Forschung
Pestizidfolgen unter der Lupe
Ein Expertenbericht bestätigt den Zusammenhang zwischen Pestizidbelastung und bestimmten Krankheiten
Krebs, Parkinson und kognitive Störungen: Die französische Forschungseinrichtung INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale) hat Ende Juni einen neuen Expertenbericht über die gesundheitlichen Auswirkungen von Pestiziden veröffentlicht. Über 5.300 Dokumente aus der jüngsten wissenschaftlichen Literatur hat eine multidisziplinäre Forschergruppe für den ‚Collective Expert Review 2021‘ analysiert.
Der Expertenbericht bestätigt, dass beim beruflichen Kontakt mit Pestiziden ein starker Zusammenhang mit folgenden Krankheiten vermutet wird: Non-Hodgkin-Lymphome (NHL, Krebserkrankungen des lymphatischen Systems), Multiples Myelom (Knochenmark-Erkrankung), Prostatakrebs und Parkinson-Krankheit; sowie kognitive Störungen und chronische Bronchitis.
Hoch ist auch der vermutete Zusammenhang zwischen einer Pestizid-Exposition der Mutter während der Schwangerschaft und akuter Leukämie sowie Tumoren des zentralen Nervensystems beim Kind, außerdem neuropsychologischen und motorischen Entwicklungsstörungen.
Ein mäßiger Zusammenhang wurde zwischen der Pestizidbelastung und der Alzheimer-Krankheit, Angstzuständen, Depressionen, bestimmten Krebsarten (zentrales Nervensystem, Blase, Niere, Leukämie, Weichteilsarkome), Asthma und Schilddrüsenerkrankungen festgestellt.
Risiken von Chlordecon bis Glyphosat
Mit Blick auf einzelne Pestizide greifen die Experten den Fall des mittlerweile verbotenen Pestizids Chlordecon auf, das zwischen 1973 und 1993 in großen Mengen auf den Bananenplantagen der Französischen Antillen eingesetzt wurde. Der Verzehr der damit kontaminierten Lebensmittel habe zu einer erheblichen Vergiftung der gesamten Bevölkerung geführt. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der Chlordecon-Belastung und dem Risiko für Prostatakrebs wird als wahrscheinlich angesehen.
Mäßig wahrscheinlich wird der Zusammenhang zwischen Glyphosat und Non-Hodgkin-Lymphomen bewertet. Weniger eindeutig stellten sich mögliche Zusammenhänge für das Multiple Myelom und Leukämie dar. In Versuchen traten übermäßige Fälle von Tumoren nur bei sehr hohen Glyphosatdosen und nur bei bestimmten Nagerstämmen auf.
Für die umstrittenen SDHI-Fungizide, die seit 30 Jahren eingesetzt werden und die Zellatmung der Zielarten hemmen, gibt es praktisch noch keine epidemiologischen Daten über die gesundheitlichen Auswirkungen für Landwirte oder die Allgemeinbevölkerung. Eine krebserregende Wirkung bei Ratten oder Mäusen konnte bei einigen Studien jedoch bereits festgestellt werden.
Die Autoren des Expertenberichts fordern, dass die Erkenntnisse über die gesundheitlichen Risiken von Pestiziden von den Behörden besser berücksichtigt werden. Auch die indirekten Folgen für die menschliche Gesundheit über die Schäden in Ökosystemen durch Pestizide sollten von Entscheidungsträgern stärker gewichtet werden.
Lena Renner