Bio-Großhandel: Einer liefert immer
Der Naturkostfachhandel steckt in einem Dilemma: Für das angestrebte Ziel, die Ernährung der Bevölkerung zu 100 Prozent auf Bio umzustellen, stehen nicht einmal 10 Prozent der Einzelhandelsgeschäfte zur Verfügung. Damit können zwar rund 30 Prozent des Bio-Umsatzes erwirtschaftet werden, aber etwa das Doppelte läuft über die Kassenbänder des konventionellen Lebensmitteleinzelhandels (LEH). Dass es nicht mehr ist, liegt zum Teil an der sogenannten Fachhandelstreue, ein ungeschriebenes Gesetz der aturkostbranche, das die Bio-Hersteller dazu anhalten soll, den LEH nur unter bestimmten Bedingungen oder besser gar nicht zu beliefern.
Die Erklärung für das restriktive Verhalten des Bio-Fachhandels gegenüber den konventionellen Kollegen ist einfach: Die Bio-Pioniere, die für den Umbau der Landwirtschaft gestritten haben und streiten, verdienen mit ihrer Idee und den daraus entstandenen Waren inzwischen ihren Lebensunterhalt.
Überließen sie die Fachhandelswaren auch dem konventionellen Handel, ginge es ihnen vermutlich so, wie es den Tante-Emma-Läden ergangen ist: Die Existenz wäre gefährdet und im schlimmsten Fall auch der bisher erzielte Fortschritt beim Umbau der Landwirtschaft. Denn im weitgehend zentral organisierten LEH ist Bio nur ein Geschäft und keine Anspruchshaltung – von Ausnahmen natürlich abgesehen.
Um nicht zu enden wie Tante Emma, setzen Naturkosteinzelhändler Hersteller unter Druck und drohen mit Auslistung, falls deren Marken-Produkte im LEH auftauchen. Dabei bekommen sie Unterstützung von Bio-Großhändlern, die auch in Zukunft möglichst viel Ware an ihre angestammte Kundschaft liefern wollen.
Hersteller müssen sich letztendlich fügen, es sei denn die Drohgebärden sind nur heiße Luft, weil die Marke inzwischen unverzichtbar geworden ist. Spätestens dann, wenn Kunden Ware gezielt nachfragen, fällt es Einzelhändlern schwer, die Drohung wahrzumachen. So konnte zum Beispiel Söbbeke seine Fachhandelsmarke ohne große Blessuren in die Regale des ausgewählten SEH stellen.
Wer ausschert wird abgestraft
Wenn die Hersteller nicht durch Auslistung ´bestraft´ werden können, weil das Produkt unverzichtbar ist, können Marken auch zu Bückware degradiert werden. „Warum soll ich für eine Marke werben, die auch im konventionellen Handel zu bekommen ist? Da stelle ich doch lieber den Hersteller im Regal nach oben, der fachhandelstreu ist“, begründet ein Fachhändler seine Unmutshandlung.
So frei die Einzelhändler in ihrer Entscheidung sind, so unfrei sind viele Hersteller, denn der Fachhandel ist mehr oder weniger Garant für ein Absatzvolumen, das den Betrieb am Laufen hält. Und deshalb muss er bei Laune gehalten werden. Wer mit der Fachhandelsmarke in den LEH geht, kann untergehen, wenn erhoffte Umsätze und Spannen ausbleiben und der Facheinzelhandel den Abtrünnigen durch Auslistung sanktioniert. Diesen Job kann auch der Großhändler übernehmen, indem er Fachhandelstreue zur Listungsbedingung macht.
Solange sich der LEH nicht für Bio interessierte, war die Welt im Fachhandel noch relativ in Ordnung. Doch nach der BSE-Krise, als der LEH verstärkt Bio einlistete, wurde klar, dass da eine ungleiche Konkurrenz heranwachsen könnte. Und als wenig später der Absatz im Fachhandel stagnierte, wollte der Großhändler Dennree mit einem eigenen Ladenkonzept zeigen, was der Facheinzelhandel besser machen muss.
„Wir brauchen ein Ladenbild, das zu verallgemeinern ist“, hatte Geschäftsführer Thomas Greim 2004 bei einer Podiumsdiskussion auf der BioFach gesagt und auf sein Denn’s-Konzept verwiesen. Heute sind es über 100 Denn’s-Läden, deren Aufbau aus Erträgen des Großhandels finanziert werden konnte.
Die wenigen Verbindungen zum LEH hat der Großhändler inzwischen gekappt. Damit fällt der Marktführer als Lieferant des LEH definitiv aus, die Nummer zwei, Weiling, hat sich von Anfang an gar nicht erst darauf eingelassen.
Das aus Fachhandelssicht ´schmutzige´ Geschäft besorgten andere: Zum Beispiel Naturkost West durch die Belieferung von Marktkauf mit einem Vollsortiment. Grell mit der Versorgung von Famila, Citti und Edeka im schlecht mit Naturkostläden ausgestatteten Norden, Biokorb als Versender von Trockenware, Gebr. Franz als Frischelieferant und weitere.
„Einer liefert immer“, sagt ein Branchenkenner. Manche Hersteller bemühen sich, Ware wieder aus dem LEH herauszuholen, nachdem es Proteste von Bioläden gegeben hat, andere lassen die Großhändler gewähren. Bei Budnikowsky gab es sogar einen Test, wie sich Bio-Frische-Produkte aus dem Fachhandel in einem Drogeriemarkt verkaufen lassen.
Auch der Anbauverband Demeter öffnet sich weiter dem LEH und erlaubt Edeka Südwest die Vermarktung zusätzlicher Demeter-Produkte, was inzwischen Edeka Rhein-Ruhr auch für sich einklagt: „Entweder werden alle beliefert oder gar keiner.“ Alle Kaufleute können mit Demeter einen Demeter-Handels-Vertrag eingehen.
Wenn sie sich an die Vorgaben halten, werden sie beliefert. Der Unterschied zum Fachhandel besteht in der Außendarstellung. Nur der Fachhandel darf auch aktiv mit Demeter werben: Wir sind Demeter-Partner. Grund für eine Lieferung oder Duldung der Lieferung an den LEH ist zum einen das Argument, der Naturkosteinzelhandel setze nicht genug ab und entwickle sich nicht schnell genug.
Zum anderen gibt es bei den Herstellern immer wieder Verdruss über Naturkost-Handelsmarken, die in Konkurrenz zu den Hersteller-Marken stehen und diese in der Entwicklung behindern. Doch oft stellen diejenigen, die sich beklagen, die Handelsmarken selbst her – natürlich nur um zu verhindern, dass es ein anderer tut.
Die Abhängigkeit von Listungen des Großhandels ist groß, deshalb schielt so mancher Hersteller nach alternativen Vertriebswegen. Weil selten das gesamte Sortiment gelistet wird und dadurch Nachteile entstehen können, wenn bespielweise nur die Neuentwicklungen eines Wettbewerbers ins Sortiment aufgenommen werden, ist die Stimmung mitunter mies. Manchmal ist es auch das gesamte Sortiment das vom Großhandel abgelehnt wird, zum Beispiel bei Getränken.
Und da beim Marktführer Partnerläden einen hohen Prozentsatz des Umsatzes mit ihrem Hauptlieferanten machen müssen, um eine Prämie zu bekommen, haben die Bioläden von sich aus auch nur wenig Spielraum, ein individuelles Sortiment mit Hilfe weiterer Großhändler aufzubauen.
Der beschwerliche Weg zum Konsumenten
Dieser Einblick in das „System Fachhandel“ war nötig, um zu verstehen, warum der LEH und SEH nicht generell mit allen Naturkostprodukten beliefert wird. Die Gründe sind nachvollziehbar, denn der Fachhandel will das Geschäft selber machen und sich nicht von Handelskonzernen die Butter vom Brot nehmen lassen. Doch der Verbreitung von Bio und einer damit verbundenen beschleunigten Umstellung der Landwirtschaft dient das nur bedingt.
Zwar bemühen sich Denn’s, Alnatura, Bio Company, Basic, ebl und andere, möglichst viele geeignete Standorte für Bio-Supermärkte zu realisieren, doch damit ist nicht automatisch verbunden, dass auch proportional mehr Kunden in diese Märkte gehen. Der Wettbewerb untereinander führt eher dazu, die Sortimente aus Kostengründen schlanker zu machen, so dass auch der angestammte Bio-Kunde am Ende vor einer geringeren Auswahl und meterweise Handelsmarken steht.
Grundsätzlich stellt sich auch die Frage, ob die Bio-Supermärkte mit Flächengrößen von 400 bis 800 Quadratmetern nicht morgen schon zu klein sind. Denn der Trend im LEH geht zur Großfläche auf der Grünen Wiese mit Flächen von über 1.500 Quadratmetern und 100 bis 150 Pkw-Stellplätzen. Märkte von 800 Quadratmetern reichen heute im LEH nicht mehr aus und werden vielerorts geschlossen.
Die Zentralen stellen ihren Kaufleuten vielleicht 12.500 bis 13.000 Artikel zur Verfügung, gebraucht werden aber mindestens doppelt so viele. Das komplette Sortiment von Dennree hätte demnach auch bei Edeka noch Platz. Dort werden bislang im Schnitt nur 400 bis 600 Bio-Trockenartikel und rund 30 Artikel aus dem O&G-Bereich angeboten.
Wer mehr Bio kaufen will, muss in den Bio-Supermarkt gehen – und das ist aus Sicht des Facheinzelhandels auch gut so. Doch wer macht sich tatsächlich auf den Weg? Zumal sich die Bio-Supermärkte eher in den Innenstadtlagen befinden als auf dem flachen Land.
Woher kommt der Bio-Nachschub?
Um die Bio-Wünsche seiner Kunden zu befriedigen, ist der SEH also weiterhin auf Eigeninitiative und Kreativität angewiesen. Die eigene Vorstufe hat das nicht auf die Reihe bekommen. Das Bio-Sortiment haben die Zentralen mit Rewe- oder Edeka-Bio zwar ausgedehnt, aber auch monotonisiert.
Zu mehr Bio-Vielfalt könnten Fachhandelsmarken beisteuern. Doch das geht eben nicht so einfach, weil zum Beispiel Hersteller, die Mitglieder im Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) sind, eine Marke exklusiv für den Fachhandel bereitstellen müssen.
Allerdings werden unter dem Begriff Fachhandel auch inhabergeführte selbstständige Einzelhändler eingruppiert, die ein Bio-Sortiment deutlich abgegrenzt präsentieren, eine umfassende Markenpflege betreiben und Bio-Fachpersonal vorhalten. Wer diese Kriterien erfüllt, also eine Bio-Insel im SEH aufbauen will, bekommt auch das Fachhandels-Bio.
Doch die landläufige Meinung von Verkaufsstrategen ist, dass die Bio-Ware dort hingestellt werden muss, wo die Kunden die Produktauswahl treffen: Bio-Kaffee beim Kaffee und Bio-Milch bei der Milch. Deshalb sind Bio-Inseln oder Blockplatzierungen nicht attraktiv für den SEH. Doch nur auf diese gelingt ein nicht sanktionierter Bezug der attraktiven Hauptmarken.
Ob diese Regel so eng gesehen wird, muss bezweifelt werden, wenn man sich ansieht, wo SEH und LEH die Produkte der Molkereien Scheitz und Söbbeke – beide sind BNN-Mitglieder – platziert haben. Söbbeke hatte extra seine LEH-Marke Rogge’s ausgemustert, weil der konventionelle Handel die Fachhandelsmarke haben wollte. Und Andechser verzichtet ebenfalls seit kurzem auf die Unterscheidung zwischen Andechser Natur und Andechser Bio und verkauft nur noch eine Marke über alle Vertriebswege.
Manche Hersteller wie Allos, Davert oder die Ulrich Walter GmbH (Lebensbaum) bieten jedoch auch weiterhin eine Zweitmarke für den LEH/SEH an, die ohne Weiteres bezogen werden kann. Auch die ehemalige Rapunzel-LEH-Marke BioGourmet ist nach dem Verkauf an Huober weiter am Markt zu bekommen.
Im Zuge der fortschreitenden Zentralisierung des Naturkostfachhandels werden sich einige Marken-Artikler strategisch neu ausrichten müssen, vor allem die, die bei Listungen schlecht wegkommen. Von daher könnten bald weitere Fachhandelsmarken dem freien Markt zur Verfügung stehen. Die Zuwachsraten von Bio im LEH sind schließlich attraktiv, Nielsen hatte bei den kleinen Verbrauchermärkten (800 bis 1.500 qm) in den ersten neun Monaten 2012 ein Plus von 12,6 Prozent ermittelt – ohne Obst, Gemüse, Fleisch und Eier.
Die Frage ist deshalb, wie sich Bio-Großhändler bei fortschreitendem Strukturwandel des Naturkostfachhandels ausrichten werden. Um das traditionelle Geschäft zu ergänzen, bietet sich die Belieferung des SEH zum Ausbau von Bio-Sortimenten geradezu an. Die Anfänge sind ja bereits von einigen gemacht worden und Grell zeigt, wie in einer Region mit wenigen Bio-Märkten ein Umsatz von über 50 Millionen Euro erzielt werden kann.
Ein weiteres Beispiel ist der hessische Bio-Großhändler Phönix, der dem Wettbewerb mit den bundesweit agierenden Bio-Großhändlern Dennree und Weiling und den regional stark vertretenen Alnatura und tegut nicht standhalten konnte und sich 2010 mit Hilfe der Mibusa AG strategisch neu orientiert hat. Fachhandelstreue ist demnach kein Erfolgsgarant auf ewig, auch nicht für Großhändler.
Wenn man die Aktivitäten der Verbandsbauern sieht, glaubt man inzwischen ohnehin schon an eine große Familie von konventionellem Handel und Bio-Branche: Da werden in mehrere Hektar großen Gewächshäusern Bioland-Tomaten und demnächst auch Bioland-Gurken speziell für Edeka produziert, während sich Naturland sogar als Rewe-Partner präsentiert. Das kann natürlich auch auf dem wohl noch sehr langen Weg zu 100 Prozent Bio-Versorgung helfen.
Horst Fiedler