Editorial
Editorial Ausgabe 124/Juli 2025, 3. Quartal
Liebe Leserinnen, liebe Leser.
Die Krise scheint bewältigt, die Naturkostbranche hat sich beruhigt. Fast jeder Nur-Bioproduzent ist jetzt auf dem Weg in den Mainstream an eine Handelsagentur gekoppelt und auch Großhändler nehmen diese Hilfe in Anspruch. Teilen wir die Handelsexperten in zwei Gruppen, dann bleiben ein paar, die ausschließlich für Bio unterwegs sind und Bio verstehen oder lernen zu verstehen. Die zweite Gruppe sind jene mit 100 Prozent konventioneller Erfahrung. Sie wissen, wie die Lebensmittel-Industrie tickt und wer im Handel die Ansprechpartner sind. Ein Vorteil, ohne Frage!
Die Frage nach dem Ziel lenkt dann jedoch auf ganz andere Lichtblicke. Kurzfristig möglichst gute Wachstumsraten und altgewohnte Mengenentwicklung mit der eigenen Bio-Marke erzielen wie Jahrzehnte lang im Naturkostfachhandel, dürfte im Mainstream schon deshalb schwieriger bis unmöglich werden, weil Bio-Anbieter dort nicht nur neue Märkte erobern, sondern auch herkömmliche Lebensmittelangebote verdrängen müssen. Eine zweifache Anstrengung, also die Preiswert-Gewohnheit ersetzen durch Qualitätsbewusstsein, Bio-Qualität zumal, und dann noch den Platzhirschen die Stirn bieten. Das mit vertrauenswürdigen Preisen, die auf Akzeptanz stoßen.
Diesen Kulturkampf den üblichen Marktkräften zu überlassen, landet so sicher wie das Amen in der Kirche in der Sackgasse. Es geht um zusätzliche 50 Milliarden Jahresumsatz und mehr, wenn die allseits angepeilte 30-Prozentmarke dann auch noch überschritten werden soll. Die Bio-Nachfrage wird parallel mit dem Gesundheitsbewusstsein durch eigene Erkenntnis und eigenes Zutun der Bevölkerung steigen.
Der Handel und die Industrie suchen mit Nachdruck Wege, die Zügel in der Hand zu behalten. Aldi macht es vor. Vollsortimenter sind aber bereits jetzt mit elf Prozent Bioanteil im Sortiment überfordert. Zu viel vom Gleichen, anstatt das gewohnte Vollsortiment abzubilden. Bio selbst organisieren zu wollen, stößt an Grenzen und zudem auf Widerstand bei den Produzenten, den Vermarktern und nicht zuletzt beim Publikum, das nicht nur Bio in den Regalen erwartet. Vertrauen in die Lebensmittel wird so wichtig wie die Beziehung zum Hausarzt!
Die Fokussierung auf die Margen wird mehr Achtung gegenüber den Lebensmitteln und den Menschen, die sie produzieren und handeln, weichen müssen. Lebensmittel dürfen nicht kaputtproduziert oder -gehandelt werden und sich weiter nur am Gewinn orientieren. Eine neue Balance muss her. Die findet sich schwer im bestehenden System. Zentralismus der Vorstufen versus Vernetzung in der Region oder gar um den Kirchturm herum sind totale Gegensätze. Wer die Zukunft gewinnen will, muss die Transformation schon heute strategisch angehen und vieles neu lernen. Der Mensch im Zentrum wird wichtiger als der Gewinn.
Die Kaufleute brauchen ihre Vorstufe mit ihren Synergien in der Beschaffung, der Lieferung und Abrechnung, ja und auch einigen Techniken und vielleicht sogar Unterstützung bei der Regalplanung. Aber wie reagieren die Vorstufen auf die Bedürfnisse der Kaufleute und deren Kunden? Bio-Sortimente jedenfalls stehen nicht so professionell wie der Anspruch da. Fehlt es an echter Einsicht und der Handel glaubt, dass die Verbraucher Bio gar nicht wollen?
Gibt es deshalb kein Brot, selten Fleisch und Wurst und im O+G-Regal meist nur lückenhafte Angebote? Man könnte denken, es gibt viel von dem, was sich einfach handhaben lässt, also außerhalb der Frische. Aber weit gefehlt. Auch in der TK-Truhe oder bei Süßwaren und Getränken ist Ebbe. Die Industrie gibt keinen Platz ab. Selbst die hochwertigen Feinkostangebote strotzen nicht von Biovielfalt. Dafür 100 Meter Bioregale als Insellösung im Markt, ob als Naturkindwelten oder sonstige Bioblöcke! Aber diese Langeweile ist nichts für die Kundengewohnheiten. Inselwelten können schnell als Ghetto empfunden werden. Viele wollen da beim Stöbern besser nicht gesehen werden.
Demeter bei Kaufland wirkt deplatziert. Bioland-Labeling beim Discounter hat zwar Umsätze generiert und ein Aldi Süd macht fraglos einen guten Job. Aber sieht so das Bio-Ziel aus? Wo sind die Handwerker bei Fleisch, Backwaren und Käse? Wo wird ein Bio-Vollsortiment zelebriert und Vielfalt statt Einfalt geboten? Bio-Kunden sind doch bereit, ihr gutes Geld für gute Angebote einzusetzen.
Zugegeben, das alles kann nicht in kurzer Zeit realisiert werden. Wenn aber die Entwicklung der letzten 25 Jahre im gewohnten Tempo und Spirit weiter geht, braucht es Generationen bis die Handels-Vorstufen Bio für ihre Outlets noch einmal verdoppeln oder verdreifachen und in die Nähe der im Jahr 2001 proklamierten 20 Prozent Bio kommen werden.
Die Bremsen müssen weg? Nein. Die Vorstufen sind notwendige Partner. Die Biobranche muss sich jedoch neu aufstellen und Augenhöhe gewinnen. Sie muss Bio selbst in die Hand nehmen und an den POS tragen. Identfiziert sind die Eckpunkte. Jetzt fehlt nur noch die Initialzündung zur Bio-Vorstufe für alle.
Erich Margrander
Herausgeber