Urbane Tante Emma
Temma ist der etwas andere Bio-Supermarkt
Und es geht doch: eine totale Neuinterpretation der Warenpräsentation im Bio-Supermarkt. Das Temma-Experiment bringt die Ware im Regal in den Vordergrund. Schlicht und edel wechseln sich ab. Helles Grau am Boden und dunkles Oliv an Wänden und Decke lenken den Blick unbeirrt auf das Wesentliche. Ein Pilotmarkt eröffnete im November im Kölner-Nobelvorort Bayenthal die Ladentür. Als Treffpunkt für das Viertel soll die Einkaufsstätte fungieren.
Die Bäckerei, Fleisch- und Käsetheke, Naturkosmetik, Wein und Tee sind die Glanzlichter des Marktes. Von den 800 Quadratmetern sind allein 170 der Gastronomie gewidmet. Die Bistro-Plätze schlängeln sich bis hinein zwischen Theke und Regale. So viel Nähe integriert wohltuend die beiden Elemente Gastronomie und Verkauf.
Der Supermarkt löst lange hohe Gänge in Inseln auf. Temma ist der etwas andere Bio-Supermarkt. Nicht vergleichbar mit den bisher bekannten Formaten. Beim Namen stand Tante Emma Pate, wie nicht schwer zu erraten ist. Allerdings bedient Tante Emma in der rheinischen Metropole heute einen urbanen Lebensstil und hat die Kleinstadt-Idylle der 1950er Jahre überwunden.
Die Eltern von Temma sind Christiane Speck und Jürgen Maziejewski, die beiden Geschäftsführer der Rewe-Tochter Bio-Konzept. Die Gesellschaft führt auch die sechs Vierlinden Bio-Supermärkte. In Amsterdam, Berlin und Köln hat sich Bio-Konzept umgeschaut und die Trends beobachtet. „Wir präsentieren Bio auf andere Weise“, erklärt Speck. Alte Pfade wurden verlassen und Neues gewagt. „Tante Emma meets urban lifestyle“, umschreibt Christiane Speck das Ziel.
Käse-Kompetenz an der Theke und zusätzliche Kommunikation mit dem Kunden über den zweiseitigen Bildschirm der Waage.
Bio von außen unsichtbar
Im Kölner Promi-Vorort Bayenthal neben einem großen Rewe-Supermarkt prangt die Aufschrift Temma und der Untertitel „Alles isst natürlich“. Nichts weißt hier zunächst auf Bio hin. Erst wenn der Kunde die Tür passiert hat, liest er an einem dunklen Stütz-Pfeiler mit weißer Kreide geschrieben: Hier ist alles Bio.
„Für uns ist Bio selbstverständlich. Das brauchen wir nicht ganz nach vorne zu stellen“, sagt Geschäftsführer Maziejewski. Nach vorne getragen werden die Vorzüge von Bio wie Natürlichkeit. Damit sollen nicht nur Bio-Intensivkäufer, sondern auch Bio-Gelegenheitskäufer und Bio-Interessierte angelockt werden. Auch Feinkost-Kundschaft fühlt sich hier wohl. Steht doch der Genuss im Vordergrund.
„Bio einkaufen und verkaufen können viele. Hinter dem Siegel stehen aber soziale Verantwortung und Nachhaltigkeit“, unterstreicht Geschäftsführerin Speck. Eine Kooperation mit einem Kindergarten gibt es bereits.
Bei den Baumaterialen wurde der nachwachsende Rohstoff Holz verwendet. Die Stühle sind aus recyceltem Plastik gefertigt. Ein stromsparendes Beleuchtungskonzept und Kühlregale mit Türen sorgen dafür, dass nicht nur die Ware nachhaltig ist.
„Temma passt in Frequenzlagen von Großstädten. Wir wollen eine Community wachsen lassen durch eine konsequent persönliche Atmosphäre“, berichtet Speck. Die Nachbarschaft soll sich im Cafe treffen und im Markt verweilen, so die Idee. Auch zur Eröffnung wurde anders geladen als mit der traditionellen Zeitungsanzeige. An 8.000 Haushalte wurden Tütchen mit Obst und Nüssen verteilt. Die Kunden nahmen es war und strömten zum Markt.
Rewe-Vorstand bei Temma
Ein Jahr läuft der Versuch; dann entscheidet das Management über eine Multiplikation. „Wir lernen hier. Wenn der Markt alle Jahreszeiten gesehen hat, folgt der nächste Schritt. Die Rewe ist eine Genossenschaft. Wir sind nicht unter Druck, sofort einen Roll-out-Plan vorzulegen“, macht Pressesprecher Andreas Krämer deutlich.
In dem kleinen Innovationszentrum wird experimentiert und probiert. „Temma muss sich wirtschaftlich tragen“, betont Krämer. Die Erwartungen liegen bei einer Flächenleistung um 5.000 Euro. „Es waren schon viele Kaufleute da und haben sich den Markt angeschaut“, berichtet Krämer. Eine Pilgerstätte für den Handel sei es aber nicht. Unter den Besuchern war der komplette Rewe-Vorstand mit dem Chef-Re(we)former Alain Caparros, der das Projekt natürlich unterstützt hat, sonst wäre es nicht möglich gewesen.
Der erfahrene Vertriebsmann Maziejewski mag es aber nicht an einer Person festmachen: „Das Bewusstsein hat sich verändert. Jeder Rewe-Kaufmann weiß, dass er gute Lebensmittel braucht, wenn er die Bedürfnisse der Kunden decken will. Durch Bio gewinnen wir die Menschen für gesunde Lebensmittel“.
Die breite Schaufenster-Front lässt tief ins Innere blicken. Keine übermannshohen Regale versperren den Blick. Der Zugang ist schrankenlos ohne Vorkassenbereich. Die Einrichtung wirkt spartanisch. Im Innenbereich geht der Kunde auf schlichtem Sicht-Betonboden. In den edleren Außenbereichen auf geölter Eiche. Die Regale kommen nicht von den bekannten Ladenbauern, sondern sind Kellerregale aus Metall. Der Aufbau lehnt sich an Ständen in Markthallen an. Die Ware spricht für sich und steht im Vordergrund. Alles Überflüssige wurde weggelassen. So blieb auch die Decke unverkleidet.
Als Wandfarben wählten die Macher zurückhaltende Oliv-Töne. Die Getränkekisten werden von der Palette herunter verkauft. Stilvoll puristisch sieht das aus. „Bei Temma dreht sich alles um Ware und Frische. Regale, Tische und Stühle sind schlicht gehalten. Unser Credo heißt Ursprünglichkeit“, erläutert Geschäftsführerin Speck.
Die spartanische Einrichtung sorgt für niedrige Einrichtungskosten und erleichtert später die Multiplikation, wenn es so weit kommt. „Natürlich wünsche ich mir, dass das Kind Abitur macht und studiert, aber das weiß ich jetzt noch nicht“, schränkt Geschäftsführer Maziejewski ein.
Überschaubares Bio-Sortiment
Der Markt ist großzügig angelegt und nicht vollgestellt, so dass sich der Kunde uneingeengt bewegen kann. Nur 5.000 Artikel sind auf den 800 Quadratmetern untergebracht. Das Sortiment wurde aus dem üppigeren Vierlinden-Bestand mit 8.000 Artikeln heraus entwickelt. „Wir haben den Trockenbereich überprüft, das Sortiment ausgedünnt und wollen dem Kunden durch die Auswahl eine Orientierung geben“, betont Christiane Speck. Statt 50 Nudeln werden eben nur 30 Artikel angeboten. Weniger ist manchmal mehr. Das Sortiment ist klassisch in die drei Stufen Preiseinstieg, mittel und höherpreisig eingeteilt.
Emotional sind dagegen die Bedienungstheken und die Naturkosmetik-Abteilung gestaltet. Die Bäckerei ist ein Magnet. Dort wird im Sichtbereich gebacken, nicht fertig gebacken. Backboard aus Bochum liefert frische statt der üblichen tiefgekühlten Teiglinge. Das großzügige Cafe bietet Kuchen, Tee, kalte Getränke von Bionade und Bios, belegte (Roggen-) Brote, Salate, warme Speisen wie Quiche, Toasts und Desserts.
Die Brottheke ist auch sonntags von acht bis 13 Uhr geöffnet. Bereits am ersten Sonntag war sie bestens frequentiert. Obst und Gemüse kommt von Landlinie wie bei Vierlinden. Es wird gekühlt präsentiert. „Die Investition lohnt sich. Die Verluste sind erheblich geringer“, betont Maziejewski.
120 Käse werden in Bedienung verkauft und bei den Fachgroßhändlern Schilcher und Würth beschafft. Der Bogen spannt sich von 99 Cent für den jungen Gouda bis zu 3,99 Euro für einen Roquefort. Die Käsenationen Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Niederlande, Belgien und Spanien sind vertreten, Schaf-, Ziege- und Kuhmilchprodukte sind im Angebot.
Kompetente Weinabteilung
Die Wein-Abteilung beweist Kompetenz mit einer großen Vielfalt aus den bekannten Weinländern. Ungewöhnlich ist die lange Tafel in der Wein-Abteilung. Da kann der Kunde sich zwischen Wein und Käsetheke niederlassen, probieren, essen, trinken, Zeitung lesen oder via kostenlosem Hotspot im Internet surfen. Daneben in der Verlängerung der Käsetheke ist eine kleine Bar zum Verkosten von Wein. Zwei bis fünf Flaschen stehen immer offen bereit.
Links: Marktleiter Tim Leimbach ist zuversichtlich. {_umbruch_}Rechts: Geschäftsführerin Christiane Speck von der Rewe-Tochter Biokonzept hat den Markt mitentwickelt.{_umbruch_}
Die Fleischtheke wird von Thönes Natur aus Wachtendonk beliefert. Regionalität steht hier im Zentrum. Durch Veredelung will die Theke noch mehr punkten. Marinieren und panieren zu küchenfertigem Bio-Fleisch bringen hier zusätzliche Wertschöpfung. Der Meisterbrief an der weiß gekachelten Wand signalisiert Fleischkompetenz.
Die Frische wird fortgesetzt mit dem biologischen SB-Wurst und -Fleisch-Sortiment von Thönes im Kühlregal. Mopro nimmt natürlich den breitesten Raum ein. Söbbeke aus dem Münsterland ist hier der Platzhirsch. Aber auch Andechser schafft es aus Bayern bis nach Köln. Weißenhorner ist mit seinem phantasievollen und hochwertig präsentierten Frischkäse ebenfalls dabei. Frischmilch von Berchtesgadener Land steht im 14 Meter langen Kühlregal.
Den vegetarischen Ersatzprodukten zu Milch und Fleisch aus Soja wird breiter Raum gewidmet. Provamel und Taifun heißen die prominenten Vertreter. Die trendigen Smoothies von Fruchtbär werden ebenfalls angeboten.
Loser Tee steht in Bedienung zum Verkauf und auf Wunsch werden die verschiedenen Sorten gemischt. Natürlich gibt es auch Bio-Tee im Beutel, zum Beispiel die Yogi-Tees.
Hier geht es um die Wurst. Thönes Natur aus NRW ist der Hauptlieferant.
Ein Hotspot von mymuesli aus Passau an der Donau hat im Temma in Köln am Rhein einen Standort gefunden. Müsli-Esser können sich im Internet ihr Wunsch-Müsli mischen und von den drei Jungs aus Bayern per Post zustellen lassen. Beim Hotspot im Temma kann die eigene Mischung frei von Versandkosten abgeholt werden.
Regionalität ist ein Thema der Temma. Die Eifelland Bio-Produkte sind mit Limo, Senf oder Wurst im Sortiment. Hellers Bio-Kölsch als urkölnisches Produkt verkauft sich hervorragend. Söbbeke, Thönes und Backboard produzieren ebenfalls in der Region.
Die Naturkosmetik-Abteilung ist im Vergleich zu Vierlinden etwas abgespeckt. Aber auch hier wird die Ware im Außenbereich durch Holzboden und intensive Beleuchtung wirkungsvoll in Szene gesetzt. Eine Verkäuferin ist permanent für die Beratung präsent.
Marktleiter Tim Leimbach sieht hier keinen vorgezeichneten Kundenlauf. „Es gibt keine durchgehenden Regale, sondern nur Inseln, um die unsere Kunden herumlaufen“, erklärt er die Wege. Die Sortimente sind thematisch aufgebaut. Bei den Teigwaren stehen Nudelsoßen und Pesto. Wegen des Parkplatzes erwartet Leimbach einen Durchschnittsbon von 20 Euro. Wenn dann noch die Frequenz stimmt, ist der Erfolg sicher.
Anton Großkinsky