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Editorial

Editorial Nr. 63 Mai 2010

Liebe Leserin, lieber Leser!

Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise ist sie in Unternehmenskreisen angekommen: die Nachhaltigkeit. Die Krise wird begleitet von einem massiven Vertrauensverlust der Bevölkerungen nicht mehr nur gegenüber der Politik, sondern jetzt auch bei der Wirtschaft. Die Zeichen stehen auf fünf vor Zwölf. Die alte Weisheit, dass eine Gesellschaft auf notwendige Veränderungen erst reagiert, wenn der Druck hoch genug ist, bewahrheitet sich besonders in jenen Branchen mit dem größten Rückstau. Der Lebensmittelsektor hat neben der Energiewirtschaft und dem Verkehr den größten Einfluss auf die CO2-Emmissionen in der Welt.

Was früher die Umweltberichte im Handel und der Industrie waren, heißt jetzt Sustainability.  Dabei wird nicht immer gleich deutlich, von wem die Impulse kommen. Aus den Köpfen in den Marketingabteilungen oder von  wirklichen Entwicklung in den Unternehmen. Nicht grundlos macht in diesem Zusammenhang der Begriff green washing die Runde.

In der Lebensmittelbranche werben einige wenige Hersteller mit „keine Zusatzstoffe“ und „ohne Geschmacksverstärker“. Verbraucher achten bei ihrer Ernährung immer stärker darauf, dass sie chemiefreie Lebensmittel kaufen. Die Biobranche profitiert ganz natürlich von den Auswirkungen der Ökologischen Landwirtschaft. Daher die ungebremste Lust auf Biolebensmittel, die das Nachhaltigkeitsverlangen mühelos befriedigen.

Der Handel spricht von einem Bio-Trend. Trends haben aber die Eigenschaft zu kommen und wieder zu verschwinden. Der Bioumsatz steigt jedoch stetig.
Die Verbände der ökologischen Landwirtschaft setzten neben der Chemie- und Gentechnik-freien Produktionsweise auf sozial nachhaltige Strukturen und kurze Wege. Sie suchen möglichst viel Wertschöpfung in der Region und bieten dem Handel regionale Produkte.

Der herkömmliche Lebensmittelhandel hat den Faktor Nachhaltigkeit als Überlebensstrategie erkannt und versucht dem gerecht zu werden. Mit mehr Effizienz im Transportwesen und Energieeinsatz wird gepunktet. Lichtsparkonzepte, geschlossene Kühlsysteme mit Wärmerückgewinnung und endlich auch Solarpanels auf den Dächern der großflächigen Märkte sollen den neuen Verbraucheranspruch befriedigen. Das Ökomäntelchen „Bioecke“ der letzten zwei Jahrzehnte wird abgelegt und neben regionalen Lebensmitelangeboten finden sich jetzt immer mehr Bioangebote in den Regalen.

Die Frage bleibt, ist damit wirklich Nachhaltigkeit in der Lebensmittelbranche erreicht? Ist das alles schon genug und wird das auf Dauer ausreichen?

Die Lebensmittelkaufleute können nicht in die Verantwortung genommen werden für die verheerende Ökobilanz beim Fleischverbrauch. Die Essgewohnheiten achten nicht darauf, dass die Fütterung der Tiere einen vielfachen Getreideeinsatz erfordert, bis zum Verhältnis sechs Kilo Geteide für ein Kilo Fleisch und dass die Haltungsbedingungen nicht selten unappetitlich sind.

Den Kaufleuten ist auch nicht anzulasten, dass durch jahrzehntelange Chemiedüngung die Böden zerstört werden. Sie müssen (noch?) nicht wissen, dass mit jeder Tonne Bodenabtrag auch jenes CO2 freigesetzt wird, das der Boden massenhaft bindet. Der Zusammenhang zwischen dem Verlust der Bindungsfähigkeit des Bodens und der „Fütterung“ der Pflanzen wird verschwiegen, weil sich mit dem Einsatz der chemischen Düngung der Hektarertrag verdoppeln lässt. Was nur stimmt, wenn man die heutige Landwirtschaft mit dem Zustand im Jahre 1830 vergleicht.

Nachhaltigkeit muss in der Lebensmittelwirtschaft also mehr sein als nur vordergründige Anpassung. Unsere heutige technische und wissenschaftliche Intelligenz muss in der Lage sein, den Prozess eines kräftigen Wachstums in gesunden Böden zu verstehen, anders als unsere Altforderen im 19. Jahrhundert. Der Weg zur Nachhaltigkeit in der Lebensmittelwirtschaft ist machbar, muss aber beim Leben im Boden beginnen, das Chemie nicht verträgt, sonst bleibt alles nur Stückwerk!

Erich Margrander
Herausgeber

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