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Grain ohne Deal – bedrohte Erfolgsgeschichte

Es ist eine der noch immer wenig beachteten ukrainischen Erfolgsgeschichten: die Befreiung und Wiedereröffnung der Schwarzmeer-Route

Grain ohne Deal – bedrohte Erfolgsgeschichte © Anastasiia Bilych/ Arnika Organic

Vor einem Jahr scheiterte der ‚Grain Deal‘, das Abkommen, das die nicht zuletzt für die Welternährung wichtige Schwarzmeer-Route ab Odesa  und weiterer Hafenstädte absichern sollte. „Alle Schiffe, die ukrainische Häfen anlaufen, sind militärische Ziele!“, verkündete das russische Verteidigungsministerium nach der Aufkündigung des so genannten ‚Grain Deals‘ im Hochsommer 2023. Effektiv respektiert hatte die russische Armee das internationale Abkommen zum Schutz der Schwarzmeer-Route nie. Dennoch nehmen die Getreideexporte der Ukraine seit Monaten wieder zu.

Was internationale Verhandlungsversuche nie schafften, garantierten die ukrainischen Streitkräfte und Behörden im Alleingang mit der fortschreitenden Zerschlagung der russischen Marine-Infrastruktur auf der Krim und der Versenkung eines substantiellen Anteils der russischen Kriegsflotte. Dies ermöglichte es, einen eigenständigen Sicherheitskorridor einzurichten.

Nachdem die Ukraine den Betrieb ihrer wichtigsten Seehäfen am Schwarzen Meer unabhängig wieder aufnahm, stiegen die Getreideexporte gemäß einem Bericht des ‚Foreign Agricultural Service‘ (FAS) des US-Landwirtschaftsministeriums. Das ‚Global Agricultural Information Network‘ der FAS zeigt, dass nach einem anfänglichen Rückgang infolge des Rückzugs Russlands aus der Schwarzmeer-Getreide-Initiative im Juli 2023 das Gesamtvolumen der Getreideexporte von zwei Millionen Tonnen im September 2023 auf 5,2 Millionen Tonnen im Dezember angestiegen ist. Nach verschiedenen Berichten steigen die Exporte über die Schwarzmeer-Route seither stetig und erreichen zeitweise das Niveau vor Beginn des flächendeckenden russischen Angriffskriegs.

Angriffe gehen weiter

Nach dem Rückzug aus dem Getreideexportabkommen bombardierte Russland die Getreideinfrastruktur in den ukrainischen Schwarzmeerhäfen und auf der Donau, namentlich Ismajil. In der vergleichsweise kleinen Hafenstadt sind der Hafen und die nahen Wohngebiete gleichermaßen von den Angriffen betroffen. Regelmäßige Angriffe sind bis heute zu verzeichnen. Gerade weil die russische Marine es nicht mehr schafft, die Seehoheit aufrechtzuerhalten, nehmen die Raketenangriffe, meist von der Krim aus, oft zivile Ziele ins Visier. Als eigentlicher Racheangriff muss etwa die Zerstörung der Juristischen Akademie in Odesa, aufgrund der pittoresken Architektur im Volksmund ‚Harry Potter-Schloss‘ genannt, gelten.

Großes Potenzial: europäische Logistik-partnerschaft

Die Schwarzmeer-Route ist und bleibt für die ukrainische Agrarwirtschaft und die globale Ernährungssicherheit überlebenswichtig. Gleichzeitig haben die ukrainischen Export- und Logistikunternehmen in Kooperationen mit ihren EU-Nachbarländern seit Beginn des russischen Angriffskriegs die Alternativen auf dem Fluss- und Schienenweg massiv ausgebaut.

Im Mai 2024 erneuerte die EU die nach Beginn des ausgeweiteten russischen Angriffskriegs eingeführten erleichterten Importregelungen von ukrainischen Agrargütern. Dies vereinfachte den Ausbau von alternativen Logistik-Routen via Ost- und Nordsee-Häfen. Mit der Anbindung an die europäischen Seehäfen entstehen zudem Alternativen für die globalen Lieferpartnerschaften – eine weitere Entlastung der Schwarzmeer-Route und eine Chance für neue weltweite solidarische Wirtschaftskooperationen.

Kann die EU ihre Ostgrenze schützen?

Die seitens der EU gewährten Handelserleichterungen für ukrainische Agrargüter erweisen sich allerdings in der logistischen Realität als zweifelhaft verlässlich. Offizielle Grenzsperren, vor allem seitens der polnischen Behörden, konnten im Frühling 2023 dank EU-Vermittlung zwar beigelegt werden. Regelmäßige illegale Grenzblockaden überwiegend an der polnischen Grenze sorgen jedoch für starke Einschränkungen. Bei den Aktionen handelt es sich meist nicht um eigentliche ‚Bauernproteste‘, sondern um mutmaßlich von russischer Seite unterstützte Provokationen. Bemerkenswerterweise sind die nach wie vor unter gewissen Einschränkungen möglichen Importe aus Belarus und Russland kaum von ähnlichen Aktionen betroffen. Verständlicherweise kommt seitens der ukrainischen Behörden und Branchenvertretungen die Frage auf: Ist die EU überhaupt fähig, ihre eigene, vermeintlich friedliche Ost-Grenze zu schützen?

Notwendig: verlässliche und faire Rahmenbedingungen

„Es ist notwendig, ein effektives Business-Ökosystem um die Agrarunternehmen herum zu schaffen, die trotz des Krieges weiterhin produktiv in der Ukraine tätig sind“, betonte Alex Lissitsa, CEO des Agrarunternehmens IMC und Präsident der ‚Ukrainian Agribusiness Club Association‘ (UCAB), auf der Berliner ‚Ukraine Recovery Conference‘ im Juni 2024.

In den letzten Jahren habe sich die Einsicht durchgesetzt, dass die Ukraine ein wünschenswerter Partner für die EU sei. Dies spiegle sich jedoch noch zu wenig in den Entscheidungen der Gemeinschaft wider. Es reiche nicht aus, die erleichterten Handelsbestimmungen jeweils nur für ein Jahr zu verlängern. Alex Lissitsa konkretisiert: „Die Ukraine würde es begrüßen, wenn einige Entscheidungen über Handelsvereinbarungen für die nächsten vier oder sogar zehn Jahre getroffen würden.“

„Es ist ebenso wichtig zu verstehen, wie sich die Politik entwickeln wird und wie man Investitionen rechtfertigen kann“, fügte Georg von Nolcken, CEO der Continental Farmers Group und Mitglied des UCAB-Präsidiums, hinzu. „Es muss politische Stabilität geben und einen klar definierten Weg, wie die Ukraine die EU-Standards umsetzen wird. Das heißt, einen Fahrplan der Regierungen, wie die Wirtschaft arbeiten wird, um die Aussichten und notwendigen Maßnahmen in Bezug auf die globalen Märkte zu verstehen.“

Peter Jossi

 

COA-Ukraine: Deutsch-Ukrainische Zusammenarbeit im Bereich des ökologischen Landbaus
Ökologische Produktion: Zukunft für die Jugend 
Die staatliche Institution ‚Wissenschaftliches und methodisches Zentrum für Hochschul- und Berufsvorbereitung‘ und die ‚Organic Federation of Ukraine‘ haben mit Unterstützung der ‚Deutsch-Ukrainischen Kooperation im Ökologischen Landbau‘ (COA) am 1. Mai 2024 gemeinsam ein Bio-Studentenforum organisiert. Das Forum mit dem Titel ‚Ökologische Produktion: Zukunft für die Jugend‘ diente als Abschluss eines Wettbewerbs für studentische Arbeiten über ökologische Produktion und Vermarktung. Mehr als 120 Studenten von Universitäten und Hochschulen aus der ganzen Ukraine nahmen an diesem Wettbewerb teil, der von Dezember 2023 bis Ende März 2024 stattfand. 
Erfolgreiche Konferenz ‚Ökologische Produktion und Ernährungssicherheit‘
Am 23. Mai 2024 veranstalteten die Polissya National University und die Organic Federation of Ukraine in Zhytomyr die XI. internationale wissenschaftliche und praktische Konferenz ‚Organic Production and Food Security‘. Mehr als 120 Wissenschaftler, Erzeuger, Regierungsbeamte, Vertreter öffentlicher und internationaler Organisationen sowie Studenten nahmen an dieser Veranstaltung teil, die mit Unterstützung der COA in einem Hybridformat stattfand.
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