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Frauen in der Ukraine verändern die Welt

Eine der markantesten Auswirkungen des Kriegs sind die stark gestiegenen Anforderungen an die Frauen, die in der ukrainischen Biobranche tätig sind

Frauen in der Ukraine verändern die Welt © Dr. Dreesmann
Anastasiya Volkova, Kseniia Guliyeva, Olena Stretovych und Iryna Kukhtina auf dem Biofach-Kongress zu ‚Frauen in der Ukraine‘ (v.l.n.r.)

Wie aus vielen historischen Beispielen bekannt, bewirken die kriegsbedingten Absenzen zahlreicher Männer auch im aktuellen russischen Angriffskrieg, dass die Frauen noch mehr Arbeitslast, aber in verstärktem Maß auch Leitungsverantwortung übernehmen. Diese Entwicklung müsse nun durch noch verstärkte Ausbildung der Frauen unterstützt werden, sagte Olena Deineko von der Organic Initiative Ukraine anlässlich der Präsentation einer Genderstudie.

Bei einer Veranstaltung zur Rolle der Frauen im ukrainischen Biolandbau auf dem Biofach-Kongress zeigte eine Genderstudie von Organic Initiative Ukraine, dass es hier noch viel Potenzial gibt. Wie in vielen westlichen Ländern sind die Entscheidungstragenden immer noch mehrheitlich Männer. Die Veranstaltung wurde von der ‚Deutsch-Ukrainischen Kooperation im ökologischen Landbau‘ (COA) und dem schweizerisch-ukrainischen Programm ‚Höherer Wertschöpfungshandel im Bio- und Milchsektor in der Ukraine‘ (QFTP) organisiert.

Großer Einfluss der ukrainischen Frauen im Biosektor

Weibliche Führungskräfte aus Wirtschaft, Industrie, Nichtregierungsorganisationen und politischen Institutionen in der Ukraine tauschten sich während einer 90-minütigen Veranstaltung auf der Biofach 2024 in Nürnberg über Erfolge und Herausforderungen unter den aktuellen Kriegsbedingungen aus. Zu den Hauptthemen gehörten der Prozess der ökologischen Gesetzgebung, Produkte mit höherer Wertschöpfung, Netzwerkaktivitäten und aktive Hilfe für die vom Krieg betroffene Zivilbevölkerung. Die Veranstaltung wurde moderiert von Elisabeth Rüegg und Anastasiia Pivniuk.

  • © Dr. Dreesmann
Teilnehmer und Besucher der Veranstaltung ‚Frauen in der Ukraine‘ auf der Biofach 2024

Die Gender-Studie über den Biosektor in der Ukraine hat gezeigt, dass sich Frauen in traditionell von Männern dominierten Bereichen zunehmend hervortun, Mythen entlarven und erfolgreiche Beispiele schaffen, die Unterstützung und Anerkennung verdienen. Olena Deineko, Vorstandsvorsitzende der Organic Initiative Public Association, betonte, wie wichtig es ist, bei Mädchen und ihren Eltern für entsprechende Fachrichtungen und Hochschulfakultäten zu werben, um den Anteil qualifizierter weiblicher Fachkräfte in traditionell von Männern dominierten Bereichen zu erhöhen. „Es ist dringend notwendig, im Biosektor eine Infrastruktur zu entwickeln, die den Zusammenhalt, den Erfahrungsaustausch, die gegenseitige Hilfe und die Unterstützung von Frauen, die Führungskräfte und Unternehmerinnen werden wollen, fördert“, erklärte sie.

Eine Podiumsdiskussion mit vier weiblichen Führungskräften aus dem Biosektor bot den ukrainischen Frauen eine Plattform, um sich mit den Teilnehmern auszutauschen, Verbesserungsstrategien vorzustellen und Bereiche zu identifizieren, die Unterstützung benötigen. Hier sind einige der wichtigsten Aussagen, die während der Diskussion gemacht wurden:

Iryna Kukhtina, Leiterin des öffentlichen Verbands für innovative Landwirtschaft und Zusammenarbeit sowie Präsidentin des ukrainischen Beerenverbands: „Die ukrainischen Bio-Exporteure suchen und finden weiterhin Lösungen, um ihre Exportaktivitäten fortzusetzen, die Produktqualität zu verbessern und die Vermarktung zu stärken, trotz zahlreicher Herausforderungen wie Stromausfällen, komplizierter Logistik, Mangel an Fachkräften, die zur Armee gegangen oder aus dem Land geflohen sind, Grenzblockaden und vieler anderer kriegsbeding- ter Hindernisse.“

Olena Stretovych, Direktorin von Organic Milk LLC: „Inmitten der Kriegswirren wurde unser Weg von lokalen zu globalen Bio-Märkten durch die herzzerreißende Realität unserer Hauptkunden, Frauen mit Kindern, die vor dem Krieg fliehen, vorangetrieben, ergänzt durch Herausforderungen wie die gesunkene Kaufkraft und die militärische Mobilisierung von Fachkräften. Heute sind wir stolz darauf, Bioprodukte nach Polen, Deutschland und Irland zu exportieren, planen, auch in England und den USA in die Regale zu kommen, und sind überzeugt, dass unsere hochwertigen Bioprodukte einen Platz in den Supermärkten der Welt verdienen.“

Anastasiya Volkova, Leiterin der Nichtregierungsorganisation Permakultur in der Ukraine: „Die Mission von Permakultur in der Ukraine ist es, nachhaltiges Leben in kleinen Gemeinden zu fördern und das Recht der Bewohner auf eine gesunde Umwelt durch Permakulturentwicklung zu schützen. Trotz der Herausforderungen, die der Krieg mit sich bringt, ist die Organisation bestrebt, ihren Auftrag fortzuführen, indem sie sich auf regenerative Praktiken, die Widerstandsfähigkeit der Gemeinden und Bildungsprogramme konzentriert. Partnerschaften mit Organisationen wie COA sind von entscheidender Bedeutung für den Zugang zu Spendengeldern, die für die Umsetzung von Projekten, die Bereitstellung von Ressourcen und den Aufbau von Netzwerken zur Förderung ihrer Mission in der Ukraine unerlässlich sind.“

Kseniia Guliyeva, nationale Langzeitexpertin der COA: „Der Krieg in der Ukraine hat sich auf den Biosektor ausgewirkt und zu einem Rückgang der Zahl der Betreiber geführt, trotz der finanziellen Unterstützung von verschiedenen Seiten. Außerdem kann die Durchführung von Biokontrollen in allen Teilen der Ukraine aufgrund der Auswirkungen des Konflikts auf die Infrastruktur und die Ressourcen eine Herausforderung darstellen. Die ukrainischen Zertifizierungsstellen bemühen sich jedoch nach Kräften, die Kontrollen dort fortzusetzen, wo dies möglich ist.“

Peter Jossi

 

COA-Trilogie zur Biobranche im Krieg
Auf der Veranstaltung wurde ein spezielles achtminütiges Video gezeigt, das die Leistungen ukrainischer Frauen in verschiedenen Bereichen beleuchtet und ihre Rolle als Vorreiterinnen und Führungspersönlichkeiten in der Biobranche hervorhebt. Das Video enthielt auch persönliche Geschichten mit dem Ziel, das Bewusstsein für die Errungenschaften und Herausforderungen von Frauen in der Ukraine zu schärfen. Es ist der dritte Film, den das COA-Projekt seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine hat produzieren lassen. Zusammen mit den Filmen der Jahre 2022 und 2023 dokumentiert somit eine Trilogie den ökologischen Landbau in der Ukraine unter den Bedingungen des Krieges.
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