Editorial
Editorial Ausgabe 114/Januar 2023, 1. Quartal
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Liebe Leserinnen, liebe Leser.
Der Herbst entlaubt die Bäume und macht den Blick hinter die Kulissen sichtbar. Krise und Chaos bringt Gewinner und ein Vielfaches an Verlierern hervor. Gewinne müssen ja bezahlt werden. Die einen schämen sich für die Preissprünge, andere können nicht schnell genug noch mehr davon kriegen. Schön, dass es einen gibt, der als Auslöser und Schuldiger herhalten muss: Putin. Dabei hat die Preisbewegung schon vor Kriegsausbruch begonnen. Im üblichen Turnus, könnte man sagen. Eine Billion mehr in den Kriegskassen der Kapitalisten und Konzerne ist heute nur noch eine Kleinigkeit. Das muss mehr werden.
Deutschland setzt zum großen Sprung in die Transformation an. Ein Schalk, der glaubt, der Krieg habe nichts damit zu tun und auch nicht die Preistreiberei. Einmal waren es die überhitzten Aktienmärkte, dann ein groß angelegter Immobiliencrash oder die Terroristen. Mit dem Knall der Russen erleben wir wieder einen groß angelegten Generalangriff auf alles.
Energie für die Mobilität und Versorgung der Industrie und Haushalte, Lebensmittelpreise und selbst Toilettenpapier, alles ist gleichermaßen betroffen. Wen wundert es da, dass Stillstand die Antwort ist?
Monatelang wollte es keiner aussprechen. Alle Preise gerieten ins Rutschen, allerdings in Richtung aufwärts. Da ist die Biobranche keine Ausnahme. Auch wenn die sich vielleicht nicht so aggressiv betroffen zeigt. Umsatzeinbrüche durch Kaufzurückhaltung machen Schlagzeile. Untergangsstimmung schüren gar die Großen in der Biobranche, weil sie nach 15 Prozent Wachstumssprung jetzt drei Prozent einbüßen müssen.
Da dürfen dann alle auch etwas kürzer treten bei der Leistung. Schließlich muss ja ein Ausgleich her. Gefühlt ist die Wirtschaft um rund drei Monate hinterher. Der Winteranfang signalisierte dann endlich eine positivere Stimmung in den Auftragsbüchern. Also doch kein Weltenende. Auch wenn man sich das für manche Auswüchse dringend wünschen sollte.
Dann können wir uns ja jetzt wieder dem Transformieren widmen. Ein hoffnungsvolles Wort nach Begriffen wie Nachhaltigkeit und Resilienz.
Mehr Bio in den Regalen wird dringend notwendig bei dem 30 Prozent ausgerufenen Ziel für Bio. Wer da alles aufspringt. Herkömmliche Hersteller entdecken Bio. Und der Fachhandel erkennt jetzt auch, dass Bio-Marken im LEH nicht schaden, sondern, im Gegenteil, dem Fachhandel nützen, wegen der höheren Bekanntheit im Verbrauchermarkt. Und noch wichtiger: Wo sie nicht stehen, kommen andere. Der Mainstream wartet nicht.
Na, da fehlt ja nur noch die Klärung, wie damit umgehen. Hier die Speerspitze, dort die Massenverbringer! Ganz vergessen? Nur zwei dicke Fische machen zwei Drittel des Umsatzes im Naturkostfachhandel. Das nenn ich Masse(nverdrängung).
Wir sammeln jetzt die Top 100 Kaufleute mit Bio. Und dann die nächsten 1.000 Outlets. Dort schauen wir, was die gut machen und was denen fehlt, um zu sehen, wie sie unterstützt werden können. Ohne Ausgrenzung durch Ideologie. Damit ist nicht gemeint, dass die Branche Werte aufgibt. Fairness im Austausch miteinander, ökologisches Denken als Attribut an die Natur, Zurückhaltung beim Ressourcenverbrauch für den Klimaschutz und einiges mehr ist in vielen Köpfen angekommen und haftet nicht mehr nur an wenig Händen.
Was fehlt, sind neue Ideen und der notwendige Glaube an Veränderungen. Wir wissen doch, dass beispielsweise das Plastikproblem nur mit der Schließung der Plastikfabriken bei BASF und Konsorten zu machen ist. Nicht mit Recycling. Warum trauen wir uns nicht? Ich kaufe ein mit einer von Tunesien vor 15 Jahren geschenkten großen Sisaltasche. Ich kämpfe eher mit dem Problem, wie ich mein unverpacktes Obst und Gemüse von der Auslage zur Kasse bringe.
Neu denken heißt, alte Hüte ablegen, den Talar entstauben und Platz für Neues schaffen. Beispielsweise nicht Nachhaltigkeit kopieren, sondern einfach Bio-Angebote schaffen. Ist Neues passiert, wird die Wissenschaft das danach wieder aufgreifen, in Statistiken quetschen und Marketing aus dem dann neuen Zustand generieren. Oder leistet sie mehr Folgenabschätzung? Ohne Zwänge, frei im Denken, mehr Teilhabe? Vielleicht dürfen wir uns trauen und die Brücken bauen vom Acker auf die Teller, von denen so viele reden.
Erich Margrander
Herausgeber