grüne Lebensmittelerzeugung
Bäume wachsen auch nicht in den Himmel
Landwirtschaft jenseits von „Wachsen oder Weichen“
In der Evangelischen Akademie Hofgeismar traf sich ein buntgemischtes Publikum, um über Wachstum in der Landwirtschaft zu diskutieren. Veranstaltet wurde die Tagung vom AgrarBündnis, von der Evangelischen Akademie Hofgeismar und vom Dienst auf dem Land der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck.
Für die Veranstalter ging es dabei nicht mehr grundsätzlich darum, ob Wachstum angesagt ist oder nicht: Ein wachstumskritischer Ansatz war vorgegeben. Doch auch oder gerade dies führte zu einer bunten Vielfalt unter den mehr als 70 Teilnehmer/innen: Sie reichte von jungen Studie-renden bis hin zu älteren Interessierten, von Bauern und Bäuerinnen über Berater, AgrarBündnis-Aktivist/innen bis hin zu Wissenschaftler/innen.
Die Tagung nahm dabei ganz unterschiedliche Aspekte von Wachstum in den Blick: Die Grenzen des ökologischen Wachstums oder „peak eve-rything“ und globale gesellschaftliche Aspekte spielten ebenso eine Rol-le wie der permanente einzelbetriebliche Wachstumsdruck und mögliche Alternativen auf den Höfen. Politischer Widerstand gegen herrschende Systeme, pfiffige Modelle der Selbsthilfe, Bewusstseinwandel bei den Verbrauchern, Engagement bei den Bürgern: Ansätze zum Handeln gibt es viele.
Der Journalist Stephan Börnecke hat die Veranstaltung begleitet und gibt im Folgenden einen kurzen Überblick.
Das Tagungsprogramm und Präsentationen (soweit die Referent/innen Power Point benutzten) sind unter www.agrarbuendnis.de >>> Aktuelles abrufbar.
Von der Kunst, sich dem Wachstum zu widersetzen
von Stephan Börnecke
Marlene Herzog ist „Solidaritätsbäuerin“ aus der Pfalz. Zusammen mit ihrem Mann ist ihr Primat: „Nicht wachsen, sondern die Vielfalt bewahren.“ Und zwar für die Menschen aus der Gegend ihres Hofs, der sich in der Nähe von Zweibrücken befindet. Die Vielfalt sieht so aus: Hühner, Mutterkühe und Schweine, ein Teich, 300 Obstbäume, Getreide, ein Hofladen, in dem die Produkte des Hofs verkauft werden. Und reichlich artenreiche Natur.
Die beiden Jungbauern sind erst seit eineinhalb Jahren dabei, Einsteiger also, was erklärt, dass das Projekt ohne fremde Hilfe nicht zu stemmen ist. Also haben die beiden eine Gruppe von Unterstützern zusammen getrommelt, die die Kosten des Hofs per Jahres-Abo tragen helfen. 106 Euro ohne und 116 Euro mit Fleisch kostet der Beitrag im Monat. Dafür erhält der „Abonnent“ Wurst, Saft, Obst, Gemüse oder Getreide. Käse gibt es nicht, weil es keine Milchkühe gibt. Die Finanziers sind auch als Helfer gefragt. Etwa beim Ernten der 17 Kartoffelsorten.
Menschen zu finden, die eine grüne Lebensmittelerzeugung unterstützen, sei nicht schwer: Denn die Verbraucher wünschen, dass sich die Sau pudelwohl fühlt. „Wenn sie das wollen und dafür auch zahlen, dann machen wir das.“ So einfach ist es, für eine gerechte, eine solidarische Welt einzustehen.
Kein Anfang ohne Stolpersteinchen: Die Maschinen, das bedauert die Bäuerin, sind technisch nicht gerade der dernier cri, „wir erzeugen verdammt viel CO2“. Was tun, fragt die Bäuerin den Wachstumskritiker Nico Paech? Lieber auf die eigene Gerätschaft schwören, also die Lebensdauer des alten Traktors ausreizen, die Nutzungsdauer der Technik verlängern – oder sich professionelle Hilfe organisieren? „Wenn wir unser Heu machen, dann dauert das drei Tage. Macht’s der Lohnunternehmer, ist es in drei Stunden erledigt. Unser Traktor verliert Öl, der Lohnunternehmer aber kauft sich ständig die neusten Maschinen, die viel weniger CO2 verursachen als unsere. Sollen wir uns für die neue Technik entscheiden?“
Ja, antwortet Paech, unbedingt. Der Professor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an der Uni Oldenburg rät der Bäuerin zum Maschinenring, zum Lohnunternehmer, auch wenn das dann „eben der Preis der Modernität ist“. Eine Landwirtschaft ohne CO2, die gibt es nicht. Doch den Schad-stoffausstoß zu reduzieren, das lohne immer.
Wachstumskritiker Paech lebt als Handlungsreisender in Sachen Verzicht. Der 54-Jährige warnt vor der finalen Wirtschaftskrise und glaubt, dass die Zeit ohne Wachstum unweigerlich kommen werde. Wir alle hätten es in der Hand, ob dieser kommende Tag dann „by disaster or by design“ hereinbreche.
Paech rät zum Design. Deshalb lobt er den Fuldaer Hemdenmacher, der jedem neuen Shirt einen zweiten Kragen beilegt, damit die aus regionalen Rohstoffen erzeugte Ware länger hält und der Kunde ihm, dem Hersteller, möglichst lange vom Leibe bleibe. Er lobt den Schumacher aus dem österreichischen Waldviertel, der vom Schmach zerfressen würde, weise ein Kunde ihm nach, dass seine Schuhe bereits nach zehn Jahren nicht mehr reparabel seien. Es ist die Langlebigkeit von Pro-dukten, die den CO2-Ausstoß verringern, das ist Paechs Botschaft
Die Vorsorge müsse erst recht bei der Lebensmittelerzeugung ansetzen: Glaubt man Paech, dann sind das geeignete Vorbild die an Subsistenz-landwirtschaft erinnernden Aktivitäten der Urban Gar-dener, der Menschen, die nicht im industriellen Maßstab Landwirtschaft kapitalintensiv nach hol-ländischem Vorbild in die Vertikale stapeln, sondern die Gärten wiederbeleben. Also die Städte essbar machen. Achtsames Verbraucherverhalten (Suffizienz), Reaktivierung der Gärten (Sub-sistenz) und Community Supported Agriculture CSA, die solidarische Landwirtschaft, das sind nach seiner Meinung korrekte Antworten auf die Auswüchse einer vom Weltmarkt getriebenen Massen-landwirtschaft.
Natürlich hätten solche Aktionen, räumt der Wachstumskritiker ein, ihre Grenzen, aber „so viel lo-kal wie möglich, das Maximale vor Ort erzeugen“, dies sei eine der Antworten auf die Grenzen des Wachstums.
Josef Hoppichler geht den geraden Weg. Der Mann ist gewiss weder Marxist noch Kommunist. Doch was der Experte von der österreichischen Bundesanstalt für Bergbauernfragen fordert, könnte aus den Programmen sozialistischer Kader entstammen: „Reclaim the fields“, freier Zugang zum Boden, das verlangt der Mann aus Wien. Denn die heutigen Besitz- und Eigentumsstrukturen verhinderten, dass eine neue Generation von Bauern mit neuen Ideen, klugen Gedanken, mit Innovationen, Experimentier-freudigkeit, mit ökologischer Verantwortung ans Werk kommt. „Keine Chance“, beklagt er.
Den größten Stolperstein sieht Hoppichler dabei in der aktuellen Agrarförderpolitik. Abgesehen von den teilweise ohnehin sehr hohen Boden- und Pachtpreisen versperre gerade das heutige Förderin-strumentarium den Zugang zum Boden. Denn aufgrund der an die Fläche gebundenen Subvention „geben die Bauern nichts her. Sie halten an der Förderung fest“ – und damit am Boden.
Kein Wunder, denn die Flächenförderung stattet den Boden mit einer Rente aus, hebt sie auf die „Ebene des Zins tragenden Geldes“. Dadurch wird der Zugang zum Boden „mit staatlicher Hilfe versperrt“.
Dabei stellt die Verteilerpolitik an sich bereits eine Ungerechtigkeit dar. Denn statt, wie es sein Institut seit langem fordert, die Subventionen an den Umfang der geleisteten Arbeit zu binden, wird gezahlt nach Hektar. „Damit wird es falsch verteilt.“ Diesen Irrweg endlich zu stoppen, gelang bisher nicht, die Lobby kämpfte eisern: „Das hat nicht einmal Renate Künast gewagt, als es um die Frage der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in Ostdeutschland ging.“ Stattdessen versuchten etliche westdeutsche Landwirte, die Flächenprämie als lukratives Lockmittel in Aussicht, im deutschen Osten auf großen Schlägen endlich mal „freier Bauer“ zu spielen. Manche mit, andere ohne Erfolg.
Solche vermeintlichen Wachstumssprünge schälen heraus, dass das erste hierzulande gezahlte bedingungslose Grundeinkommen in Wahrheit ein unsoziales Instrument ist. Denn wer viel Fläche hat, der kassiert viele Euros, kann noch mehr hinzugewinnen, wächst, baut seinen industriellen Weg aus – auf Kosten der Gesellschaft.
Hoppichler ist gewiss: „Das Eigentum wird in die Diskussion kommen, früher oder später, das ist sicher.“ Stehen wir also am Beginn eines Prozesses, an dessen Ende eine Landreform unausweichlich wird? Auch Paech hält eine Art Bodenreform, die Land an Selbstversorger verteilt, für unaus-weichlich. Zwei, drei weitere Finanzkrisen, und auch der EU-Agrarhaushalt sei „sturmreif“, dann gehe es gar nicht mehr anders.
Zahlen über die Konzentration des europäischen Bodens, wie sie die EU im Sommer 2015 vorgelegt hat, legen die Notwendigkeit, über einen radikalen Wandel nach zu denken, nahe. Denn Konzentration und der Einstieg landwirtschaftsfremder Investoren haben in einigen EU-Ländern krasse Di-mensionen angenommen: In Rumänien, darauf weist der Europaabgeordneten der Grünen, Martin Häusling, hin, sind heute zwischen 30 und 40 Prozent des landwirtschaftlichen Bodens längst in der Hand ausländischer Investoren.
Ein Prozess, der auch vor Deutschland nicht halt macht. Angefeuert durch die Agro-Sprit- und Agro-Gas-Politik haben laut EU-Report in manchen Regionen Deutschlands neue Investoren bis zu 30 Prozent des Agrarlands in ihren Besitz gebracht. Stehen nun kleinere Landwirte mit dem Rücken zur Wand? Müssen sie ebenfalls bei jedem Hektar, der ihnen offeriert wird, koste es, was es wolle, zugreifen? Müssen sie wachsen und wachsen, um zu überleben?
Andrea Fink-Kessler vom Veranstaltungsteam griff diese Frage auf, als sie im Gespräch mit zwei Landwirten den Bauern Hubertus Hartmann fragt: „Wenn ich ihnen jetzt 40 Hektar anbiete. Würden Sie die nehmen?“ Der Landwirt, der im Ostwestfälischen einen kleinen Schweinemastbetrieb besitzt und zusammen mit einem auf Käse spezialisierten Nachbarhof ein ausgeklügeltes Direktvermark-tungssystem initiierte, muss nicht lange überlegen: „Vier Hektar wären mir lieber.“
Denn 40 Hektar würden mehr Direktvermarktung erfordern. Ein zweiter Wagen, ein oder zwei weitere Verkäufer, ein um die Märkte von Kassel oder Paderborn ausgedehnter Markt. Nein, sein spezieller Weg lasse diese Erweiterung nicht zu. Selbst Bauer Günter Friedrich, vor dieselbe Frage ge-stellt, kann sich nicht vorbehaltlos zu einem Ja durchringen. Mit der von zwei Robotern gemolkenen Milch, mit Biogas und Photovoltaik ist Friedrich zwar auf Wachstum gepolt. Doch die 40 Hektar übernehmen hieße, auf das Land von 15 Nebenerwerbsbauern, auf denen er heute rotierend seinen Energie-Mais wachsen lässt, zu verzichten. Noch, so Friedrich, bereichere sein Maisanbau die Fruchtfolge seiner Nachbarn. Das lasse ihn zögern. Wenn er dann doch noch einschlage, dann nur zu einem Preis, wie er in Hessen, nicht aber in Nordrhein-Westfalen gezahlt werde. Zweifel liegen in seinen Augen.
Während also selbst ein Wachstumsbauer wie Friedrich zögert, erklärt Heinz-Josef Thuneke, warum ein Ökobetrieb erst gar nicht in diese Wachstumsfalle, die ihn zum Spielball nicht beeinflussbarer Stellschrauben der Konzerne und der Politik macht, tappen kann. Denn der Bio-Bauer arbeitet mit der Natur und nicht mit auf Erdöl basierenden Stickstoff-Düngern oder Pestiziden. Er ist damit unabhängig vom teuren Zukauf von Betriebsmitteln. Zudem ist das Modell der konventionellen Landwirtschaft einem immer größeren Kreis von Kunden nicht mehr vermittelbar, ahnt Thuneke. „Die wollen heute etwas ganz anderes.“
Doch auch der Öko-Landbau steckt in der Klemme, eine, die ihm die konventionelle Landwirtschaft und eine fehlgesteuerte Energiepolitik aufzwingt: „Wir sind vom Flächenwachstum abgeschnitten.“ Die Bodenpreise sind zu hoch, weil getrieben vom Agro-Gas-Boom, vom Rapsanbau für Pflanzensprit, damit die Bundesregierung ihre Klimabilanz „schön rechnen“ kann. Die Preise sind angefeuert von flächenarm arbeitenden Landwirten, die jeden Betrag für den letzten Hektar zahlen, damit sie ausreichend Fläche nachweisen können, um steuerlich und damit baurechtlich weiter als privilegiert eingestuft zu werden – und nicht als Gewerbebetrieb. In diesem Kampf sind die Bio-Bauern dann die Verlierer, obwohl sie den Anti-Dumpingkurs steuern: „Denn was ist das anderes als Dumping, wenn konventionelle Landwirte ihre Tiere mies halten und die Umwelt versauen, diese Kosten der Gesellschaft aufdrücken, also externalisieren?“
Thuneke ist sauer, denn das Zeitfenster zum Umsteuern wird mit jedem Tag kleiner: „Die deutsche Landwirtschaft ist weitgehend durchrationali-siert“, neue konventionelle Ställe aber, vor allem für Schwein und Huhn, lassen sich nicht mehr umbauen in einen Biostall mit Platz und Luft zum Wohl-fühlen. Das erfordert den Neubau. „Ich kann einen Laufstall, der für 600 Kühe gebaut wurde, zwar auch für Bio-Rinder nutzen. Aber dann kriege ich keinen Weidegang mehr hin, dafür ist der zu groß. Ohne Weidegang aber keine Biomilch“, sagt der Experte von Bioland. „Wer erst vor fünf Jahren gebaut hat, der hat kein Geld mehr, um einen Biostall zu errichten, da kann die Förderung noch so optimal sein“, sagt Thuneke.
Derweil keimt offenbar eher im Verborgenen eine Gruppe von Milchbauern heran, die sich die Fra-ge des Wachsens ganz klar beantwortet haben: Sie füttern kaum noch oder gar kein Kraftfutter mehr. Etwas mehr als 50 von ihnen haben die Wissenschaftler Karin Jürgens vom Büro für Agrar-soziologie und Landwirtschaft und Onno Poppinga vom Kasseler Institut für ländliche Entwicklung befragt und analysiert. Warum sie auf den Cocktail aus Import-Soja, Mineralstoffen, Getreide oder die energiereichen, fest gepressten Gras-Cobs verzichten, wollten sie wissen – und ob sie dabei finanziell besser abschneiden, ob es den Tieren besser geht.
Es kam heraus, was Poppinga mit „Sinnstiftung“ umschreibt. Denn die Argumentation dieser Bauern sei eindeutig: Sie sehen nicht ein, weshalb sie den Gras- und Heufresser Kuh mit Getreide vollstopfen sollten – das Rind also zur Sau machen. Denn mit der Körnerfracht riskierten sie doch nur, dass die Kuh infolge der Leistungssteigerung mit Stoffwechsel-, Euter- und Klauenkrankheiten bezahlen muss. Die Verzicht-Bauern wollten dem Tier weniger zumuten und zugleich auch sich selbst ein Stück Arbeit ersparen. Denn weniger oder gar kein Kraftfutter heißt weniger Aufwand bei der Fütterung, hilft Kosten fürs Futter senken und darüber hinaus ein Stück Ernährungssouveränität gewinnen. Denn wer auf das Übersee-Futter verzichtet, ist weniger abhängig von externen Lieferanten. Hier und da mag auch die Erwartung der Verbraucher eine Rolle gespielt haben, vermutet die Wissenschaftlerin Karin Jürgens, die schließlich oft ähnlich denken würden. Geht diese Rechnung auf?
Ja, sagen Jürgens und Poppinga, denn geringere Betriebsausgaben dank niedrigerer Futterkosten und weniger Tierarztbesuchen, gepaart mit einer höheren Milch-Nutzungsdauer der Kuh von durch-schnittlich 48 Monaten (statt weniger als 34 Monaten bei den Vergleichshöfen) sowie ein gestiegenes Lebensalter gleichen den geringeren Milchertrag mehr als aus.
So ganz nebenbei liegt diese Formel des Verzichts ganz auf der Linie der Bauern, die etwa im Bun-desverband Deutscher Milchviehhalter BDM für die Angebotssteuerung in Eigenregie werben: Denn die dadurch entstehende, völlig freiwillige Verknappung der Milch (durchschnittlichen 5400 Liter Jahresleistung pro Kuh der untersuchten Höfe stehen 7400 Liter im deutschen Schnitt und „Spitzenleistungen“ 14.000 oder mehr Litern gegenüber) führt auch zu höheren Preisen beim Milchgeld.
Der besondere Weg der Verzicht-Bauern freilich stößt auf eine Realität, in der die Zahl der Milcher-zeuger weiter sinkt. Ein Fünftel der Milchbetriebe hat seit 2010 aufgegeben, es blieben weniger als 75.000, von denen wiederum 2900 mehr als 200 Kühe im Stall haben – 2010 waren es noch 1800. Folkard Isermeyer, Präsident des bundeseigenen Thünen-Instituts, nennt diesen ungebrochenen Trend, wenn jedes Jahr drei Prozent der Milchbauern die Melkmaschine abstellen, „die Normalität des Strukturwandels“. Dagegen habe es die Politik bisher nicht vermocht, anzukommen. Der Ver-such Bayerns, gestartet vor 35 Jahren, sich dem Höfesterben zu widersetzen, die Struktur als klein-teilig zu bewahren, sei genauso gescheitert wie ähnliche Versuche der Agrarwende-Ministerin Renate Künast. Die Folge: Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauern auf dem Weltmarkt szwar gestärkt worden, aber um den Preis, dass die gesellschaftlichen Ziele samt der Wünsche der Verbraucher weggebrochen seien.
Der Professor aus Braunschweig aber sieht einen Silberstreif: Er wirbt für das „social lab“, in dem Bürger mitreden, wenn es um die Frage geht, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll. Um am Ende mit Steuergeldern den Umbau der Agrarstruktur zu finanzieren und öffentliches Geld nur noch in gesellschaftlich gewünschte Güter zu stecken. Statt weiter mit der Gießkanne Subventionen zu verteilen.
Realistisch oder nicht? Hermann Heldberg, Geschäftsführer von Naturkost Elkershausen, der Nummer vier der deutschen Bio-Großhändler, beobachtet seit einiger Zeit eine wachsende Zahl von Food-Coops, gegründet von Menschen, die „Wert auf die Herkunft“ des Essens legen. In Städten entstehen Abholstellen von landwirtschaftlichen Betrieben. Es keimt die Rückkehr zu einer regionalen Versorgung. „Sie ist das Sinnvollste“, davon ist Heldberg überzeugt. Volkswirt Paech ruft des-halb zur Eigeninitiative auf: Es sei Unfug, auf Instrumente zu warten, die erst noch von der Politik entworfen und abgezeichnet werden müssen. Sein Credo: „Selbst anfangen mit lokaler Produktion.“
Diese Menschen, die ihre Ernährung selbst in die Hand nehmen, leben vor, was der Europaabgeord-nete und Biobauer Häusling von allen verlangt: „Wir müssen den Verbraucher in die Verantwortung zerren und ihnen sagen: ‚Ihr seid durch euer Verhalten mitverantwortlich für die Agrarstrukturen.’“ Also kein Griff mehr zum Massenfleisch und Hände weg von Erdbeeren im Winter? Ja, aber erstmal verlangt der Abgeordnete etwas ganz anderes: Die Politik müsse den Landwirten ein paar „Spielsachen“ wegnehmen. Etwa den Unkrautkiller Glyphosat. „Striegeln und hacken statt Chemie“, fordert Häusling, dann ist das Gift auch raus aus der Muttermilch. Und dann die Attacke auf das zweite Spielzeug: Weg mit den Antibiotika. Kann der Schweineerzeuger auf die Allzweckwaffe nicht mehr zurückgreifen, „gibt es von heute auf morgen keine Massentierhaltung mehr“. Es ist so einfach.