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Bio-Ukraine - widerstands-fähig, resilient, exportstark

Interview mit Taras Vysotzkyi

Bio-Ukraine - widerstands-fähig, resilient, exportstark © Quelle: Stefan Dreesmann / COA (Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau)
Together we are strong – alle Teilnehmer der Biofach-Veranstaltung ‘Ukraine: One year after the beginning of the war – innovation power of organic farmers and global supporting strategies’

Im Kriegsjahr 2022 bewies die ukrainische Biobranche mit einem Exportwachstum ihre Widerstandsfähigkeit. bioPress hat Taras Vysotzkyi, erster stellvertretender ukrainischer Landwirtschaftsminister, zu den Hintergründen dieser Erfolgsgeschichte befragt.

  • © Quelle: Stefan Dreesmann / COA (Deutsch-Ukrainische Kooperation Ökolandbau)
Messerundgang im Rahmen der Biofach 2023 mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Mitte) sowie dem ersten stellvertretenden ukrainischen Landwirtschaftsminister Taras Vysotzkyi (ganz rechts).

bioPress: Trotz des russischen Angriffskriegs ist die ukrainische ökologische Landwirtschaft durch weiteres Wachstum und erfolgreiche Entwicklung gekennzeichnet. Was sind die wichtigsten Gründe für diese Resilienz?

Taras Vysotzkyi: Unter den schwierigen Bedingungen der russischen Aggression gegen die Ukraine spitzten sich die Probleme auf den Agrarmärkten und insbesondere auf den Bio-Märkten zu, was unter anderem auf die Zerstörung von Produktionsanlagen und die Sperrung von Seewegen für Exporte aus der Ukraine zurückzuführen ist.
Politische Initiativen der EU-Kommission, die im Rahmen vom Green Deal ergriffen wurden, machen die ökologische Landwirtschaft zum Trend in den EU-Mitgliedsstaaten. Darum nimmt die Nachfrage nach ukrainischen biologischen Produkten auf den Außenmärkten zu, und die Ukraine bleibt weiterhin aktiver Player und zuverlässiger Lieferant von biologischen Produkten, indem sie alternative Exportmöglichkeiten sucht.        
2022 betrug das ukrainische Exportvolumen von biologischen Produkten in die EU und die Schweiz 225.814 Tonnen. Damit liegt dieser Kennwert um 13 Prozent höher als im Jahre 2021. Dieses Ergebnis konnte unter anderem dank dem Umstand erreicht werden, dass sich die ganze Welt zusammenschloss, um die Ukraine und insbesondere ihre ökologische Landwirtschaft zu unterstützen. Dank internationalen Gebern konnten Förderprogramme in Gesamthöhe von über 900.000 US-Dollar umgesetzt werden. Die Zuschüsse boten die Möglichkeit, die ökologischen Betriebe während des Krieges weiterzuführen, ermutigten die Betreiber, weiterhin an internationalen Ausstellungen teilzunehmen und nach Möglichkeiten zu suchen, den Absatz und die Exportmöglichkeiten zu erweitern.
Die Maßnahmen zur Aufhebung von Importtarifen und Quoten für ukrainische Waren sowie zur Einstellung der zusätzlichen Kontrolle über die in die EU auszuführenden biologischen Produkte wirkten sich positiv auf das Exportpotential der ökologischen Landwirtschaft in der Ukraine aus. Zurzeit liefern ukrainische Exporteure biologische Produkte auf die EU-Märkte ohne zusätzliche Kontrollen. Es ist ein wichtiger Faktor für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der ukrainischen ökologischen Landwirtschaft.
Zu Beginn der russischen Invasion gab es einige Probleme bei der Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln. Diese wurden durch massenhafte Migration der Bevölkerung in die westlichen Regionen der Ukraine und ins Ausland, vernichtete Lieferungsketten, zerstörte Infrastruktur und die Schließung einiger Handelsketten verursacht. Trotz dieser Probleme steht den ukrainischen Verbrauchern heute ein breites Lebensmittelsortiment, insbesondere ökologisch hergestellte Lebensmittel, zur Verfügung.     

bioPress: Wie können unsere Partner in Westeuropa, vor allem Deutschland und die Schweiz, aus der Sicht der aktuellen Situation und der nahen Zukunft diesen Erfolg unterstützen und verstärken?

Vysotzkyi: Angesichts des andauernden Kriegszustands in der Ukraine besteht weiterhin die Gefahr, dass insbesondere Klein- und Mittelunternehmen schließen müssen, weil die Kosten für die ökologische Zertifizierung und die Anschaffung der für die Bio-Produktion zugelassenen Pflanzenschutz- und Düngemittel für sie heute eine zu hohe finanzielle Belastung darstellen. Unter diesen Bedingungen ist es wichtig, die Leistungsfähigkeit der ökologischen Landwirtschaft in der Ukraine mittel- bis langfristig zu erhalten und die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern in diesem Bereich fortzuführen.
Als Beispiele für gelungene Zusammenarbeit dienen unter vielen anderen das schweizerisch-ukrainische Quality Food Trade Program (QFTP), das von der Schweiz finanziert und von dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL, Schweiz) in Partnerschaft mit der Fa. SAFOSO AG (Schweiz) umgesetzt wird, sowie das Projekt ‚Deutsch-ukrainische Zusammenarbeit im Bereich Ökolandbau‘ (COA). Im Rahmen dieser Zusammenarbeit werden Experten einbezogen, um Rechtsvorschriften für biologischen Landbau, Umlauf und Kennzeichnung von biologischen Produkten zu entwickeln, Informations- und Weiterbildungsmaßnahmen für Vertreter der ökologischen Landwirtschaft durchzuführen, Kontrolleure der zuständigen Behörde für staatliche Kontrollen über die Einhaltung gesetzlicher Anforderungen durch Marktteilnehmer vorzubereiten und ukrainische Hersteller bei der Teilnahme an verschiedenen, auch internationalen Messen zur Präsentation und Promotion inländischer Produkte auf den Außenmärkten zu unterstützen.  
Da die Entwicklung des Bio-Marktes eine der Prioritäten der ukrainischen Agrarpolitik ist, bleibt die fachliche Unterstützung durch die Projekte der internationalen technischen Hilfe unter den aktuellen schwierigen Bedingungen be- sonders aktuell. Darum hoffe ich, dass die Fortsetzung dieser Zusammenarbeit nach den oben angegebenen Schwerpunkten zur Stärkung des nationalen Potentials des Biolandbaus beitragen wird.  

bioPress: Die EU-Integration der Ukraine ist von der wichtigsten Bedeutung für den Agrarsektor, insbesondere für ökologische Landwirtschaft. Welche Maßnahmen (rechtlicher, normativer und logistischer Art) sind heute am wichtigsten?

Vysotzkyi: Die ökologische Landwirtschaft wie auch die Agrarindustrie im Allgemeinen leiden heute durch den Krieg. Aber schon heute denken wir über den Wiederaufbau der Ukraine nach, der die Ukraine der europäischen Gemeinschaft näherbringen soll. Der EU-Beitrittskandidatenstatus der Ukraine ist ein klares Zeugnis davon. Neben der Umsetzung des nationalen Rechts arbeiten wir heute an seiner Anpassung an die neuen EU-Regelungen im Bereich von Produktion, Umlauf und Kennzeichnung der Bio-Produkte.
Zu den prioritären Aufgaben gehört auch die Schaffung der Rahmenbedingungen, die den gewissenhaften biologischen Herstellern, die heute nach den EU-Normen arbeiten, erlauben, im Rahmen des nationalen Rechts zu wirtschaften. Diese Rahmenbedingungen sichern einen gesunden Wettbewerb auf dem Markt. Der Verbraucher bekommt eine Garantie dafür, dass die erworbenen Produkte seinen Erwartungen entsprechen: Diese Garantie bietet das entsprechende Kontrollsystem, das mit der Schaffung des nationalen Rechtsfelds möglich sein wird. Diese Ziele beschreiben die generelle Richtung hin zur Entwicklung des Bio-Marktes und zur Schaffung des Vertrauens der Verbraucher in die Produkte mit dem Bio-Zeichen.
Am 23. September des Vorjahres feierte die Ukraine mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten zum ersten Mal den EU-Bio-Tag. Damit bekräftigte sie nochmals ihre europäischen Integrationsbestrebungen und die Treue gegenüber dem Europäischen Green Deal.

bioPress: Die ökologische Landwirtschaft entwickelt sich auch auf dem Binnenmarkt. Wo liegen hier die wichtigsten Ziele, Herausforderungen und Hausaufgaben?

Vysotzkyi: In den letzten Jahren war auf dem ukrainischen Binnenmarkt die Erweiterung des Sortiments von Bio-Produkten und der Absatz über wichtige Handelsnetze festzustellen. Das ukrainische Ministerium für Agrarpolitik und Ernährung schuf in Kooperation mit der Bio-Gemeinschaft die Voraussetzungen dafür, dass in naher Zukunft auf den Regalen ukrainischer Geschäfte die Produkte erscheinen, die gemäß den nationalen Rechtsvorgaben zertifiziert und mit dem staatlich anerkannten Bio-Zeichen gekennzeichnet sind.
Zum heutigen Zeitpunkt ist die Schaffung des nationalen Rechtsrahmens für ökologische landwirtschaftliche Produktion, Umlauf und Kennzeichnung der Bio-Produkte abgeschlossen. Dieser Rahmen bestimmt wichtige Grundsätze und Anforderungen an den Biolandbau, legt Arbeitsprinzipien von Verwaltungsstellen und Marktteilnehmern fest und stellt die Kontrolle in diesem Bereich sicher. Der Start dieses Rechtsrahmens ist im Moment ‚auf Pause‘ gesetzt, weil es noch in der Ukraine keine Zertifizierungsstellen gibt, die gemäß den nationalen Standards akkreditiert sind, und keine Unternehmen, deren Produktion gemäß dem ukrainischen Recht zertifiziert ist. Es ist zum einen auf die Situation zurückzuführen, die in der Ukraine wegen des russischen Angriffskriegs zu Stande kam. Zum anderen hat es mit einem langen Verfahren zur Akkreditierung der Zertifizierungsstellen gemäß den nationalen Standards zu tun, was eine wichtige Voraussetzung ist, um Bio-Produkte gemäß dem ukrainischen Recht zertifizieren zu können.
In diesem Zusammenhang hat das Agrarministerium zurzeit keine Möglichkeit, das staatliche Register der Zertifizierungsstellen für Bio-Produkte zu erstellen sowie die Bio-Betriebe, deren Produktion und/oder Warenumlauf gemäß dem ukrainischen Recht zertifiziert sind, ins staatliche Register der Bio-Betriebe einzutragen.
Es sei anzumerken, dass in der Vorkriegszeit die Prüfungen für Kontrolleure der ökologischen Landwirtschaft durchgeführt wurden, wobei 31 Kontrolleure anerkannt wurden. Dies ermöglichte, das Verfahren zur Akkreditierung der Zertifizierungsstellen in der nationalen Akkreditierungsagentur der Ukraine zu beginnen. Der erfolgreiche Abschluss dieser Akkreditierung gibt dem Agrarministerium die Möglichkeit, staatliche Register für Bio-Betriebe, Zertifizierungsstellen, ökologisches Saatgut und Pflanzmaterialien aufzufüllen.
Trotz der aktuellen Schwierigkeiten legte die Ukraine langfristige Indikatoren für die Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft bis 2030 fest. Die nationale Wirtschaftsstrategie 2030 sieht die Erhöhung der ökologisch bewirtschafteten Flächen bis auf mindestens drei Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen und die Steigerung des Exportes von Bio-Produkten bis auf eine Milliarde US-Dollar vor.
Ich habe keinen Zweifel an den großen Perspektiven des biologischen Landbaus in der Ukraine, weil biologische Hersteller ihrem Geschäft treu bleiben und sich bei der Erzielung positiver Effekte in Kooperation mit der ganzen zivilisierten Welt unbeugsam zeigen. Darum besteht unsere Hauptaufgabe als eines Ressorts, das für die Politik in diesem Bereich zuständig ist, darin, durch die Synchronisierung des ukrainischen Rechts mit dem der Europäischen Union und die Integration des ukrainischen Bio-Marktes in den der EU-Mitgliedsstaaten die Entwicklung des Bio-Sektors maximal zu fördern.

Interview: Peter Jossi mit Unterstützung des deutschen Projektes COA

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