Editorial
Editorial Ausgabe 103/April 2020, 2. Quartal
Liebe Leserinnen, liebe Leser.
Pandemie auf allen Kanälen. Da wäre es schön, dieses Editorial könnte frei davon bleiben. Geht jedoch nicht! Die bioPress Store-Check Termine wurden aus verständlichen Gründen abgesagt. Katastrophenbewältigung ist wichtiger. Zumal im Lebensmitteleinzelhandel. Schon auf der Biofach hatten weitsichtige Firmen wegen dem Virus nicht teilgenommen. Chapeau.
Die Krise bewegt die Bioumsätze mit einem großen Schwung nach vorne. Es scheint, als habe der Verbraucher im Augenblick von Unsicherheit mit Bio einen lieben Vertrauten, dem er trauen kann! Es ist das Super-image, das seit zwei Jahrzehnten die Bio-Marktentwicklung vorwärts treibt.
Auch wenn Bio-Pioniere das nicht gerne sehen und hören wollen, die Verbraucher vertrauen nach aktuellen Umfragen auch den Bio-Eigenmarken des Handels von Jahr zu Jahr mehr und würdigen deren Preise, die sie für vertretbar und bezahlbar halten. Das stimmt so zwar nicht immer, denn bei vielen Produkten muss man sich fragen, ob das viele Geld, das dafür auszugeben ist, auch nur ansatzweise bei dem viel beschworenen Bauern ankommt. Der kann ohne einen höheren Preis nicht produzieren. Ja, dennoch bleibt von den hohen Abgabepreisen ein großer Anteil woanders hängen und kommt eben oft nicht beim Bauern an.
Die Biofach-Messe war geprägt von neuen Ausstellern, viele davon Startups. Immer mehr vom Gleichen bieten uns die Eigenmarken des Handels. Wir brauchen und wollen Vielfalt, also möglichst viele Hersteller/ Inverkehrbringer, die Ihre individuelle Marken in die Regale lancieren. Rewe macht mit ein paar hundert Rewe-Bio Produkten nach ihrer Aussage auf dem Biofach-Kongress rund eine Milliarde Euro Umsatz und belegt damit Platz zwei hinter Aldi. Der noch höhere Aldi Bio-Umsatz wird mit noch weniger Produkten erzielt. So verständlich die Kooperation von Naturland mit Rewe und Bioland mit Lidl ist, um das Schwungrad Biomengen weiter zu drehen, so einleuchtend ist die Angst vieler anderer. Bei so starker Konkurrenz geht der Kampf um knapper werdende Rohstoffe und bei der aktuellen Krise auch um erschwerte Beschaffung.
Der Aufschrei vieler Hersteller zur Frage nach: Wo bleiben wir? auf dem Weg zu hundert Prozent Bio, war in Nürnberg nicht zu überhören. Auch das ist verständlich, hier Invidualität, dort Masse, für die man als Verarbeiter nicht nur die Steigbügel halten will. Es wird nicht ohne beides gehen! Diese Gegensätze müssen in Balance kommen. Die konventionelle Situation, mit der vernunftbegabte Individuen nicht zufrieden sein können, resultiert aus dem Übergewicht einer der beiden Seiten. Wiederholt sich das in der Biovermarktung, landen wir wieder im ungesunden Konzentrationsprozess und in der Verdrängung der Vielfalt.
Dann bestimmen wieder nur wenige den Markt. Und die Produkte folgen wieder dem Diktat der Gewinnoptimierung. Wir wollen natürlichen Geschmack und gesunde Lebensmittel zurück! Das geht nicht ohne ökologische Lebensmittelproduktion auf allen Ebenen und unübersehbar eine neue Wirtschaftsweise.
Einige mögen die Preisdiskussion in den Mittelpunkt stellen. Der Preis ist dennoch nicht der Nabel der Welt. Vielmehr bestimmen Unterschiede und deren Kosten das Ergebnis. Es wird immer billig und teuer nebeneinander geben. Und es wird keinem Markenanbieter gelingen, einen Aldipreis oder eine Rewe-Kalkulation nachzuahmen. Umgekehrt scheitern die bei der Vielfalt.
Masse zieht Masse an. Das Prinzip wirkt in der aktuellen Phase im Biomarkt. Einige alte Lieferantenbeziehungen werden abgeworben und verloren gehen, andere dafür entstehen. Da muss mehr Flexibilität in die Köpfe. Ist der Markt expansiv, werden auch Neue mit dabei sein und erweitern das Gesamtangebot. Das ist, was Bioland mit dem Labeling auf Masse bewegt. Warum sollte deshalb das Vertrauen in Bioland geringer werden? Vertrauen geht durch Ablehnung verloren. Bioland wird jetzt jedoch noch mehr Menschen erreichen!
Die Naturkostbranche hat scheinbar eine Kurve geschafft. In Ihrem 10. Marktgespräch im Institut für den Fachhandel im Mai steht das Thema Bio für alle auf der Agenda und die für viele empfundene Existenz-Bedrohungen des Bio-Fachhandels wegen Bio im LEH, den Discountern und Drogeriemärkten. Dort wird die These Öffnen statt Abschotten in die Waagschale geworfen. Das ist neu. Man spricht also jetzt darüber. Und das wirkt! Bleibt offen ob Versammlungen bis dahin wieder möglich sind und der Termin nicht zum schlechten Omen wird.
Erich Margrander
Herausgeber