Landwirtschaft
Ein Drucker wurde zum Bio-Landwirt
Rolf Henke engagiert sich seit 1997 in der Bio-Region Uckermark
Das Gut Temmen im Bundesland Brandenburg erhält mit Bio-Landwirtschaft die Kulturlandschaft und Artenvielfalt. Mit Innovationen in der Vermarktung geht das Bio-Gut den Weg in die Moderne. Mit der originären Temmener Stracke, einer Rohwurst, und Edelteilen für das Berliner Restaurant Grill Royal wird die Fleischvermarktung lukrativer. Das Gut Temmen liegt im Bio-Sphärenreservat Schorfheide-Chorin und ist Teil einer 12.000 Hektar großen zusammenhängenden Bio-Fläche.
„Wir dürfen uns die Erde nicht untertan machen. Wir müssen mit der Erde leben. Meine Unternehmen verfolgen einen gesellschaftlichen Zweck.“
Als 50jähriger Quereinsteiger gründete Henke 1997 die Gut Temmen Agrar GmbH. Von der Treuhand hat er Land gekauft und gepachtet. Aber nicht als Landsitz fürs Wochenende und die Ferien. Hier arbeiten 36 Menschen in der Landwirtschaft. „Weil ich Drucker und Verleger war, wurde ich Landwirt“, erzählt Henke an einem Sommerabend vor dem Gästehaus von Gut Temmen.
Der Verleger Henke hat sich mit Literatur über die Unterdrückung der Natur durch den technischen Fortschritt beschäftigt. „Wir dürfen uns die Erde nicht untertan machen. Wir müssen mit der Erde leben. Meine Unternehmen verfolgen einen gesellschaftlichen Zweck“, betont Henke.
Der Student Henke aus Bückeburg in Westfalen begann in den 60er Jahren in seinem Zimmer in Berlin Flugblätter für die APO (Außerparlamentarische Opposition) zu drucken und entwickelte daraus ein Industrieunternehmen. In Brühl bei Köln und im 80 Kilometer entfernten Berlin stehen heute seine Offset Druckereien.
Henke setzt auf Vielfalt
Rolf Henke hat Temmen als vielfältigen Gemischtbetrieb mit Ackerbau und Tierhaltung entwickelt. Rinder, Schweine und Pferde werden auf dem Gut in der Uckermark gehalten. Mit seinem Freund, Prof. Ulrich Köpke vom Institut für Organischen Landbau der Uni Bonn tauscht sich Henke immer wieder über seine Konzepte aus. Köpke tut das nicht vom Schreibtisch aus, sondern verbringt selbst Zeit dort.
Für eine funktionierende Landwirtschaft auf 3.300 Hektar Fläche ist Verwalter Hans-Martin Meyerhoff zuständig. Auf etwa 3.000 Hektar betreibt er mit seiner Mannschaft Ackerbau, der mit mehrjähriger Weidenutzung abwechselt. 150 Hektar sind Wald. Rund 500 Hektar sind Naturschutzflächen. 200 Schweine sind in einem großzügigen Stall mit Auslauf zuhause.
„Es gibt noch einiges zu verbessern. Unser Hektarertrag bei Getreide liegt bei 2,5 bis 3 Tonnen. Nachbarn schaffen mehr. Das weckt unseren Ehrgeiz“, nennt er ein Ziel. In den eigenen Silos mit 3.600 Tonnen Kapazität wird das Getreide gelagert. Eine Reinigungs- und Trocknungsanlage ist ebenfalls vorhanden. Außer Getreide werden noch andere Druschfrüchte wie Senf und Leguminosen kultiviert.
Im Schnitt mit Preisen zufrieden
Für rund 20 Prozent der Menge schließt Meyerhoff bereits vor der Ernte Kontrakte. Bioland zählt zu den Abnehmern und zahlt für bestimmte Qualitäten einen Aufschlag. Biopark und Getreidehändler kaufen Ware auf. Die Preise sind im Durchschnitt zufriedenstellend. „Der Bauer klagt immer“, weiß Meyerhoff. Die Uckermark ist Grenzland für Ackerbau. Die Böden sind mager.
Das landwirtschaftliche Unternehmen erwirtschaftet einen Umsatz von rund 2,3 Millionen Euro. Fleisch und Marktgetreide erzeugt der Betrieb. Diese Rohstoffe allein bringen allerdings nicht hinreichenden Gewinn. Dazu braucht es eigene Markenprodukte. Auf diesem Weg ist Temmen.
Das Gut Temmen ist für Weidewirtschaft prädestiniert. Die Rinderherden sind ganzjährig draußen und werden von drei Uckermark-Cowboys betreut. „Die achten auf die Rinder und sehen, ob es ihnen gut geht. Die Tiere sollen ganzjährig natürlich auf der Weide leben und möglichst ohne Kraftfutter auskommen, außer im Winter“, erläutert Henke die Tierhaltung.
Das Gut mästet nur Färsen. Bullen-Kälber werden als Absetzer an andere Mäster verkauft. Zwei Jahre haben die Färsen Zeit zum Wachsen, ehe sie geschlachtet werden. „Geschmacklich ist Färse das Non-Plus-Ultra“, so Henke. Die Metzgerläden und der Naturkostfachhandel loben kein Färse aus, sondern verkaufen anonym.
Das Berliner In-Restaurant Grill Royal hat die Qualität erkannt und bezieht exklusiv Fleisch für Steaks aus Temmen. Das Gut erzielt für die Edelteile fünf Euro pro Kilo. Das sind rund 20 Prozent mehr als der durchschnittliche Erzeugerpreis für Bio-Rindfleisch. Die einheitliche Genetik, Weidehaltung und die langsame Färsenmast ergeben Qualitätsfleisch, das eine bessere Vermarktung erlaubt. Markenfleisch mit Herkunftsangabe ist auch in Bio noch eine Ausnahme. Bei anderen Produkten wie Käse und Wein ist dies üblich.
Das Gros des Fleisches vermarktet der Biopark. „Das ist der große Fleischvermarkter hier, an dem wir nicht vorbei kommen. Wir sind zufrieden mit dem Verband. Der bringt Bio-Fleisch auch in den normalen Verkauf zur Edeka. Das gelingt vielen nicht“, so Henke.
Mit einer Temmener Stracke nach eigenem Rezept hat der Erzeuger sein erstes Produkt für den Handel kreiert. Gutsbesitzer Henke kennt die Stracke noch aus seiner Studentenzeit, als das Hilfspaket von zuhause mit der haltbaren Wurst ankam. Stracke ist oft sauer und wässrig, wenn sie aus minderwertigem Fleisch gemacht oder nicht fachgerecht hergestellt wird.
Henke entwickelte mit seinem Freund Thomas Koch über Jahre eine feste, süßliche Stracke mit verführerischem Duft. Der Landmetzger Thomas Koch aus Calden in Nordhessen produziert die Wurst aus dem Fleisch des intern gehaltenen Deutschen Edelschweins, das in Temmen bis zur Schlachtreife mit Gewichten über 100 Kilo gemästet wird. Die alte Rasse ist fruchtbar und nicht stressanfällig.
Die Metzgerei liefert die Stracke- und Feldkieker-Würste nach einigen Wochen in die Uckermark. In Temmen reifen die Würste dann etwa neun Monate in der besonderen Atmosphäre von Lehmkammern. Da entsteht eine Rohwurst mit Feinkost-Charakter. Die hochveredelte Wurst wird im Hofladen direkt verkauft und regional in den Handel gebracht. Dieses Bio-Produkt wäre mit seiner besonderen Geschichte auch überregional in größerem Umfang vermarktungsfähig.
Bio erhält Kultur-Landschaft
In den vielfältigen Biotopen der Temmener Landschaft mitten im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin leben zahlreiche seltene Arten wie der Schreiadler, Schwarzstörche, die Europäische Sumpfschildkröte und die Rotbauchunke. In der industriellen Landwirtschaft werden die Flächen ausgeräumt und die Tiere verschwinden. Die Landschaft wird öde und leer.
Mit dem Bio-Landbau erhält Henke die Kulturlandschaft der Uckermark. Gehölze, Brachflächen, Seen und die charakteristischen Söllen geben der Landschaft ein Gesicht. Sölle sind meist wassergefüllte kleine Vertiefungen, die in der Eiszeit entstanden sind.
Inzwischen werden in der Öko-Landbau-Region Südliche Uckermark 12.000 Hektar zusammenhängend biologisch bewirtschaftet. Hier hat sich Henke engagiert und investiert. Mit der GLS Bank haben ökologisch denkende Menschen einen Bodenfond geschaffen. Der Fond erwarb von der Treuhand Land und sichert die ökologische Bewirtschaftung langfristig.
„Die Landwirtschaft war nicht mehr lebensfähig, weil sie unterkapitalisiert war. Die Leute suchten damals Hilfe“, erinnert sich Henke. Ein Golfplatz war im Gespräch, ein Polozentrum sollte hier herkommen. Ein südafrikanischer Landwirtschaftsunternehmer plante Biogas-Anlagen. Das hätte Mais-Monokultur mit hoher Spritzmittel- und Kunstdünger-Belastung für Boden und Wasser bedeutet.
Das Gut beherbergt auch zwei Partner-Betriebe auf seinem Gelände. Ute Kietsch hat ihre Wildsamen-Insel dort angesiedelt. Sie vermehrt Kräuter, Gräser und regionale Wildpflanzen auf Temmen. Das in der Region gewonnene und vermehrte Saatgut wird zum Beispiel nach Eingriffen in die Landschaft mit auf den Standort angepassten Mischungen angewendet.
Die Pferdetrainerin Susanne Krüger betreibt eine Western-Reitschule mit Missouri-Foxtrottern und Quarter Horses. Das lockt Urlauber an für die Reiterferien. Gut Temmen vermietet fünf Zimmer an Gäste, die sich dem Konzept verbunden fühlen, und es in einen größeren sozialen Zusammenhang stellen.
Anton Großkinsky