Forschung
Mehr Wertschätzung für Bio-Kälber
Forschungsprojekt ‚WertKalb‘ zeigt verschiedene Ansätze

Mehr als 22.000 überzählige Kälber werden aktuell jährlich auf Bio-Betrieben in Baden-Württemberg geboren. Die Folge sind lange Transporte im Alter von wenigen Wochen – meist zu konventionellen Mastbetrieben. Durch die Zunahme der Milchproduktion wird das Problem verschärft. Das Forschungsprojekt ‚Wertkalb‘, das 2020 unter Leitung der Universität Hohenheim gestartet wurde, hat Lösungsansätze für mehr ethische und ökonomische Wertschätzung der Bio-Kälber erarbeitet.
Vor allem männliche, aber auch überzählige weibliche Jungtiere, die nicht zum Erhalt des Bestandes an Milchkühen benötigt werden, werden im Alter von wenigen Wochen verkauft und nach Norddeutschland oder ins Ausland transportiert, um dort gemästet zu werden. Nach den Erkenntnissen der Forscher liegt die Hauptursache in der Spezialisierung der Milchviehbetriebe: „Sie hat zu einer Entkopplung des riesigen Milchmarkts und des vergleichsweise winzigen Fleischmarkts geführt: Die Nachfrage nach Bio-Milch ist ungleich höher als nach Bio-Kalb- und -Rindfleisch“, erklärt Josephine Gresham, Koordinatorin der Projektes ‚Innovative Strategien für eine ethische Wertschöpfung der Kälber aus der ökologischen Milchviehhaltung‘, kurz ‚WertKalb‘.
Doch wie kann dieses Problem gelöst werden? Gemeinsam mit Bio-Landwirten, Bio-Verbänden, Erzeuger- und Absatzgemeinschaften und einzelnen Fachleuten haben Forscher der Universität Hohenheim und der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) Strategien entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Milchviehhaltung entwickelt – von der Tierzüchtung über die Tierhaltung bis hin zur Vermarktung. Insgesamt beteiligten sich 21 Betriebe und Organisationen an dem Verbundprojekt. Der Fokus lag dabei auf den Bio-Musterregionen Ravensburg, Biberach, Hohenlohe und Freiburg.
Geburten verringern, Mast attraktiver machen
Eine Maßnahme auf Züchtungsebene besteht etwa darin, die Geburtenrate zu verringern. „Wenn in rund 13 Prozent der baden-württembergischen Betriebe die Zeit zwischen den einzelnen Geburten nur um drei Monate erhöht würde, so kämen circa sieben Prozent weniger Kälber auf die Welt, ohne dass die Milchleistung wesentlich verringert wird“, erläutert Gresham. „Es könnten sogar 14 Prozent weniger sein, würde die Zeit um sechs Monate erhöht.“
Andere Ansätze haben zum Ziel, die Mast interessanter zu machen: durch Zweinutzungsrassen, die sowohl Milch als auch Fleisch liefern, oder über sogenannte Gebrauchs- und Kreuzungszüchtungen, bei denen die Kälber schneller an Gewicht zunehmen und eine bessere Fleischqualität aufweisen. Auch durch eine stressfreie Schlachtung im eigenen Herkunftsbetrieb kann die Fleischqualität verbessert werden.
„Es kann nicht eine Strategie für alle Betriebe geben, sondern jeder landwirtschaftliche Betrieb muss individuell eine für sich passende Strategie entwickeln“, meint Gresham abschließend. Auch die Politik sei gefordert, sinnvolle und für Landwirte praktikable Rahmenbedingungen zu setzen, die Spielraum für die verschiedenen Gegebenheiten der jeweiligen Betriebe lassen.
Mehr Aufklärungsarbeit bei Konsumenten nötig
Ein entscheidender Punkt seien die Verbraucher, die Bio-Fleisch noch (zu) wenig nachfragen. Information und Aufklärungsarbeit sind nach Erkenntnissen der Forscher ein wichtiger Schlüssel, um die Nachfrage zu steigern. Laut einer repräsentativen Online-Umfrage mit 918 Teilnehmern liegt die Kenntnis über das Problem der überschüssigen Bio-Milchviehkälber mit geringem Marktwert sowie die geringe Nachfrage nach Bio-Rindfleisch bei nur sechs Prozent. Auch Label wie ‚Zeit zu zweit – für Kuh + Kalb‘ für Produkte aus kuhgebundener Kälberaufzucht sind weitgehend unbekannt.
„Vielen Menschen scheint der Zusammenhang zwischen Milch und Rind- bzw. Kalbfleisch nicht bewusst zu sein“, folgert Studienautorin Mareike Herrler vom Fachgebiet Angewandte Ernährungspsychologie der Universität Hohenheim. Eventuell würden sie die Tatsache auch verdrängen, um Schuldgefühle beim Kauf von Milchprodukten zu vermeiden. Der Tierwohlgedanke sei eines der wichtigsten Motive für den Kauf von Bio-Lebensmitteln, es brauche daher Anreize und die richtige Form der Information – zum Beispiel auch über die Optik von Qualitätsfleisch.
„Hier muss darauf hingewiesen werden, dass rotes Kalbfleisch ein Qualitätsmerkmal ist“, meint Mizeck Chagunda, Professor im Fachgebiet Tierhaltung an der Universität Hohenheim. Erwarteten Kunden bei Kalb in der Regel helles, zartes Fleisch, so sei qualitativ hochwertiges Fleisch von Kälbern aus tierwohlgerechter Haltung deutlich rot gefärbt, was auf mehr ungesättigte Fettsäuren und eine wertvollere Proteinstruktur schließen lasse.
Das Projekt WertKalb ist eines von vier Projekten im Forschungsprogramm Ökologischer Landbau, das die Landesregierung von Baden-Württemberg ins Leben gerufen und finanziell gefördert hat. Es wurde im Sommer 2023 nach einer dreijährigen Laufzeit abgeschlossen. Die Leitung lag beim Kompetenzzentrum Ökologischer Landbau an der Universität Hohenheim.