Editorial
Editorial Ausgabe 86/Januar 2016, 1. Quartal
Liebe Leserin, lieber Leser!
Die Zahlen der ersten drei Quartale 2015 zeigen im Vergleich zu 2014 ein umgekehrtes Bild: Das Bio-Umsatzplus im Discount liegt bei über 16 Prozent! Gefolgt vom Vollsortimenter mit rund zwölf Prozent und etwas abgeschlagen sind die Fachgeschäfte, deren Führerschaft im Wachstum 2014 jetzt abgelöst wurde und nur noch im mittleren einstelligen Bereich liegt.
Der Markt schaukelt den Bio-Absatz gegenseitig hoch. Bleibt jetzt die Frage, sind es die Bio-Supermarkt-Umsätze, die das Bio-Wachstum im herkömmlichen Handel bestimmen oder ist es umgekehrt?
Glaubt man der Fachhandelsbranche, ist Bio nur in den Fachgeschäften mit ihrem Angebot von 100 Prozent Bio echt. Und sie seien die Treiber. In Wirklichkeit sind es die Verbraucher, die den Ton angeben. Und sie kaufen in der Mehrheit noch nicht im Bio-Supermarkt. Wachsende Bio-Sortimente im herkömmlilchen Handel schieben den Absatz an. Mehr Kontakte mit Bio locken immer mehr Konsumenten zu Biokäufen, an die sie sich mit der Zeit gewöhnen.
Die natürliche Neugierde hilft dann die Hemmschwellen zu überwinden, die die Konsumenten vom Fachgeschäft fernhalten. Dieses Phänomen konnte schon in den letzten 20 Jahren beobachtet werden. Das lässt den Schluss zu, dass erfolgreicher Bio-Absatz im LEH in der Folge dann wieder zu einem Absatzboom im Fachhandel führt.
Das hat in der Vergangenheit jedoch nur bei wenigen zu einer symbiotischen Einsicht geführt. Der BNN und die führenden Naturkostgroßhändler neigen zur Abschottung und Ausgrenzung.
Warum sollte ein gut funktionierendes Geschäftsmodell dem Wettbewerber in die Hände spielen? Befragen wir die vielen Startups, die sich auf den Weg in die Biobranche machen, was sie davon halten, zeigen sie bittere Enttäuschung. Hatten sie geglaubt, dass die Biobranche eine Familie mit gegenseitigem Verständnis sei und hier eine andere Kultur des Wirtschaftens herrsche, sind sie schnell ernüchtert. Sie erleben das übliche Hauen und Stechen.
Die ganz normalen menschlichen Eigenschaften, jeder ist sich selbst am nächsten, sind eben nicht außer Kraft gesetzt. Wer anderes glaubt, kann daran zerbrechen. Gibt es zur schönen heilen Welt eine Alternative?
Die Bio-Anbieter müssen sich auf alle Vertriebswege einlassen. Auch das wurde schon vor 20 Jahren auf Kongressen diskutiert und die These von 100 Prozent Bio geht nur mit allen ins Zentrum der Überlegungen gestellt. Noch vor drei, vier Jahren konnten die Befürworter derartigen Gedankenguts nicht wirklich punkten. Das ändert sich jetzt. Die Pioniere, die gerne am Bestehenden festhalten, geraten in die Minderheit. Auch wenn die erfolgreichsten Bio-Unternehmer aus diesen Reihen kommen, ist nicht zu übersehen, wie sich die Branche neu aufstellt.
Bio für alle geht nun mal nicht allein mit dem Fachhandel. Die selbstbewussten Bio-Einzelhandelskaufleute hatten schon beim Aufkeimen der ersten Bio-Supermärkte kein Problem mit der breiten Biovermarktung. Sie waren überzeugt, dass das auch ihre Umsätze vorwärts trägt und ihre Stellung im Lebensmittel-Einzelhandel verbessern würde. Sie hatten recht. Aus einigen hundert Millionen Markt Umsatz wurden rund zwei Milliarden Euro. Ein kräftiger Brocken und doch nur etwa ein Viertel des Ganzen.
Die Fachhandelsbranche entwickelt sich unübersehbar in einen Zustand, der dem konventionellen Handel gleicht. Ein Blick auf die Vollsortimenter im LEH überrascht dagegen. Dort wehren sich die Kaufleute gegen die Abhängigkeit. Dem Bild von immer mehr vom Gleichen kehren sie den Rücken. Sie mühen sich und strampeln sich frei von nur einer Vorstufe, die ihnen das Bestücken ihres Marktes einfach macht. Sie kennen das Ergebnis: Einfalt statt Vielfalt.
Die Erfolgreichen ihrer Branche setzen auf eigene Beschaffung. Bio, Regionalität, Qualität, Handwerk und Geschmack sind ihre Leitlinien. Das gibt es nicht in Massen und ist daher nur schwer zentral zu organisieren. Die Dampflocks können der kleinen Lore also nicht mehr das Wasser abgraben. So lange die Konsumenten diese Entwicklung weiter vorwärts tragen, haben kleine und mittelständische Hersteller mit ihren Qualitätsstrategien die besten Chancen.
Erich Margrander
Herausgeber