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Bio-Entwicklungsland Kirgisistan

Beste Voraussetzungen für ökologische Landwirtschaft

Der Kongress-Raum in einem Hotel in Bischkek ist Schauplatz einer Bio-Tagung in dem zentralasiatischen Staat Kirgisistan. Die Teilnehmerzahl ist überschaubar, die Bio-Szene noch klein. Die deutsche GIZ, die staatliche Entwicklungshilfe, unterstützt Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln in dem muslimischen Land. Der Markt für kirgisische Bio-Produkte ist nicht die Heimat, sondern die Europäische Union und hier speziell der größte Markt: Deutschland. Trockenfrüchte, -pilze, -kräuter und das Hauptprodukt Walnüsse können in deutschen Produkten verarbeitet werden oder abgepackt in den Regalen der Lebensmittelgeschäfte stehen. Doch der Weg ist weit, nicht nur geografisch.

Gudrun Kammasch, Professorin für Lebensmitteltechnologie von der Beuth Universität aus Berlin, erläutert die Situation auf dem Bio-Markt. Die Schweiz, Dänemark und Österreich haben die höchsten Ausgaben pro Kopf für Bio. Deutschland rangiert hier auf Platz fünf, hat aufgrund der hohen Bevölkerungszahl aber den größten Markt für Bio-Produkte. Der Verbrauch in Deutschland stieg 2015 um zehn Prozent bei seit Jahren nahezu stagnierender Anbaufläche. Deutschland ist auf Bio-Importe angewiesen, Kirgisistan auf Bio-Exporte.

„Kirgisistan kann liefern. Das Land hat einen Schatz, den es zu bewahren gilt. Hier ruht ein großes Potenzial aufgrund der noch vorhandenen Artenvielfalt. Der Verlust der Biodiversität ist weltweit dramatisch“, erläutert Kammasch. Kirgisistan hat viel Sonnenschein und genug Wasser. Die klimatischen Voraussetzungen für landwirtschaftliche Produktion stimmen. In puncto Hygiene hat die Agrarwirtschaft allerdings noch kein internationales Niveau. „Kirgisistan braucht Qualitätssicherung, um in den Weltmarkt einzutreten“, erläutert die Wissenschaftlerin.

Kein Bio-Binnenmarkt vorhanden

Die großen Städte Bishkek im Norden und Osch im Süden sorgen für etwas Nachfrage in dem dünn besiedelten Land. Die Erzeugerpreise sind hier aber auf einem niedrigeren Stand als in Deutschland. Bio ist bei Verbrauchern noch kein Thema und somit ist keine Bereitschaft vorhanden, einen Mehrpreis für Bio-Produkte zu bezahlen. Wollen die Bauern aus der Subsistenzwirtschaft heraus, muss der Export gefördert werden.

Auf dem Dorf gibt es keinen Absatz für landwirtschaftliche Produkte. Der Nachbar verkauft selbst landwirtschaftliche Erzeugnisse. Beeren, Äpfel, Pflaumen, Aprikosen, Kräuter, Nüsse, Pilze, Hülsenfrüchte, Kapern, Pistazien, Erdnüsse, Honig und Baumwolle sind die wichtigsten Bio-Produkte.

Wildsammlung ist gängige Praxis für den Eigenbedarf und als Einkommensquelle. In der weitgehend intakten Natur wachsen wilde Pflanzen in Fülle. Kultivieren ist bei vielen Pflanzen nicht nötig, nur ernten.
Größter Zweig der Landwirtschaft ist die Weidewirtschaft „Die Fleischwirtschaft hat große Chancen“, sagt Kammasch. Allerdings fehlt die Infrastruktur, um Fleisch zu verarbeiten. Der Weg zu einer konkurrenzfähigen Verarbeitung ist noch lang. Kammasch hält einen Strukturwandel für nötig: „Wenn sich die vielen Kleinbauern nicht zusammenschließen zu Erzeugergemeinschaften, werden sie auf dem Markt nicht bestehen können“.

Issyk-Kol als Markenprodukt

Im Nordosten des asiatischen Landes liegt rund um den See Issyk-Kol das gleichnamige Biosphärenreservat. Auf der anderen Seite des anschließenden Gebirges liegt China. Teile des Reservats sind tabu für den Menschen. Andere Zonen sind offen für Tourismus, Bebauung oder Landwirtschaft. Agrotourismus mit Pferdeferien, Wandern, Bergtouren, Radfahren bietet Erlebnisurlaubern tolle Eindrücke eines wilden Berglands. Kammasch schlägt vor, Issyk-Kol zur Marke für Lebensmittel zu machen.

Ausländische Investoren wären hilfreich auf dem Weg zu den Märkten in Mittel- und Westeuropa. Ein deutsches Pharmaunternehmen hat in Kirgisistan bereits investiert: Schwabe aus Karlsruhe beschafft Baldrian für Medikamente. Das Familien-Unternehmen blickt auf eine 150 Jahre alte Geschichte zurück und stellt mit 3.500 Mitarbeitern Phytopharmaka, Arznei aus Pflanzen, her.

Baldrian aus Kirgisistan wird dort verarbeitet. Reinigen, Schneiden, Trocknen, Lagern und Qualitätskontrolle geschieht in der Anlage auf kirgisischem Boden. Philipp Nuß von Schwabe nennt die Vorteil des Standortes Kirgisistan: „Wir finden hier extensive Landwirtschaft und große Flächen ohne Rückstände.“ Dennoch gründen nur wenige ausländische Unternehmen eine Niederlassung. Stabilität und Sicherheit in dem östlichen Land entsprechen nicht dem westlichen Standard.

Das Schwabe-Projekt ist aus einer PPP (Private Public Partnership) entstanden, gefördert von der GIZ. Private Firmen aus Deutschland, die Partnerschaften in Entwicklungsländern suchen, werden unterstützt, wie Volker Hennes aus der GIZ-Zentrale erläutert. Ziel ist, eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung anzu- stoßen. Bio- und Fairtrade-Zertifizierung werden auf den Weg gebracht. Das deutsche Unternehmen erhält als Starthilfe Infos über das Entwicklungsland, Übersetzer, um die Sprachbarriere zu überwinden und ausgesuchte Kontakte.

Mit Bio-Kirgisistan existiert bereits ein Verband mit Präsident Iskender Aidaraliev an der Spitze. Seit 2012 hält der Verband ein jährliches Forum ab. 2014 haben die Länder der Region IFOAM Eurasien gegründet. Ein Bio-Anbaugebiet als Modell ländlicher Entwicklung hat Kirgisistan geschaffen. Allerdings sieht Aidaraliev Hindernisse für eine nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft: „Es gibt nur schwache staatliche Hilfe.

Die hohe Zahl von 380.000 Kleinbauern behindern eine schnelle Weiterbildung in biologischer Landwirtschaft, das zügige Umstellen von Flächen und die Organisation stabiler Produktionsmengen.“ Weiterhin erkennt er nur eine schwache öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema. Deshalb gibt es keine Handlungskette vom Erzeuger zum Verbraucher. Das Potenzial von Bio auf dem Agrarmarkt wird vielfach nicht erkannt. Es fehlt die Infrastruktur von international anerkannten Labors und Zertifizierern. Kreditprogramme für Landwirtschaft und Verarbeiter bieten die Banken nicht an. Die Zinsen liegen bei rund zehn Prozent.

Als weitere Risiken sieht er möglichen Betrug, der die Reputation angreifen kann. GMO könnten in das Land kommen. „Die Behörden sind wenig interessiert. Betrachtet man all diese Punkte, ist unser Land noch nicht wettbewerbsfähig“, betrachtet Aidaraliev die Lage nüchtern.

IPD fördert Importe

Hilfe von außen gibt es durchaus. Das deutsche Entwicklungshilfeministerium ist in dem Land tätig. Der IPD (Import Promotion Desk) fördert Importe aus Entwicklungsländern, wie Kathrin Seelige erläutert: „Wir fördern die nachhaltige Entwicklung von Importen.“

Kirgisistan ist auf dem deutschen und internationalen Markt natürlich ein unbekannter Faktor. Der IPD erhöht den Bekanntheitsgrad durch die Organisation von Messeauftritten, etwa bei der FI (Food Ingredients) in Frankfurt. „Wir planen Besuche von interessierten Unternehmen und stellen Kontakte her. Unser Fokus liegt auf Bio, weil die Erzeuger hier höhere Preise erzielen. Die Produkte lassen sich besser vermarkten, weil sie eine Geschichte erzählen können. Der deutsche Verbraucher will wissen, was auf den Tisch kommt“, so Seelige.

Die Herkunft ist ein Kriterium für den Kauf eines Produkts. „Im Moment gibt es viel ungenutztes Potenzial. Aufgrund des langen Transportweges zu den relevanten Märkten gibt es wenig Chancen für frische Produkte, sondern eher für verarbeitete Produkte“, so Seelige.

Dazu müssen die Bauern erst einmal fit gemacht werden für den Bio-Anbau. Bio-Service, eine Unternehmensberatung, schult die Bauern. Ein schriftlicher Leitfaden für den Bio-Anbau existiert. Mit diesen Kenntnissen können sich die Bauern zertifizieren lassen. Die Produkte haben danach eine weite Reise vor sich.

Kirgisistan liegt rund 6.000 Kilometer östlich von Deutschland. Die Logistik scheint eine Herausforderung. Die DHL Tochter in Bishkek sieht allerdings keine Probleme. Ein Sattelschlepper schafft die Strecke in sieben Tagen. Die Route führt über Russland ohne lange Aufenthalte dank der Eurasischen Wirtschaftsunion, einer Freihandelszone, mit den Mitgliedern Weißrussland, Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan.

Ohne Grenzkontrollen geht es schnell Richtung Westen. Auch Pakete, Kühltransporte und Luftfracht sind möglich. 7.000 Euro kostet eine Lkw-Tour hin und zurück. Die Fahrt Ost nach West ist mit 3.000 Euro etwas günstiger als in der Gegenrichtung mit 4.000 Euro. Bei 20 Tonnen Ladung macht das 15 Cent pro Kilo. Der Transportpreis fällt also nicht so sehr ins Gewicht. Logistisch ist der Bio-Export machbar. Nun müssen die anderen Hemmnisse beseitigt werden.

Anton Großkinsky

Unbekanntes Kirgisistan

Kirgisistan, wo ist das? Das mittelasiatische Land gehörte einst zur Sowjetunion. Heute ist es eine unabhängige demokratische Republik. Die Fläche dort beträgt 199.900 Quadratkilometer, Deutschland 357.400. Allerdings leben nur sechs Millionen Menschen in dem schwach besiedelten Land, in Deutschland 82 Millionen. Die Kirgisen im Norden waren Nomaden.

Die Hauptstadt Bishkek wurde 1878 vom zaristischen Russland gegründet. Die Stadt im Norden des Landes ist geprägt vom kommunistischen Baustil: Wohnblöcke aus Fertigteilen beherrschen das Bild. Die Straßen sind großzügig angelegt. Das Regierungsviertel wirkt monumental. Der Süden hat mit Osch eine 3000 Jahre alte Handelsstadt als Zentrum. Die Menschen waren Bauern und damit sesshaft im Gegensatz zu den Nomaden im Norden. Die Bevölkerung ist gemischt. Im Süden leben 30 Prozent Usbeken.

Die usbekischen Häuser sind komfortabler mit großem Innenhof mit Herd und Sitzplätzen. Alles wird nach außen durch eine Steinmauer geschützt. Die Kirgisen als Nomaden haben einfacher gebaut, weil das Haus nur als Winterquartier diente. Die Menschen leben von der Landwirtschaft. Die Weidewirtschaft mit Rind und Schaf dominiert gegenüber dem Ackerbau. Die Industrialisierung hat (noch) nicht stattgefunden. Pferd und Esel sind immer noch Zug- und Fortbewegungsmittel in den abgelegenen Dörfern. Das Kommunikationszeitalter ist schon eingetreten. Die Pferdehirten telefonieren auf dem Rücken ihrer Pferde beim Treiben des Viehs. 
 

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