Lieferketten
Ernährung und Lieferketten sicherstellen
Das Hilfswerk Misereor stellte Lösungen für die Ernährungssicherung und resiliente Lieferketten vor

Die Corona-Pandemie zeigt, wie angreifbar Lieferketten und der Zugang zu Lebensmitteln sein können. Das Online-Seminar am 27. Mai 2021 vermittelte Erfahrungen mit landwirtschaftlichen Projekten, die Lösungsansätze bereithalten. Drei Referenten von Demeter und Misereor veranschaulichten sie mit Projekten von Bolivien bis Indien, eine Referentin des Herstellers Hipp stellte die Firmenpolitik in Bananenplantagen Costa Ricas vor. Dem schloss sich eine lebhafte Diskussion an, wie verlässliche Partnerschaften herstellbar sind und welche ambivalente Rolle eine Fair-Trade-Zertifizierung spielt.
Die Pandemie stellte Nahrungsmittelproduzenten vor vielfältige Probleme: Einkaufsmöglichkeiten fielen weg, Gesundheitssysteme brachen zusammen. Zusammen mit erschwerten Lieferwegen brachte dies auch Probleme für die hiesige verarbeitende Industrie.
Einig waren sich die Vortragenden, wie sich der Zugang zu Nahrungsmitteln stabilisieren ließe: Lokale Märkte können leichter entstehen, indem statt Mono- auf Mischkulturen gesetzt wird. Denn wenn Familien ausreichend Land nutzen können, um Obst und Gemüse anzubauen, sind sie auch in Krisenzeichen abgesichert.
Hinsichtlich der Mischkulturen fiel immer wieder das Stichwort Agro-Forstwirtschaft: Dabei werden Bäume und Sträucher in vertikalen Schichten angepflanzt. So spenden sie sich Schatten und stützen sich beim Wachstum. Organische Substrate wie etwa Baumschnitt verbleiben auf dem Boden. Diese Bio-Diversität schafft Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere, die Schädlinge in Schach halten, was wiederum den Einsatz von Pestiziden überflüssig macht.
Analysen von Südamerika bis Asien
Hermann Rupp, Geograf und Referent für landwirtschaftliche Entwicklung für Misereor, zeigte den Vorteil der Mischkulturen in indischen Teeplantagen auf. Er betonte dabei, wie wichtig Fair-Trade und Bio in diesem Zusammenhang sind. Bei besseren Arbeitsbedingungen bleibe Familien mehr Zeit für die eigenen Felder, was den lokalen Markt stärke. Der Bio-Anbau wiederum verhindere Gesundheitsschäden durch Spritzmittel. Anhand der Erfahrungen einer Teeplantage in Nordindien veranschlagte er für eine Bio-Umstellung Mehrkosten von geschätzt 15 bis 20 Prozent gegenüber dem konventionellen Anbau. Doch handele es sich nur um einen einmaligen Anschub.
Jörg Elbers, ebenfalls Geograf und Referent für landwirtschaftliche Entwicklung für Misereor, stellte die Agro-Forstwirtschaft anhand des Kakao-Anbaus in Bolivien vor. Sie sei auch im Nordosten Brasiliens verbreitet, woran die Farm von Ernst Goetsch maßgeblich beteiligt sei. Er wies darauf hin, dass diese Methode kein eigenes Zertifikat trage. Je nachdem, wie sie umgesetzt werde, könne sie aber zumindest als Bio nach EU-Standard zertifiziert werden.
Evi Weichenrieder, verantwortliche für die Nachhaltigkeits-Kommunikation bei Hipp, stellte eine Bananen-Plantage in Costa Rica vor. Sie nannte drei Ziele der Zusammenarbeit: Ökologische, soziale und ökonomische. Da alles mit gesunden Boden beginne, stehen Biodiversität oder Umweltschutzmaßnahmen am Anfang. Zu den sozialen Zielen gehören die Schulförderung und gesicherte Existenzen. Zu den ökonomischen Zielen zählen die langfristigen Liefer- und Abnahmegarantien. Sicherheit und Verlässlichkeit spielten auch in der folgenden Diskussion eine große Rolle.
Christoph Simpfendörfer von Demeter International berichtete von erfolgreichen Mischkulturen etwa in Äthiopien, wo Rosenöl und der Dung aus Tierhaltung sich sinnvoll ergänzen. Ebenso stellte er den Wert von Teilflächen heraus, die für den Lebensmittelanbau nutzbar sind. Einigkeit herrscht mit den anderen Referenten in einem weiteren Punkt: Stabile Lieferbeziehung schaffen nicht nur gegenseitige Wertschätzung. Sie bieten auch Raum für weitergehende Entwicklungen.
Einen neuen Aspekt brachte Simpfendörfer mit den Beziehungen auf, die lokal aufgebaut werden. Sie dürften nicht als Einbahnstraße vom Produzenten zum Abnehmer gesehen werden, sondern erforderten eine stärkere Beteiligung der Produzenten.
Teilhabe und Verlässlichkeit schaffen Stabilität
Fair Trade bringen laut Simpfendörfer für lokale Produzenten auch Schwierigkeiten, da sie mit Kosten und großem Aufwand verbunden sind. Wenn sie daran scheitern, komme das einer Bestrafung gleich. Kleine, realistische Fortschritte wiederum würden solche Zertifizierungen nicht belohnen.
Es sei Zeit für eine Selbstanalyse: Es müssten beispielsweise partizipative Strukturen bei der Zertifizierung aufgebaut werden. Dem stimmte unter anderem Hermann Rupp zu: Bauern würden oft nur als Konsumenten von Gen-Saatgut und Spritzmitteln gesehen. Im Bio-Bereich würde beides zwar durch ökologisch bessere Alternativen ersetz, die Haltung sei aber schlimmstenfalls gleich. Statt also neue Abhängigkeiten zu schaffen, müsse Vertrauen aufgebaut werden: in den Vertriebspartner und die eigenen Ressourcen.