Start / Ausgaben / BioPress 56 - August 2008 / Umsatzsteigerung für Bio-Lebensmittel bei 15 Prozent

Umsatzsteigerung für Bio-Lebensmittel bei 15 Prozent

{mosimage}Mit einem weiterhin zweistelligen Zuwachs konnte sich im Jahr 2007 der Umsatz mit Öko-Lebensmitteln in Deutschland erneut um 700 Millionen Euro auf 5,3 Milliarden steigern. Nachdem nun alle verfügbaren Daten aus dem allgemeinen Lebensmittelhandel (LEH) vorliegen, wird deutlich, dass der Umsatzzuwachs mit Öko-Lebensmitteln im allgemeinen LEH in 2007 mit rund 550 Millionen Euro gegenüber 2006 zugenommen hat. Das entspricht einer Steigerung um 24 % und macht einen Anteil am gesamten Öko-Umsatzzuwachs in Deutschland von knapp 79% aus. Diese Zahlen zeigen, dass das Markt-Wachstum vor allem im LEH stattfindet.

Der Umsatzanstieg im allgemeinen LEH war im Wesentlichen auf vier Faktoren zurückzuführen: Der größte Wachstumsimpuls ist 2007 wie auch 2006 von der Sortimentsausweitung bei verschiedenen Discountern und beim Branchenprimus Edeka ausgegangen. Des Weiteren sind 2007 weitere Einzelhandelsgeschäfte (u. a. im Discount-Bereich) neu in den Absatz mit Öko-Produkten eingestiegen. Außerdem haben nahezu alle Geschäftstypen des allgemeinen LEH hohe Absatzsteigerungen im bestehenden Sortiment verzeichnet. Schließlich haben angebotsbedingte Knappheiten in der Versorgungslage mit Öko-Lebensmitteln zu deutlichen Preis- und damit Umsatzsteigerungen auf der Einzelhandelsstufe geführt. Neben dem allgemeinen LEH haben nur noch die Naturkostläden (hier vor allem die Bio-Supermärkte) und die Drogeriemärkte von dem „Bio-Boom“ profitieren können.

Der rasche Distributionsausbau und die damit einhergehende starke Erhöhung der Verkaufsfläche für Öko-Produkte hat in den letzten Jahren das starke Wachstum im LEH bestimmt. Da sich dieser Distributionsausbau nun deutlich verlangsamt, wird das Marktwachstum künftig überwiegend durch die Verbreiterung und Vertiefung des Bio-Sortimentes in den einzelnen Verkaufsstellen erfolgen. Das hierdurch erzielbare Wachstum wird nur dann die hohen Werte der letzten Jahre erreichen können, wenn die Lebensmittelhersteller diese Angebotserweiterung mit hohem Tempo mitgehen.

Analysen haben gezeigt, Verbraucher sind auch durchaus bereit höhere Preise für qualitativ hochwertige Öko-Produkte zu akzeptieren, sofern sie von der Herkunft aus der ökologischen Erzeugung und der Vorteilhaftigkeit für die eigene Gesundheit bzw. weiteren positiven Folgewirkungen der Produktion auf ökologische, ökonomische und soziale Faktoren überzeugt sind (RIPPIN 2008).

Der „Bio-Boom“ in Deutschland hält nun schon das vierte Jahr in Folge an, was auch deswegen besonders bemerkenswert ist, als sich die durchschnittlichen Einkommen der Verbraucher in den letzten vier Jahren real nicht erhöht haben. Dies zeigt, dass deutsche Verbraucher keineswegs nur Billig-Lebensmittel kaufen wollen, sondern auch im Jahr 2007 bereit waren, im Vergleich zum Vorjahr 15 % mehr Geld für Öko-Lebensmittel auszugeben.

Trotz zum Teil beträchtlicher Preissteigerungen bei einzelnen Produkten (z. B. Milch, verschiedene Obst- und Gemüsearten) wurden noch größere Mengen gekauft. Inwieweit Umsatzrückgänge bei einzelnen Obst- und Gemüsearten auf Preissteigerungen oder auf Lieferengpässen beruhen, kann ohne tiefergehende Analysen nicht mit Bestimmtheit festgestellt werden.

Die Tabelle verdeutlicht die Entwicklungen der Öko-Lebensmittelumsätze (ohne Außer-Haus-Verzehr) in Deutschland seit 2000. In absoluten Umsätzen haben nicht alle Absatzkanäle von dem Marktwachstum profitiert. Das unterschiedliche Ausmaß der Gewinner am Öko-Markt wird deutlich, wenn man die Marktanteile betrachtet. Große Anteile am Öko-Markt haben seit 2000 der allgemeine Lebensmittelhandel (einschließlich Discounter) und die „Sonstigen“ (vor allem Drogeriemärkte) hinzugewonnen. Im Vergleich von 2007 zu 2006 hat nur der allgemeine Lebensmitteleinzelhandel (einschließlich Discounter) seine Bedeutung am Öko-Markt ausgebaut. Beim absoluten Umsatzwachstum konnten auch die Naturkostfachgeschäfte von 2006 auf 2007 um rund 100 Millionen Euro zulegen. Hierbei sei betont, dass es sich bei diesen Daten – im Gegensatz zu anderen Berechnungsmethoden des Naturkosthandelumsatzes – ausschließlich um Lebensmittelumsätze der Naturkostfachgeschäfte und Bio-Supermärkte handelt. Ebenfalls nicht enthalten sind die Lebensmittelumsätze von direkt vermarktenden Öko-Landwirten in Hofläden, die den Erzeugern zugerechnet wurden.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich sowohl beim allgemeinen LEH als auch beim Naturkostfachhandel größere Umwälzungen. Beim LEH haben 2007 die Discounter insgesamt am stärksten zugelegt. Sehr hohe zweistellige Umsatzsteigerungen im bestehenden Sortiment wurden auch von selbstständigen Einzelhändlern (insbesondere Edeka) und von kleineren Handelsketten mit starkem Öko-Engagement der Geschäftsführung (z. B. tegut) gemeldet.

Starke strukturelle Veränderungen finden auch zwischen den Naturkostläden statt. Während 2007, wie auch schon 2006, viele größere Naturkostläden zweistellige Wachstumsraten beim Umsatz verzeichneten und wieder zahlreiche neue Bio-Supermärkte eröffnet wurden, mussten viele kleinere Naturkostläden trotz des starken Marktwachstums für immer geschlossen werden, weil sie dem Wettbewerb mit dem allgemeinen Lebensmittelhandel und der steigenden Zahl von Bio-Supermärkten nicht standhalten konnten. Exakte Angaben über solche Ladenschließungen sind zwar nicht verfügbar. Wenn man aber die Adressdateien von regionalen Verkaufstellenverzeichnissen aus den Jahren 2002 bis 2004 stichprobenartig überprüft, so ergibt sich daraus ein Rückgang in der Zahl der Geschäfte, der auch dann noch im zweistelligen Prozentbereich liegen dürfte, wenn man unterstellt, dass einige Läden nur den Standort gewechselt haben.
 
Ein noch stärkerer Strukturwandel vollzieht sich bei den landwirtschaftlichen Erzeugern. Auch hier führt die steigende Zahl von Verkaufsstellen im allgemeinen Lebensmittelhandel dazu, dass viele meist kleinere landwirtschaftliche Unternehmen den Verkauf an Endverbraucher einstellen, weil er sich kaum noch lohnt. Wenn Eier, Kartoffeln, Möhren, Äpfel und Milch aus dem Öko-Landbau praktisch in fast allen Supermärkten und Discountern zu günstigen Preisen angeboten werden, dann nehmen immer weniger Verbraucher extra Wege zu Landwirten auf sich, um diese klassischen Direktvermarktungsprodukte einzukaufen.

Größere Hofläden, die neben einem breiten Sortiment auch betriebliche und regionale Spezialitäten anbieten, konnten demgegenüber auch 2007 ein deutliches Umsatzwachstum verzeichnen. Insbesondere Öko-Fleisch, das nur in wenigen Geschäften des allgemeinen Lebensmittelhandels frisch verkauft wird, ist in den letzten Jahren zu einem großen „Umsatzbringer“ für die landwirtschaftlichen Erzeuger geworden. Insgesamt dürfte aber der Umsatz aller landwirtschaftlichen Direktvermarkter (einschließlich Wochenmärkte) 2007 nach zwei Jahren mit rückläufigen Umsätzen stagniert haben. Angesichts hoher Preissteigerungen für Öko-Lebensmittel auch auf diesem Absatzweg bedeutet das aber, dass die Erzeuger auch 2007 geringere Mengen an Endverbraucher verkauft haben.

Unter der zunehmenden Verfügbarkeit von Öko-Brot und -Backwaren in immer mehr Einkaufsstätten hat der Umsatz der Bäckereien 2007 offensichtlich nicht gelitten. Sie konnten auch laut Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) mit einem Umsatzplus wieder Marktanteile zurück gewinnen (ZMP 2008). Bei dem zweiten Hauptvertreter des Lebensmittelhandwerks, den Fleischereien, bremsten zwar zunehmende Angebotsengpässe das Wachstum der Angebotsmenge, führten aber gleichzeitig zu steigenden Preisen, so dass der Umsatz insgesamt ebenfalls gesteigert werden konnte. Reformhäuser haben dagegen schon im dritten Jahr in Folge beträchtliche Umsatzeinbußen (nicht nur im Öko-Lebensmittelbereich) hinnehmen müssen. Der einstige Pionier der Vermarktung von Öko-Lebensmitteln, der im Jahr 2000 noch über einen 10-prozentigen Marktanteil verfügte, hat es offensichtlich nicht geschafft, bestehende Kunden nachhaltig an sein Verkaufskonzept zu binden bzw. genügend jüngere Neu-Kunden zu gewinnen. Das in den Jahren 2003 bis 2005 stürmische Umsatzwachstum der Drogeriemärkte, das im Wesentlichen durch den Neu-Einstieg einiger Ketten und die beträchtliche Sortimentsausweitung bestehender Ketten erzielt wurde, hatte sich seither deutlich verlangsamt. Auch hier scheint der direkte Wettbewerb mit dem allgemeinen LEH und Bio-Supermärkten härter geworden zu sein.

Das Umsatzwachstum mit Öko-Lebensmitteln insgesamt hätte 2007 deutlich höher ausfallen können, wenn nicht zunehmende Versorgungsengpässe die Sortimentsausweitung gebremst hätten. Das in den letzten vier Jahren starke Wachstum der Verbrauchernachfrage nach Öko-Lebensmitten hat sich bislang nicht auf die Bereitschaft einer steigenden Zahl deutscher Landwirte ausgewirkt, ihre Betriebe auf den Öko-Landbau umzustellen. Nach neuesten Daten der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) ist die Fläche nur um knapp 5% gegenüber 2006 gestiegen. Das heißt, die Schere zwischen dem Angebot aus Inlandserzeugung und der Nachfrage der Verbraucher ist auch 2007 weiter auseinander gegangen.

Die Beschaffung von Öko-Lebensmitteln wird daher auch 2008/2009 das beherrschende Thema im Handel mit Öko-Lebensmitteln bleiben, denn ein Ende des deutschen „Bio-Booms“ ist auch nach Analyse der Zahlen für das erste Halbjahr 2008 nicht in Sicht. Auch in unseren Nachbarländern (z.B. in Österreich, Dänemark und Großbritannien) verzeichnete der Umsatz mit Öko-Lebensmitteln 2007 hohe Zuwachsraten. Entgegen der Wünsche vieler Verbraucher und zunehmend auch der Einkäufer einiger Handelsketten, wird daher den Anbietern in Deutschland nichts anderes übrig bleiben, als die steigende Nachfrage nach Öko-Lebensmitteln zunehmend durch Rohstoffimporte aus osteuropäischen EU-Ländern und Drittländern zu decken.

Möchte man verstärkt Bio-Rohstoffe aus der heimischen Erzeugung, ist es erforderlich, die Umstellung auf den ökologischen Landbau attraktiver zu gestalten und das Umstellungsrisiko für die Erzeuger zu reduzieren. Neue Modelle der Vertragsgestaltung zwischen der Landwirtschaft, Verarbeitungsindustrie und Handel sind gefragt, um das Absatzrisiko auf mehrere Schultern zu verteilen. Ob die in einzelnen Bundesländern leicht erhöhten Umstellungsprämien sehr viel mehr Landwirte zu einer Umstellung auf den Öko-Landbau bewegen können, bleibt abzuwarten.

Literaturhinweis
RIPPIN, M. (2008): Analyse von Forschungsergebnissen im Hinblick auf die praxisrelevante Anwendung für das Marketing von Öko-Produkten. Zusammenfassung – vergleichende Betrachtung und Erarbeitung von Empfehlungen für die Praxis. AgroMilagro research, Bornheim, Deutschland, S. 104. www.agromilagro.de

ZMP (2008): ÖKOMARKT Jahrbuch 2008. Verkaufspreise im ökologischen Landbau 2006/2007. ZMP GmbH, Bonn, S. 124. www.zmp.de

Markus Rippin

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