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Klöckner: Außen Hui, innen Pfui

Ministerin Klöckner nimmt Insekten letztes Rückzugsgebiet

Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung tritt ein weiteres Mal als Lobbyist der Agrarindustrie auf. Während Julia Klöckner in ihren öffentlichen Reden die Wichtigkeit des Insektenschutzes betont und gerade das sogenannte Aktionsprogramm Insektenschutz mit auf den Weg bringt, sorgt sie gegenüber dem Umweltbundesamt dafür, dass dieses in Zukunft die Anwendung schädlicher Insektenschutzmittel nicht mehr beschränken darf.

Mehrere Pestizid-Hersteller hatten vor dem Verwaltungsgericht Braunschweig gegen das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) geklagt, eine dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zugehörende Bundesoberbehörde. Es ging darum, dass die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln an bestimmte Umweltauflagen verknüpft wird. Zugelassen werden die Pestizide zwar vom beklagten Bundesamt, aber die Experten des Umweltbundesamts müssen jeweils zustimmen – und die hatten auf Bedingungen bestanden.

Nun hat das Gericht in erster Instanz für die Pestizid-Hersteller entschieden. Das Urteil läuft darauf hinaus, dass auch bekannte Risiken der Pestizide vom Umweltbundesamt nicht berücksichtigt werden dürften. In einer Pressemitteilung dazu äußerte sich Maria Krautzberger, Präsidentin des UBA: „Sollten die Urteile des VG Braunschweig rechtskräftig werden, geben wir den Schutz der biologischen Vielfalt im Zulassungsverfahren von Pflanzenschutzmitteln auf. Auch der Schutz des Grundwassers vor Verunreinigungen mit Pestizidrückständen wäre in Deutschland nicht mehr sichergestellt. Es ist daher unerlässlich, dass diese Rechtsfragen vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg geklärt werden.“

Doch in die Berufung konnte das Umweltbundesamt nicht selbst gehen. Denn Beklagte war das BVL. Und dieses zeigte trotz Aufforderung durch das Umweltbundesamt kein Interesse an Widerspruch und ließ die Frist zum 28. Oktober verstreichen. Das BLV scheint das Urteil eher zu begrüßen. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung ließ Klöckner verlauten, eine Berufung „würde zu anhaltender Rechtsunsicherheit führen“, jetzt sei die Rechtslage klar – und dies kann dem BVL nur entgegenkommen.

Denn bei der als Umweltauflage eingeführten und jetzt als rechtswidrig eingeordneten Biodiversitätsauflage des Umweltbundesamtes geht es darum, dass Landwirte zehn Prozent ihrer Flächen stilllegen müssen, wenn sie die entsprechenden Pestizide anwenden wollen, damit Insekten dorthin ausweichen und überleben können. Dies will das BVL aber verhindern: „Ich kann den deutschen Bauern nicht vermitteln, warum das Bundeslandwirtschaftsministerium und das BVL eine faktische Enteignung in Höhe von mindestens zehn Prozent ihrer Äcker betreiben sollten, wenn das für ihre Kollegen im Rest der EU nicht gilt“, so Klöckner gegenüber Agra Europe.

Um sich zum Thema Insektenschutz zu profilieren, setzt Ministerin Klöckner lieber auf den Aktionsplan Insektenschutz der Bundesregierung. Zu einem gemeinsamen Termin für den Runden Tisch Insektenschutz Ende November ist sie jetzt doch geladen – sie hatte sich nach Presseberichten beim Bundesumweltministerium darüber beschwert, nicht einbezogen zu sein. Der Vorsitzende vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Dr. Felix Prinz zu Löwenstein äußerte sich auf der Jahrestagung des Verbandes in Berlin diese Woche eher skeptisch gegenüber den zu erwartenden Resultaten: Das Aktionsprogramm Insektenschutz der Bundesregierung sei „bei weitem nicht ausreichend, um das Absterben unserer Lebensgrundlage aufzuhalten“.

Elke Reinecke

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