuschlag und Tierwohlabgabe bewerkstelligt werden. Auch die Kostendeckung über den neu geschaffenen Klima- und Transformationsfonds mit 60 Milliarden Euro im Topf sei eine Option. Wären die Grünen dazu bereit, bleibe die FDP-Position noch abzuwarten. Wie die Entscheidung auch fällt: „Die Bundesregierung steht zur Finanzierung in der Pflicht“, betonte Dosch.
Tierwohl als Wettbewerbsvorteil in Deutschland
„Deutschland ist im Bereich der Tierwohl-Diskussion einmalig“, meint der Fleischmarktexperte. Der Mehrpreis für Tierwohl müsse daher in Deutschland verdient werden. Die Produzenten könnten sich darüber nur im heimischen Markt profilieren. Auf dem Weltmarkt lasse sich höherpreisiges Schweinefleisch nicht vermarkten. Dosch hält es für eine Notwendigkeit für deutsche Hersteller, sich gegenüber spanischen und dänischen Produkten im Handel durch Qualität abzugrenzen. Ohne Tierwohl gehe in Deutschland außerdem die gesellschaftliche Akzeptanz der Landwirte verloren und damit der Erhalt der regionalen Produktion.
Das Ausfuhrverbot von Schweinefleisch in Drittländer aufgrund der Afrikanischen Schweinepest verhindere aktuell, dass man hier verschmähte Teilstücke des Schweins als Delikatesse nach China verkaufen könnte. Stattdessen wür-den sie in Tierfutter oder Fettschmelzen verarbeitet. Je weniger Teile des Schweins aber den Mehrpreis verdienen müssten, desto teurer würden auch die Produkte. Von diesem Blickwinkel aus ist es wichtig, dass auch Wurstprodukte aus guten Haltungsbedingungen verkauft werden können. Mit dem LEH sei man bereits in Diskussionen über die bessere Ganztierverwertung in Deutschland. Sie könne ein weiteres Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb werden.
Bio-Fleisch-Lieferant Tönnies: hohe Nachfrage, wenig Angebot
Seine Meinung zur Wichtigkeit von Ökolandbau hat der langjährige Bioland-Chef Dosch laut eigenem Bekunden nicht geändert. Bio stehe nicht nur für Umweltvorteile, sondern spiegle auch den Wunsch der Gesellschaft wieder. „Bio-Märkte haben sich in den letzten Jahren trotz der Politik entwickelt“, stellt er mit Blick auf den langjährigen Stillstand im CDU-Agrarministerium fest.
Der Nachhaltigkeits-Koordinator versuche seit Monaten, neue Bio-Schweinefleisch-Betriebe in Deutschland zu gewinnen, dabei sei aber noch viel Luft nach oben. Um die Nachfrage zu decken, müsse Tönnies weiterhin auf Lieferanten aus Dänemark, Frankreich und Holland, teils auch aus Spanien und Portugal zurückgreifen. Der LEH wolle eigentlich mehr Bio-Fleisch und lasse sich am Ende wegen des zu knappen Angebots mit Tierwohlstufe 3 vertrösten.
Die Hoffnung liege in einem Wandel durch die neue Regierung. Dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wirft Dosch nach den ersten Monaten im Amt noch zu viel Populismus und Selbstdarstellung vor. Ohne das Know-How der Wirtschaft und mehr Gesprächsbereitschaft mit den Akteuren werde es nicht gehen. Aufgabe der Obrigkeit sei es, transparent die Ergebnisse aus partizipativen bottom-up-Prozessen zu realisieren. „So funktioniert Demokratie.“
Lena Renner