Ausland
Bio in Kriegszeiten: Wie man das Wesentliche bewahrt!
bioPress-Korrespondent Peter Jossi im Gespräch mit Arnika Organic

Anastasiia Bilych, Fachfrau für Nachhaltige Entwicklung in der Agrarwirtschaft, wirkt seit über fünf Jahren für die Agroindustrial Group Arnika Organic – seit Anfang 2024 als Leiterin der Strategie- und Kommunikationsabteilung. Im Interview gibt sie Einblick in das mittlerweile größte Bio-Agrarunternehmen Europas.
bioPress: Frau Bilych, Agroindustrial Group Arnika Organic – bitte geben Sie uns einen Überblick...
Anastasiia Bilych: Arnika ist ein Unternehmen, das sich mit der Produktion und dem Export von landwirtschaftlichen Produkten beschäftigt, die den nationalen, internationalen und europäischen Standards für biologische Produktion und Vermarktung entsprechen. Aber zunächst einmal ist Arnika ein ganzes Ökosystem, das auf einer Fläche von 18.000 Hektaren in den ukrainischen Regionen Poltawa und Tscherkassy entstanden ist. Unsere Arbeit richtet sich an hohen Indikatoren für die wirtschaftliche, ökologische und soziale Effizienz aus.
Arnika, das sind Menschen, ein ganzes Team von Fachleuten. Wir arbeiten daran, dass das geschaffene Ökosystem lebt und sich weiterentwickelt – um Nachhaltigkeit als Gleichgewicht seiner wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Komponenten zu erreichen. Wir leisten einen Beitrag zum Aufbau des Bio-Sektors des Landes und zur Entwicklung seines internationalen Rufs.
bioPress: Arnika Organic rückt derzeit zum größten Bio-Unternehmen Europas auf – wie ist dies gelungen?
Bilych: Die Reise unseres Unternehmens begann 2012, als die Geschäftsleitung beschloss, auf ökologischen Landbau umzustellen. 2015 wurden die ersten 2.000 Hektar ökologisch zertifiziert. Seither folgte ein schrittweiser Ausbau. Unser Ziel für die nächsten Jahre ist es, die Anbaufläche, die ökologische Agrartechnologie und die erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen auf 50.000 Hektaren zu erweitern.
Die Ausweitung der Landfläche, die Aufskalierung unserer ökologischen Agrartechnologie sowie der Erfahrungsaufbau bildeten unsere Entwicklungsstrategie bis zur Invasion Russlands im Jahr 2022. Wir verfolgen diese Strategie weiterhin mit Priorität trotz der täglichen Herausforderungen des Krieges wie Sicherheitsproblemen, logistischen Schwierigkeiten und vielen sozialen Fragen.
bioPress: Der ukrainische Bio-Sektor ist sehr vielfältig – welche Rolle spielt Arnika Organic für den gesamten Sektor?
Bilych: Beim ukrainischen Landwirtschaftsmodell geht es um die Vereinigung aller Landwirtschaftsformen vom kleinbäuerlichen Hof bis zum Großbetrieb. Arnika ist nicht nur ein Produktions- und Vertriebsunternehmen, das im Bio-Sektor tätig ist. Heute ist Arnika ein Maßstab dafür, wie man ökologische Agrartechnologie skalieren kann, wie man die Lieferung mit allen Verkehrsträgern an jeden Ort der Welt entwickelt, wie man eine stabile, langfristige Interaktion mit Partnern aufbaut. Dank der vertikalen Integration schaffen wir ökologische, wirtschaftliche und soziale Mehrwerte, die wir mit der vollständigen Rückverfolgbarkeit von der Produktion bis zum Endverbrauch sicherstellen.
bioPress: Sie betonen die Solidarität aller Akteure im ukrainischen Biosektor…
Bilych: Die Ukrainerinnen und Ukrainer kennen Solidarität und Einheit nicht aus Worten und nicht aus Lehrbüchern. Für uns sind dies die praktischen Kategorien, welche uns mehr als einmal in den schwierigsten Momenten unserer ukrainischen Geschichte gerettet haben. Wir sind uns jedoch bewusst, dass Solidarität kein dauerhaftes Phänomen sein kann. Die Interessen einer bestimmten Gemeinschaft, einer Gruppe von Menschen oder Einzelpersonen können je nach Fall überwiegen. Bei der Solidarität des Biosektors geht es um das Eintreten für übergreifende Unternehmensinteressen, die zur gemeinsamen Entwicklung auf politischer Ebene und in weiteren öffentlichen Bereichen beitragen.
In der Praxis bedeutet Solidarität, verschiedene Geschäftsinteressen zu vereinen und eine konsolidierte Position zu bilden, um ein einziges Ziel zu erreichen: die Entwicklung des Biosektors in der Ukraine.
Gegenwärtig versuchen wir mit unseren Aktionen, Solidarität und eine einheitliche Position zu erreichen angesichts der Herausforderungen, die der EU-Beitritt der Ukraine mit sich bringt, insbesondere der Integration unseres Agrarsektors, einschließlich der ökologischen Landwirtschaft. Für uns ist auf diesem Weg der Austausch mit Fachverbänden der EU und der USA von unschätzbarem Wert.
bioPress: Wie sieht es mit der Solidarität und Zusammenarbeit außerhalb der Ukraine aus – Ihre Erfahrungen und Erwartungen?
Bilych: Es geht uns keineswegs darum, die Solidarität zu romantisieren oder zu hohe Erwartungen an unsere ausländischen Partner zu stellen. Im Geschäftsleben geht es nicht um Bedauern, sondern um den Markt, den Wettbewerb und die Professionalität. Das Einzige, was wir von unseren europäischen Partnern erwarten: ein freier Markt und faire Wettbewerbsbedingungen.
Zu Beginn des ‚umfassenden russischen Angriffskriegs‘ haben wir erfahren, was eine dauerhafte Partnerschaft wirklich bedeutet. Alle unsere Kunden aus der EU und der Schweiz haben die unsichere Situation, in der sich das Unternehmen und sein Team befanden, voll und ganz verstanden und unterstützt. Deshalb war es eine Zeit der gemeinsamen Entscheidungen und des 24/7-Risikomanagements. Im Ergebnis erfüllten wir im Jahr 2022 alle unsere vertraglichen Verpflichtungen und exportierten eine Rekordmenge an Bioprodukten – 40.000 Tonnen, verstärkt per Straßen- und Schienentransport – all dies unter den Bedingungen zerstörter Lieferketten, insbesondere des See- und Flusstransports.
bioPress: ‚Sich an der Wirtschaftsfront behaupten‘, so eine Ihrer Messages. Was bedeutet nach zwei Jahren ‚umfassender Angriffskrieg‘?
Bilych: Die Erkenntnis, dass wir kein anderes Leben haben und dass die Ukraine in dieser Generation siegen muss, um diesen Krieg nicht an ihre Nachkommen weiterzugeben, ist der größte Ansporn, um zu leben und zu arbeiten – Tag für Tag; dem Militär, den Angehörigen, denjenigen, die es in einem bestimmten Moment brauchen, und mir selbst zu helfen. Der Krieg ist für uns zum Leben geworden, und sein Sinn ist der Sieg, die Bewahrung des Lebens unserer Lieben und Mitbürgerinnen und Mitbürger und der Ukraine, ihre blühende, starke Entwicklung mit Zukunft. Interview Teil 1 (Teil 2 folgt in Ausgabe 120/24 Juli)
- 18.000 Hektar zertifizierte Biofläche
- 50.000 Tonnen Bruttojahresproduktion
- 1.600 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche unter Bewässerung
- 220 Einheiten selbstfahrende Maschinen
- 114.000 Tonnen Lagerkapazität für die gleichzeitige Lagerung von biologischen Landwirtschaftsprodukten
- Einhaltung der EU-, BioSuisse-, NOP-, COR- und JAS-Normen für die biologische Produktion
- 40.000 Tonnen jährlicher Export
- 1/5 des Gesamtvolumens der ukrainischen Bio-Exporte in EU-Länder
- Insgesamt über 25 Exportländer, darunter die EU, die Schweiz, der Nahe Osten, Nordamerika und Japan
- Top-3-Schlüsselkulturen wie Sojabohnen, Mais und Sonnenblumen
- Verringerung der Kohlenstoffemissionen in einer Größenordnung von 1,02-1,51 t CO²-Äq./ ha pro Jahr je nach Anbaukultur dank der vorhandenen landwirtschaftlichen Technologie