Anuga
Bio-Wachstumsmarkt hat großes Potenzial
Das Anuga-Bio-Kompetenzzentrum zog viele Interessenten in die Fachvorträge
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Bio ist ein Wachstumsmarkt. In Deutschland werden mittlerweile 3,5 Milliarden Euro mit Bio-Lebensmitteln umgesetzt – von Nische lässt sich kaum noch sprechen. Wer aber von den hochwertigen und hochpreisigen Produkten profitieren möchte, muss vieles beachten. Fakten und Anregungen zu dem Zukunftsthema Bio gab es bei den Fachvorträgen im Bio-Kompetenzzentrum der Anuga.
Bio-Produkte werden in Deutschland in drei großen Segmenten vertrieben: 26 Prozent (1997: 31 Prozent) des Umsatzes entfallen auf den Naturkost-Fachhandel. Das sind zirka 2.000 Bioläden mit durchschnittlich 100 bis 200 Quadratmeter Verkaufsfläche und rund 3.000 Artikeln sowie 250 Bio-Supermärkte mit einer Größe zwischen 200 und 1.000 Quadratmeter und 5.500 bis 10.000 Artikeln. 37 Prozent erzielt der konventionelle Lebensmittelhandel inklusive Discounter (1997: 28 Prozent), der Rest verteilt sich auf andere Vertriebswege wie Reformhäuser, Drogeriemärkte, Direktverkauf beim Erzeuger oder Lebensmittelhandwerk.
In die Podiumsdiskussion „Bio-Vollsortiment im Supermarkt" führte Professor Dr. Achim Spiller, Lehrstuhl Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte der Universität Göttingen, ein. Der klassische LEH hat in den letzten Jahren stark aufgeholt, doch er hat noch Problemfelder. Spiller nannte dazu:
- relativ schmale Eigenmarkensortimente mit 200 bis 500 Artikeln, die wenig profiliert sind,
- wenig starke Bio-Herstellermarken,
- wenig POS-Unterstützung durch die Hersteller,
- ein hinsichtlich Umfang, Platzierung und Umschlaggeschwindigkeit oft unzureichendes Frischeangebot,
- so gut wie keine Belieferung durch den Bio-Großhandel,
- mangelnde Kompetenz und Motivation des Verkaufspersonals,
- Entscheidung zwischen Platzierung als Bio-Block oder integriert in die Warengruppe – möglicherweise im Premiumsortiment
Sich an den eigenen Kunden orientieren
Das obere Preissegment, bisher so genannten Premiumartikeln vorbehalten, ist in letzter Zeit dank Bio wieder größer geworden, berichtete Christoph Soika, CSC Consulting in Petersberg. Auch der Preiseinstiegsbereich ist stark – die Discounter haben zirka 40 Prozent Marktanteil –, schlechte Zeiten sind dagegen für mittelpreisige Angebote angebrochen.
Christoph SoikaDer Umsatz mit Bio-Produkten ist zwischen 1997 und 2004 um 136 Prozent gewachsen, in dieser Zeit verloren Lebensmittel insgesamt 0,7 Prozent an Umsatz. Heute hat Bio ein Umsatzvolumen von 3,5 Milliarden Euro, das entspricht einem Drittel des Umsatzes in Europa. „Von Nische kann man kaum noch sprechen", meinte denn auch Christoph Soika. In Deutschland wuchs Bio 2004 um 10,8 Prozent, wobei zu beachten ist, dass es in jenem Jahr keine Skandale gab. Es handelte sich also um echtes Wachstum. Im BSE-Jahr 2001 beispielsweise schnellte der Bio-Umsatz um 31,7 Prozent in die Höhe, 2002 waren die Verbraucher durch die Währungsumstellung verunsichert, gleichzeitig stiegen die Discounter in den Bio-Markt ein – das Umsatzplus betrug zehn Prozent, im Jahr darauf 3,5 Prozent. Soika erwartet, dass sich Ende 2005 bei Bio eine Wachstumsrate von 18 Prozent ergeben könnte.
Von alleine geht das allerdings nicht. „Das Angebot muss zur Nachfrage kommen", fordert Soika. Für den konventionellen LEH heißt das zum Beispiel, dass er sich an den Wünschen seiner Kunden orientieren muss und nicht auf die Klientel schielen soll, die im Naturkostfachhandel kauft. „Menge verkauft Menge" erinnerte der Unternehmensberater zudem an eine andere Handelsweisheit. Das heißt: Der Verbraucher muss eine Auswahl bekommen – für jede Warengruppe sollte nach Soika mindestens eine Bio-Alternative zu finden sein.
Und auch: Die Mitarbeiter müssen die Qualität der Ware kennen, sie müssen geschult werden und es muss klare Verantwortlichkeiten, auch in der Disposition, für das Bio-Sortiment geben. Und schließlich: Die Preise dürfen nicht überhöht sein.
Edeka: Bio gehört zum guten Ton
Erfahrungsberichte gab es auch von der Edeka. Markus Petereit ist seit 2002 Inhaber eines Edeka-aktiv-Marktes in Bernkastel-Kues an der Mosel, führt insgesamt 20.000 Produkten und erzielt mit Bio sechs Prozent seines Umsatzes. Seine Überlegung: Er will sich vom Discounter abheben und Nischen erschließen. Sein Vorteil ist, dass es im Umkreis von 20 Kilometer kein Bio-Fachgeschäft gibt und sein Einzugsgebiet 24.000 Einwohner zählt.
Dr. Achim SpillerPetereit hat sein Sortiment auf fünf Säulen gestellt: Produkte im Preiseinstiegssegment, Markenartikel, Feinkost, regionale Produkte sowie Gesundheitsprodukte, wozu er Bio zählt. Von seiner Großhandlung bezieht er das komplette Bio-Sortiment inklusive Bio-Fleisch, dazu noch einige Marken wie Perlinger, Bio-Gourmet, Wagner oder Deutsche See. Platziert wird sowohl als Block (Perlinger, Bio-Wertkost) als auch integriert im Sortiment. Aktionen sorgen dafür, dass die Kunden die Ware kennen lernen und größere Einheiten verkauft werden. Petereits Ziel: 2.500 Bio-Produkte inklusive der Frische. Dafür bräuchte er aber die Belieferung eines Bio-Großhändlers.
Duschan Gert von der Großhandlung Edeka-Südwest gab für sein Unternehmen das Ziel von vier bis fünf Prozent Bioanteil bis 2010 bekannt; derzeit sind es 2,5 Prozent. „Es gehört zum guten Ton, Bio zu führen" sagte Gert und räumte ein, dass die 200 Trockenartikel der Eigenmarke Bio-Wertkost nicht ausreichen und dass „noch viele Hausaufgaben gemacht werden müssen". Auf allen Stufen sieht er Möglichkeiten zu handeln: National kann die Edeka-Zentrale Bio forcieren (zum Beispiel bei Obst und Gemüse) und die Eigenmarke ausbauen, die Großhandlungen können für die Beschaffung regionaler Produkte sorgen und die Händler vor Ort Ware von lokalen Erzeugern beziehen. Obst und Gemüse sollten möglichst aus der Region stammen, was derzeit mengenmäßig noch nicht möglich ist. Es brauche Aktivitäten und Anbauverträge mit den Landwirten.
Podiumsdiskussion „Bio-Vollsortiment im Supermarkt“: Markus Petereit, Duschan Gert, Christoph Soika und Moderator DR. Achim Spiller (v.li.n.re.)Mit ihrem eigenen Fleischwerk hat die Edeka Südwest den Vorteil, die Filialmitarbeiter direkt einbeziehen und die Ware vor Ort erklären zu können. Damit können die Informationen besser an die Kunden weitergegeben werden. Wichtig ist, dass die Wertigkeit der Bio-Ware erkannt wird, sie aber nicht teurer als mit 25 Prozent Aufschlag verkauft wird. „Der Kunde hat klare Grenzen", weiß Gert.
Bio für mehr Authentizität
Bio kann ein gutes Profilierungsinstrument sein – aber Bio braucht auch neue Einkaufsmöglichkeiten. „Die Zukunft von Bio hängt von den Supermärkten ab", meinte Carol Haest, freier Berater aus Belgien auf der Podiumsdiskussion „Der globale Biomarkt". Er ist sich sicher, dass das Segment Authentizität schaffen kann – für Supermärkte, die sich seiner Meinung nach in einer „Dauerkrise" befinden, also eine wichtige Sache. Bio, Fair Trade und Ware mit ethischem Hintergrund machen Haest zufolge zwei bis fünf Prozent des Umsatzes. Aber über Bio muss im Unternehmen ein horizontaler und ein vertikaler Konsens bestehen, es muss investiert werden: in die Arbeitskräfte, in die Ausbildung, in die Regalplätze und in die Kommunikation. Wo dies nicht geschehe, bleibe die hochwertige Ware ein Fremdkörper. Als Beispiel, wie es in Deutschland gehen kann, nannte Haest tegut mit seinen Filialen, wo mit etwa 1.800 Bio-Artikeln bereits mehr als zehn Prozent des Umsatzes erzielt wird.
Emotionen wirken – auch beim Einkauf
Auch mit Emotionen am Point of Sales kommt der Handel weiter. Das hat Roland Jenny von der Unternehmensberatung Umdasch herausgefunden. Die viel beschworene Produktdifferenzierung ist ein wichtiger Faktor – der andere aber, dass sie überhaupt wahrgenommen wird.
Bei einer Studie für Babyprodukte, über die Jenny während der Veranstaltung „Erhöhung des Abverkaufs von Bioprodukten ohne Preiserhöhung" berichtete, kam heraus, dass es für Einstellung und Kaufverhalten einen Unterschied macht, ob die Kunden gute Gefühle haben. Bei der Untersuchung sahen ein Teil der befragten Verbraucher ein Babybild. Wer mit dem kleinen Wonneproppen konfrontiert wurde, zeigte mehr Kaufbereitschaft, beurteilte die Bedeutung von Bio für den Nachwuchs höher und war auch bereit, mehr zu zahlen.
Jenny setzte seine Erkenntnisse mit einer „Bio-Baby-Ecke" um, in der Pflegeprodukte, Babykost und Textilien zusammen platziert wurden. Große Hintergrundfotos von Kamillenblüte vermittelten Gesundheit und Sicherheit, Babybilder sprachen die Zielgruppe und das Kindchenschema an. Ein Wickeltisch in der Mitte des Sortiments ermöglichte zudem, Produkte auszuprobieren und Vertrauen zu wecken. Der Umsatz kann auf diese Weise um 20 Prozent steigen, erklärte Jenny.
Natürlich muss der Appell an die Emotionen zum Sortiment passen. Mit einem Babyfoto kann man nicht ohne weiteres auf Kartoffeln aufmerksam machen. Doch die Aussage ist klar: Es gibt noch andere Merkmale als den Preis, um sich im Wettbewerb hervorzuheben.
Tegut holte Bioaus der Ecke
Das Unternehmen aus Fulda kam in dem Vortrag „Unkonventionelle Erfolgswege im Verkauf von ökologisch erzeugtem Obst und Gemüse" selbst zu Wort. Tegut-Juniorchef Thomas Gutberlet, der verantwortlich für das Marketing zeichnet, machte vor allem das Vertrauen der Kunden für den Erfolg verantwortlich. Und das konnte wachsen: Das Unternehmen mit heute 300 Märkten begann bereits in den 80-er Jahren mit dem Verkauf von Bio, weitete ihn immer stärker aus und kam schließlich zu dem Schluss, dass Bio etwas Normales ist, das nicht in die Ecke gestellt werden darf.
Platziert wird nun in den Warengruppen. Damit finden die Verbraucher nicht nur vergleichbare Produkte, sondern können auch die Preise gegenüberstellen. Ab Herbst 2004 erfolgte auch die integrierte Zuordnung im Obst- und Gemüsebereich. Ganz ohne Verärgerung mancher Kunden, die bei tegut nur Bio kaufen, sei das freilich nicht gegangen, berichtete Thomas Gutberlet. Aber das ließ sich rasch klären: So viel weiter sind die Wege gar nicht, und wer von Bio überzeugt war, hörte von den tegut-Mitarbeitern gerne, dass sich die Öko-Varianten in der neuen Platzierung besser verkaufen.
Anfang August lag der Bio-Anteil bei O + G leicht über 30 Prozent, bei manchen Obstsorten schon bei 50 Prozent. Und noch etwas macht tegut anders als andere: Teile der Bio-Ware wird lose verkauft – das Unternehmen möchte, dass der Kunde ausprobieren kann und nicht immer zum Beispiel einen Sechserpack mit der gleichen Apfelsorte aufessen muss. Es ist die konventionelle Ware, die verpackt angeboten wird, wenn Verwechsungsgefahr mit Bio droht.
Gutberlet mahnte Handelskollegen, bei Bio nicht die Spanne reinholen zu wollen, die bei anderen Lebensmitteln nicht mehr zu verdienen ist. Denn die Gefahr einer Verteuerung der Produkte ist ohnehin gegeben: Stichworte sind Gentechnik und Verknappung des Rohstoffmarktes, weil zu wenig Landwirte umstellen.
Bio-Wurst bringt Schwung in die Theke
Auch Dr. Gernot Peppler, Geschäftsführer und Gesellschafter der Rack & Rüther GmbH in Fuldabrück, ist ein Überzeugungstäter in Sachen Bio. Zwei bis drei Tonnen der Gesamtproduktion von zehn bis 15 Tonnen Wurstspezialitäten pro Woche macht in seinem Unternehmen die Bio-Ware nach EU-Kriterien aus. Verkauft wird sie bundesweit in der Bedientheke. „Es gibt kein Nord-Süd-Gefälle bei der Nachfrage von Bio-Wurst", räumte Dr. Peppler mit einem Vorurteil auf. „Es gibt ein Kaufkraftunterschied zwischen West und Ost, und es gibt ein Stadt-Land-Gefälle." Der Bio-Abverkauf hinge aber entscheidend davon ab, wie das Angebot ist. Und dazu bot Peppler in seinem Vortrag „Erfolg bei Bio-Wurst in Bedienungsverkauf durch erfolgreiches POS-Marketing" eine Fülle von Anregungen:
Bei der Frage der Platzierung in der Theke sollte der Block bevorzugt werden.
Das Bio-Sortiment sollte mindestens zehn bis 20 Artikel umfassen, damit es gesehen wird und eine Auswahl bietet.
Geschmack und Optik müssen stimmen, wobei bewusst gezeigt werden kann, wenn die Ware anders als gewohnt aussieht.
Aufmerksamkeit wecken zum Beispiel spezielle Preisschilder, Plakate, aktives Anbieten und farbliche Gestaltung, Informationsmaterial, DVD-Videos im Markt oder ein Bio-Schlemmerabend im Markt – der auch gut für die Kundenbindung ist.
Die Mitarbeiter sollten von der Qualität der Produkte überzeugt sein und auch davon, dass die Preise gerechtfertigt sind. „Nur 20 bis 30 Prozent der Kunden haben die entsprechende Kaufkraft. Die Verkäufer müssen deshalb wissen, dass es völlig normal ist, wenn sieben von zehn Kunden Bio-Wurst als zu teuer empfinden", erklärte Dr. Peppler. Die Mitarbeiter sollten Hilfen bekommen – bei Rack & Rüther gibt es einen Verbraucher-Service, an den die Kunden zumindest zu Beginn der Bio-Wurst-Ära verwiesen werden können.
Mitarbeiter sollen motiviert werden, Bio zu verkaufen.
Dr. Peppler mahnte: „Wer sagt, an der Theke gibt es keine Zeit für die Erklärung von Bio, das Personal ist nicht genügend qualifiziert oder der Thekenbelegungsplan sieht Bio nicht vor, muss sich fragen lassen, wie er die Zukunft der Theke generell sieht." Denn dass hier Schwächen sind, zeigt der Zuwachs im SB-Bereich.
Ilse Raetsch
Der globale Biomarkt
Geert Termeer von Tradin The Organic Corporation B.V, Amsterdam, mit 62 Millionen Euro Umsatz gab in seinem Vortrag „Globale Bio-Rohstoffströme" ein gutes Bild von der Entwicklung:
Gerald HerrmannAuf dem Weltmarkt werden mit Bio derzeit etwa 24 Milliarden Euro umgesetzt, in Europa etwa 12 Milliarden Euro und in den USA 10 Milliarden Euro. Nordamerika verzeichnet Wachstumsraten von 18 Prozent und wird in zwei bis drei Jahren den europäischen Markt überholt haben.
Deutschland ist mit einem Umsatz von 3,5 Milliarden Euro der größte europäische Markt. Griechenland hatte in den letzten fünf Jahren ein Bio-Wachstum von 1.000 Prozent – hier wurde das Potenzial offenbar erfolgreich angegangen. In Portugal wiederum ist noch Musik drin: Die Pro-Kopf-Ausgaben belaufen sich im Durchschnitt auf vier Euro im Jahr.
Geert TermeerWas im Anbau möglich ist, machte Gerald Herrmann, Präsident der IFOAM, deutlich. In Schweden werden 19 Prozent der Landwirtschaft nach den Kriterien des Öko-Landbaus bewirtschaftet, in Österreich elf Prozent, in der Schweiz zehn, in Italien acht Prozent und in Deutschland – wie in Uruguay – vier Prozent. In Argentinien und Costa Rica liefern zwei Prozent der Flächen Bio-Produkte, in Uganda ein Prozent. Als großen neuen Absatzmarkt sieht Herrmann Indien: Hier entstehen viele neue Arbeitsplätze, die für Kaufkraft sorgen.
Und der Referent hatte noch weitere Beispiele, die zeigen, wie weit Bio heute schon gekommen ist: In München hat 30 Prozent des Brotes Bio-Qualität, bei der deutschen Baby-Nahrung sind es 80 bis 90 Prozent, die Nummer 1 beim Tee in Ägypten ist Bio-Tee aus Sekem. Auch Herrmann sieht wichtige Erfolgsfaktoren in der professionellen Vermarktung – auch über den konventionellen LEH. Die IFOAM, so teilte er mit, habe eine Vision: 100-prozentige Ernährung mit Bio auf der gesamten Welt.