Editorial
Editorial Ausgabe 64/August 2010
Liebe Leserin, lieber Leser!
Im Jahr 1994 stand die Bio-Vermarktung an einem Wendepunkt. Die BioFach-Messe, damals noch mit ihrem ideellen Träger BNN, zeigte den Biomarkt auf einem Sprungbrett. Offene Augen sahen die Professionalisierung voraus und damit einhergehend die Vervielfachung des Bio-Absatzes auf allen Lebensmittelvertriebswegen.
Aktuellen Unkenrufen zum Trotz, es geht weiter aufwärts. Der Markt setzt mehr Bio ab, auch wenn manche Statistiker hinterherhinken und von Abschwächung reden oder Meinungsbildner gar die Ängste vor mehr Bio schüren. Sie sollten ihre Aufmerksamkeit auf die Wirklichkeit lenken. Der Wandel vollzieht sich schnell und wartet auf Keinen.
Sicher ist, dass die Vielfalt der Bio-Vermarktungs-Wege steigt. Bio beschränkt sich schon lange nicht mehr auf Fachgeschäfte und die Hofläden allein. Das soziale Dorf wird zur unübersichtlichen Metropole. Wer die Geister rief, muss mit Selbstbewusstsein reagieren und Ängste in der Kirche lassen. Die back to the roots-Entwicklung zu natürlichen 100 Prozent Bio oder mittelfristig wenigstens zu den angepeilten Künast´schen 20 Prozent verlangen Mut zum Handeln und vielseitige Aktivitäten. Oder soll Bio nur einigen Wenigen vorbehalten bleiben.
Jammern und Beten – wir sind die Guten, die anderen die Schlechten – blockiert die Branche. Vorwärst geht es mit neuen Ideen und zusammen mit den Alten, die sich auf Wandlung und Entwicklung verstehen. Verharren auf Gewohnheiten bremst die Biobranche nicht weniger als die starren Systeme im Handel.
Bio-Anbieter werden nebeneinander existieren: Bio-Läden, Lebensmittelkaufleute und Filialbetriebe. Jede Form hat seine Kunden, seine Vor- und Nachteile. Kleine Strukturen treiben die Preise und schaffen Abhängigkeiten – manchmal dann Sozialkontrolle genannt. Anweisungen der Zentralen an ihre Filialen bringen Bioprodukte schnell in die Regale und manchmal auch ebenso schnell wieder hinaus. Kaufleute sind frei von Ideologie und nicht weisungsgebunden. Selbstständige ohne Kreativität gehen unter. Sie leben von der Anpassung an die Kundenwünsche, und die Verbraucher wollen Bio!
Der starre Blick auf Bekanntes übersieht, dass Bio in viele Kanäle vordringt. Die Umsatzstatistiker sehen nicht die Bio-Brote in der Bäckerei, nicht das Bio-Fleisch beim Metzger und auch nicht die Bioqualität auf den Tellern der Außer-Haus-Verpflegung. Und wie gesichtert ist in der BNN-Statistik die Deutung des Wachstums ihrer Großhandelsmitglieder? Der vom Bio-Großhandel an den qualitätsorientierten LEH gelieferte Umsatzanteil wächst stetig, und wird dennoch dem Fachhandel zugeschrieben? Eine große Erfassungslücke tut sich auch auf bei den regionalen Direkt-Biolieferungen an die Supermarktbetreiber.
Bröckelt die Macht der Lebensmittel-Zentralen oder haben wir es mit einer Öffnung zu tun, die der neuen Strategie „Nachhaltigkeit“ geschuldet ist? Die vorhandenen Systeme integrieren die Neuerungen nur beschränkt und reißen Versorgungslücken auf. Bekannt ist, dass Zentralsteuerung Einheitlichkeit vorzieht und wenig Vielfalt leisten kann. Das gilt genauso für den Fachhandel. Dort kommt meist auch alles aus einer Quelle, dem Großhändler, der weitere Lieferanten zu verhindern sucht.
Den Wandel der Zeit erlebt auch der bioPress-Verlag. Unsere Ansprechpartner werden jünger, der Wettbewerb vielfältiger, die Themen umfangreicher. Ein Relaunch des bioPress-Magazins hat sich mit den letzten drucktechnischen Neuerungen bereits angedeutet. Unser kleines Team ging schrittweise vor. Jetzt haben wir uns zum großen Schritt entschlossen und sind gespannt, wie das Ergebnis von Ihnen, unseren Lesern aufgenommen wird.
Erich Margrander
Herausgeber