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Kongress

Vereint für die Agrarwende

VII. World Organic Forum auf Schloss Kirchberg

Vereint für die Agrarwende

Vom 1. bis 3. Juli fand in der Akademie Schloss Kirchberg das 7. World Organic Forum statt. Im Fokus des internationalen Kongresses für Kleinbauern, Ökologie und Nachhaltigkeit in der Land- und Ernährungswirtschaft stand dieses Jahr das Thema ‚Ernährungssysteme der Zukunft: Bio – Regenerativ – Agrarökologisch?‘ Über 30 Referenten aus verschiedenen Regionen der Welt – Ghana, Tansania, Kanada, den Philippinen oder Europa – berichteten von ihren Projekten und Herausforderungen und diskutierten über die Chancen und Grenzen unterschiedlicher Anbaustandards, den Weg zu einer besseren Wertschöpfung für Erzeuger und das Potenzial von mehr Zusammenarbeit.

Stephen Ashia, der die ABOCFA-Kooperative – die einzige Bauerngenossenschaft für den Anbau von Fairtrade-Bio-Kakao in Ghana – managt, führte dem Publikum das Wertschöpfungsproblem der Erzeuger im Globalen Süden vor Augen. In der ABOCFA-Kooperative sind rund 3.000  Landwirte vereinigt, Ghana ist nach der Elfenbeinküste der zweitgrößte Kakaoproduzent weltweit. Jedoch: „Für viele Bauern in der Region ist es ein Verlustgeschäft“, stellte Ashia klar. Sobald die Ware verarbeitet werde, steige ihr Wert um ein Vielfaches – allerdings findet nur wenig Verarbeitung in Ghana statt. Nach vielen Errungenschaften der Kooperative – dem Bau und der Ausstattung von Schulen, der Versorgung der Mitglieder mit Bio-Dünger und verbessertem Saatgut oder der Errichtung von Wasserversorgungssystemen – ist ein neues Projekt daher der Bau einer eigenen Anlage, um Kakao in kleinem Rahmen selbst vor Ort zu verarbeiten.

„Landwirte, die frische Erzeugnisse verkaufen, bekommen die geringste Marge“, stimmte Janet Maro, Geschäftsführerin von ‚Sustainable Agriculture Tanzania‘ (SAT) und wiederholte Referentin beim World Organic Forum, zu. „Verarbeitung macht einen Riesenunterschied für die Wertsteigerung!“ Wenn man Erzeuger dazu ermächtige, aus dem Teufelskreis von Armut und Abhängigkeit auszubrechen, seien sie auch motiviert, sich der Bewegung anzuschließen. Über 2.000 Bauern haben mit Unterstützung der Initiative aus Morogoro bereits eine Bio-Zertifizierung erreicht. „Viele Landwirte können nicht schreiben, die Vorbereitung für die Zertifizierung ist herausfordernd“, erklärte Maro.

„Der Globale Süden braucht ein einfacheres Zulassungsverfahren“, meinte auch Naturland-Chef Steffen Reese, sprach sich für alternative Wege der Qualitätssicherung wie Partizipative Garantiesysteme (PGS) aus und stellte das Konzept, dass Produzenten für die Zertifizierung zahlen müssen, infrage. Für den Anbauverband Naturland, zu dem Mitglieder in 60 verschiedenen Ländern gehören, sei es schwierig, einen einheitlichen Standard für all die unterschiedlichen Kulturen, Klimazonen und Anbaubedingungen festzulegen.

Kleinbauern als effiziente Lokal-Botschafter

Ganz der Förderung des Kleinbauerntums im Norden hat sich Jean-Martin Fortier aus Québec verschrieben. Der Gründer des ‚Market Gardener Institutes‘, das Onlinekurse über Gemüsebau anbietet, hat 2014 über sein vielgelobtes Buch ‚Der Gemüsegärtner – Handbuch für den erfolgreichen Ökolandbau in kleinem Rahmen‘ Bekanntheit erlangt. Unter dem Motto ‚besser statt größer werden‘ (‚grow better, not bigger‘) propagiert er eine ‚biologisch-intensive Anbaumethode‘ mit vielfältigen Kulturen auf engem Raum. Effizient und umweltfreundlich ließen sich so mit wenig Technikeinsatz auf gesundem Boden hohe Erträge erzielen.

„Unsere Farm hat keinen Traktor. Maschinen sind nicht notwendig für Profit“, erklärte Fortier beim World Organic Forum. Vom gesamten Umsatz blieben ihm 45 Prozent Gewinn. Sein Ziel sei aber nicht nur die effiziente Produktion, sondern auch, eine Gemeinschaft um das Gärtnern und die Landwirtschaft herum zu schaffen. So gebe es um die eigene Farm des Instituts jetzt ‚Farmers‘ nights‘ oder auch ein ‚vom Hof auf den Tisch‘-Restaurant. Selbst die Politik in der Gegend habe sich so verändert, dass sie nun Landwirtschaft im kleinen Rahmen fördere. „Kleine Höfe sind so wichtig“, betonte Fortier. Bei jedem Wochenmarkt könnten Sie Einfluss nehmen, über den direkten Kontakt zu Konsumenten mehr Leute anstecken und Bewusstsein schaffen.

„Direkter sozialer Kontakt ist elementar, um etwas zu verändern“, stimmte Bernhard Freyer, Agrarbiologe und langjähriger Leiter des Instituts für Ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien, zu. Wandel funktioniere aber nicht nur bottom-up, sondern auch top-down. Das heißt, man müsse auch Großkonzerne zum Dialog einladen und eine strategische Kommunikation mit ihnen starten, weil sich sonst nichts verändern werde. „Wer nicht kommuniziert, existiert nicht.“

Was die Form der Kommunikation angeht, sei es wichtig, auch die Sprache der Landwirte zu sprechen. Mit abstrakten Konzepten und Definitionen könnten sie nichts anfangen, sie beschäftigten sich mit praktischen Dingen: dem Boden, Dünger, Leguminosen, der Ernte… „Meine Sprache ist mein Boden, sagen sie mir“, so Freyer. „Wenn Bauern einen Ansatz verstehen und davon profitieren, werden sie ihn auch gerne umsetzen“, bestätigte Ashia.

Für Walter Link, Mitgründer und Geschäftsführer des Future Economy Forums, ist ein Schlüssel, um konventionelle Landwirte vom Ökolandbau zu überzeugen, sie in puncto Produktivität zu übertreffen. Beispiele dafür könne man weltweit schon finden, zum Beispiel im brasilianischen Sao Paulo.

Vernetzt im Kampf um faire Preise

Auch im Globalen Norden bleibt das Thema faire Erzeugerpreise und mangelnde Entschädigung für Ökosystemleistungen besonders für Kleinbauern ein Problem. „Das System wird immer verdichteter. Kleinbauern haben keine Chance, in den Großstrukturen Fuß zu fassen“, meinte Nora Taleb, Vorstandsmitglied im US-amerikanischen Good Food Collective.

Sie müssen sich im Wettbewerb neben marktbeherrschenden multinationalen Konzernen durchsetzen, um es in Lebensmittelgeschäfte zu schaffen und ihre Erzeugnisse auch verkaufen zu können. „Dabei liegt die Kernkompetenz vieler Landwirte nicht im Marketing“, teilte der portugiesische Bio-Landwirt und Berater André Antunes mit. Wenn sie nicht größer werden, bleibt es herausfordernd, sieht auch Fortier. „Sie müssen Superhelden sein“, stellt er fest.

Für André Leu, Leiter des Netzwerks Regeneration International, besteht ein Ausweg und Mittel gegen Höfesterben in der Bildung von Marketinggruppen, um auf Augenhöhe mit dem Handel kommunizieren zu können. Mit einem Wertschöpfungsnetz statt einer Wertschöpfungskette ließe sich mehr Fairness erreichen.

„Unsere Großväter hatten schon dieselben Probleme“, klinkte sich Gastgeber Rudolf Bühler in die Diskussion ein. „Es war eine Erfindung von Raiffeisen, Genossenschaften zu gründen, um Landwirten zu mehr Gewicht im Markt zu verhelfen.“ In einem anständigen Einkommen sieht er den Schlüssel für die Zukunft der Landwirtschaft. „Dann sind junge Landwirte auch bereit, Betriebe zu übernehmen.“

Charlotte Dufour, Expertin und Beraterin für Lebensmittelsysteme aus Frankreich, wies auf die Rolle von Kaufleuten für die Bio-Vermarktung hin: „Sie sind super-interessiert daran, gute Produkte in die Regale zu bekommen. Für mich sind lokale Produkte in ländlichen Supermärkten die einfachste Möglichkeit, Bio zu kaufen.“

Bio – regenerativ – agrarökologisch

Im Zentrum des 7. World Organic Forums stand die Frage, welches Konzept der Nahrungsmittelproduktion am vielversprechendsten ist für die zukünftige Ernährungssicherung weltweit. Was schont die Umwelt am meisten, liefert im Klimawandel die höchsten Erträge und womit kann man die Landwirte am besten abholen? Sind Zertifizierungen nötig? Und wie sollten sie gestaltet sein?

Carbon Credits – also CO2-Gutschriften – sind eine der fünf Säulen der ‚Wirtschaft der Liebe‘ von Sekem, der ägyptischen Gemeinschaft, der es gelungen ist, eine florierende Bio-Landwirtschaft in der Wüste zu etablieren. Sekem-Geschäftsführer und Kirchberg-Stammgast Helmy Abouleish war online zugeschaltet und berichtete vom aktuellen Stand. Mit Blick auf die Vision 2057 – das erworbene Wissen für die gesamte Gesellschaft verfügbar zu machen und alle Akteure zu erreichen – befinde sich das Unternehmen nun in der ‚Umbauphase‘. Bis 2028 sollen 250.000 Landwirte nach dem Modell Sekems wirtschaften, momentan sind bereits über 10.000 mit von der Partie.

Der Gedanke hinter den Carbon Credits ist laut Abouleish vor allem, Landwirte fair für Ökosystemdienstleistungen zu entschädigen. „Nach der UN-Klimakonferenz 2022 in Ägypten gab es seitens der ägyptischen Regierung enorme Unterstützung“, freut sich der Agrarökonom. Zum Beispiel wurde Ende 2022 ein Dekret erlassen, das einen Rechtsrahmen für den freiwilligen Handel mit CO2-Gutschriften vorgibt. Wie Walter Link berichtet, war das System der Kohlenstoffgutschriften in Ägypten tatsächlich ein entscheidender Anlass für Landwirte, ihre Wirtschaftsweise zu ändern.

Agrarökologie-Koalition im Wachstum

Von aktuellen Entwicklungen im Bereich der Agrarökologie berichtete Jasmin Hundorf, die für das Thema im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verantwortlich ist. Während der Ursprung der Agrarökologie sich bis in die 1920er Jahre zurückverfolgen lasse, wo das Etikett zunächst als wissenschaftliche Disziplin auftauchte, habe sich seine Bedeutung als holistischer Ansatz für das gesamte Lebensmittelsystem erst in den letzten Jahren verfestigt, so Hundorf.

2021 gründete sich im Rahmen des Weltgipfels der Vereinten Nationen zu Ernährungssystemen die Agrarökologie-Koalition, um aktuellen Krisen zu begegnen und langfristig zur nachhaltigen Ernährungssicherung beizutragen. Im Juni 2023 ist Deutschland beigetreten – sowohl mit dem Landwirtschafts- als auch dem Entwicklungsministerium. Insgesamt gehören mittlerweile über 200 Organisationen (Verbände, Forschungsinstitute, NGOs) und über 50 Staaten zur Organisation – „und es werden wöchentlich mehr!“, freut sich Hundorf.

Das BMZ selbst habe seine Ausgaben für Agrarökologie, inklusive Bio-Projekte, von 2018 bis 2020 verdoppelt. Von der Koalition erhofften sich die Ministerien Synergie-Effekte, Vorteile durch Netzwerke und Wissensaustausch sowie gemeinsame Positionen bei internationalen Prozessen.

Regenerativ: Greenwashing oder Chance für die Agrarwende?

Mit ihrem Fokus auf Ernährungssicherheit und sozialem Fortschritt sowie der Abgrenzung zum regelstarren Bio-System stellt die Agrarökologie insbesondere für den Globalen Süden einen vielversprechenden Ansatz dar. Gerade die einheitlichen und (gesetzlich) kontrollierten Kriterien des Ökolandbaus bedeuten für viele aber auch eine Stärke, die sie an alternativen Modellen vermissen. „Die Konzepte Agrarökologie und Regenerativ lassen viele Schlupflöcher zur Interpretation“, stellte Janet Maro fest. „Es wäre gut, eindeutige Standards zu definieren, um sie zu schließen.“

Ausgiebig wurde beim diesjährigen World Organic Forum vor allem um die Verortung und Rolle der regenerativen Landwirtschaft diskutiert, die von verschiedenen Teilnehmern mit ganz unterschiedlicher Bedeutung versehen wurde: als verbindendes Glied zum konventionellen Sektor, als Greenwashing-Bedrohung für Bio-Produzenten, als Chance für den schrittweisen Weg zum Bio-Ziel – oder aber als Add-on für Bios, die ihre Anbaumethoden noch nachhaltiger gestalten wollen.

„Nach unserem Verständnis ist regenerativ ein Teil von Bio“, meinte etwa Naturland-Geschäftsführer Reese. „Für Syngenta ist die Definition von regenerativ: Nimm das Beste von Bio und nimm unsere Chemikalien…“

„Wir wollen eine Brücke bauen zwischen Bio und konventionell und Landwirte mit ganz unterschiedlichen Ausgangslagen zusammenführen“, erklärte der regenerativ-Befürworter Ivo Degn. Dafür sei eine gemeinsame Kommunikationsbasis, eine geteilte Vision nötig, die wiederum nur von den Landwirten selbst geliefert werden könne.

„Es liegt Potenzial darin, die Gräben zwischen Bio und konventionell zu überwinden“, stimmte Julius Palm von Followfood zu. Gleichzeitig sähen sich Bio-Akteure zurecht gefährdet, wenn Großkonzerne wie Mars und Unilever große Marketingkampagnen für regenerative Projekte starten und Bio zurück in die Nische drängen wollen.

Integrity Grown: ein Punktesystem für mehr Nachhaltigkeit

Einen ganz neuen Standard für regenerative Praktiken stellte Kish Johnson vor, der den Bereich strategische Partnerschaften und internationale Geschäfte bei Advancing Eco Agriculture (AEA) verantwortet. Das US-amerikanische Unternehmen wurde 2006 vom Landwirt John Kempf gegründet und will anderen Landwirten dabei helfen, zu regenerativen Methoden überzugehen, die Notwendigkeit von synthetischen Pestiziden zu reduzieren bzw. ganz zu eliminieren und dabei profitabel zu bleiben. Dafür bietet AEA Beratung, ein individuelles Nährstoffmanagement und eigene Bio-Dünger zum Verkauf an.

„Pflanzen können komplett resistent gegen Krankheiten und Schädlinge werden“, eröffnete Johnson dem Publikum. Mineralische Ernährung unterstütze sie dabei und eine effiziente Nährstoffquelle seien vor allem die Stoffwechselprodukte von Mikroorganismen. Gesunde Pflanzen führten in einer Wechselwirkung wiederum auch zu gesundem Boden und der sorge für einen besseren Ertrag.

Die jüngste Entwicklung von AEA ist der ‚Integrity Grown‘-Standard, eine Zertifizierung, die ‚mit Integrität angebaute‘ Produkte in verschiedenen Stufen – Bronze, Silber und Gold – auszeichnet, zunächst beschränkt auf den Baumwollanbau. Der Standard funktioniert über ein Punktesystem. Honoriert wird zum Beispiel die Reduzierung von synthetischen Pestiziden und Düngemitteln – fünf Punkte gibt es, wenn sie komplett eliminiert werden. Auch Praktiken wie Zwischenfrüchte, Kompost und Weidehaltung werden positiv angerechnet. Minuspunkte erhalten Betriebe dagegen, wenn sie bestimmte, besonders kritisch eingestufte Düngemittel verwenden. In Zukunft will AEA die Zertifizierung auch für andere Kulturen anbieten, als nächstes Weintrauben oder Kaffeebohnen.

Climate Farmers: Ergebnisse auszeichnen

Eine andere Initiative für regenerative Landwirtschaft sind die 2020 gegründeten Climate Farmers, die eine Infrastruktur dafür schaffen wollen, regenerativ als Standard zu etablieren – zum Beispiel über ein Skalierungsmodell, um Carbon Farming, also Kohlenstoffbindung in der Landwirtschaft, zu zertifizieren. „Unser Ziel ist ein systemisch regeneratives Landwirtschafts- und Ernährungssystem“, erklärte Mitgründer und Geschäftsführer Ivo Degn.

Ein solches System sei lebendig und entwickle sich weiter. Um dorthin zu gelangen, gelte es, von der Sichtweise des Kontrollierens wegzukommen und sie durch eine Logik des Beobachtens zu ersetzen: Welcher Wandel findet tatsächlich statt und was sind die Ergebnisse? Inputs zu reduzieren und die Bodengesundheit zu verbessern, sei ein schrittweiser Prozess. Entsprechend wollen die Climate Farmers auch die kontinuierliche Weiterentwicklung und das schrittweise Überwinden schädlicher Praktiken zertifizieren. „Bio ist das Ziel, aber wir können nicht mit dem Ende anfangen – die Mehrheit der Landwirte ist noch nicht so weit“, stellte Degn fest.

Bodenretter: regenerativ als Add-on

Auch die bekannte Bio-Marke Followfood kämpft für eine Zertifizierung, die Produkte aus regenerativem An-bau besonders hervorhebt. Allerdings unterscheidet sich die Ausgangsperspektive von den beiden anderen: Bio ist erst der Anfang. Die Bodenretter-Initiative des Unternehmens unterstützt Landwirte „die über Bio hinaus regenerativ denken und arbeiten wollen.“ Mit einem eigenen Fonds sollen regenerative Methoden durch Forschung verbessert und Landwirte, die regenerative Praktiken verwenden, dafür belohnt werden. Das erste ‚regenerative Produkt‘ Followfoods waren Kartoffeln aus dem Schwarzwald, von einem Demeter-Hof.

„Wir brauchen Labels aus wirtschaftlicher Perspektive: damit wir damit Marketing betreiben und uns vor Greenwashing schützen können“, erklärte der stellvertretende Geschäftsführer Julius Palm. Große Einzelhändler könnten teilweise schon mit Bio nichts anfangen. Den Mehrwert von ‚regenerativ‘ zu erklären, sei dann noch schwieriger.

Lagerdenken überwinden

Während der Stellenwert regenerativer Landwirtschaft und die Notwendigkeit neuer Zertifizierungen von den Referenten unterschiedlich eingestuft wurde, herrschte Einigkeit darüber, dass Lagerdenken auf dem Weg zu einer nachhaltigen Agrarwende nicht zielführend ist und mehr Kommunikation über die eigene Blase hinaus mit anderen Marktteilnehmern stattfinden muss.

„Seine Meinung zu ändern ist schwierig“, stellte Lauren Tucker, die das Beratungszentrum reNourish Studio für Führungskräfte aus der Lebensmittelbranche ins Leben gerufen hat, fest. „Wenn man im Dialog etwas erreichen will, muss man mit Respekt anfangen, sonst ist keine Versöhnung möglich.“ Um etwas zu bewegen, sei es nötig, sich wirklich in die Lage des anderen zu versetzen und herauszufinden, was dem Gegenüber wichtig ist. So stehe es für viele Konventionelle an oberer Stelle, ihre Region ernähren zu können.

Bios fühlten sich in ihrer Bio-Community von den übrigen Landwirten isoliert. Und konventionelle Landwirte fühlten sich dort nicht wohl, weil sie Angst hätten, verurteilt zu werden. Die Frage, was die verschiedenen Lager voneinander lernen können, sei hilfreich dabei, eine Verbindung herzustellen.

„Kooperativ zusammenarbeiten ist eine Herausforderung“, meint auch Laura Santucci, Mitgründerin des Future Economy Forums. „Man muss dafür verschiedene Perspektiven verstehen.“ Besser als der Versuch, andere Leute für das eigene Projekt zu gewinnen, sei es, andere dazu einzuladen, ein gemeinsames Projekt anzustreben. „Dann sind die Partner Miteigentümer dessen, wofür sie sich gemeinsam engagieren.“

Nach Ansicht der internationalen Politikexpertin erfährt der Landwirtschaftssektor politisch immer noch zu wenig Aufmerksamkeit. Zwar gebe es hohe Fördermittel für den Klimaschutz – ein Großteil davon gehe allerdings in den Energiesektor. Die Klimathematik müsse daher als Aufhänger genutzt werden, um der zu wenig beachteten Landwirtschaft zu mehr Gewicht zu verhelfen.

Mehr als Diplomatie: Frieden stiften durch Ökolandbau

Ein eindrucksvolles Beispiel, was durch Dialog und Kooperation erreicht werden kann, zeigte Rommel Arnado, der zusammen mit seinem Team aus den Philippinen nach Kirchberg zugeschaltet wurde. Seit 2010 ist er als Bürgermeister der Gemeinde Kauswagan tätig, die zu diesem Zeitpunkt eines der Zentren des Bürgerkriegs auf Mindanao zwischen muslimischen Rebellen und Regierungstruppen war.

„Am Anfang war Frieden und Ordnung unsere erste Priorität. Wir dachten, das ist die Voraussetzung, um Hunger und Armut zu bekämpfen“, erzählte Arnado. Die Ursachenanalyse einer Arbeitsgruppe brachte allerdings ein anderes Ergebnis: Hunger sei die Wurzel des Problems und müsse als erstes angegangen werden. So kam es, dass Lebensmittel in Kauswagan zur friedensstiftenden Maßnahme wurden.

„Der einzige Weg, um Frieden zu erreichen, war, mit den Feinden zusammenzuarbeiten und ihr Vertrauen in die Regierung wiederherzustellen“, so Arnado. „Wir haben die Rebellen deshalb eingeladen, Teil unseres kommunalen Förderprogramms zu werden.“

Im Zentrum dieses Förderprogramms stand die Lebensmittelproduktion durch Ökolandbau – Landwirtschaft ohne jegliche chemische Inputs und ohne die damit einhergehende, kostspielige Abhängigkeit. Es wurde eine Schule für Bio-Landwirtschaft aufgebaut und die nötige Bewässerungsinfrastruktur geschaffen. Schulungen zur Herstellung von Bio-Dünger fanden statt und gleichzeitig auch Schulungen zur Kommunikation mit anderen Gruppen.

Das Projekt war von Erfolg gekrönt und erlangte unter dem Titel ‚Arms to Farms‘ (‚Waffen zu Höfen‘) internationale Bekanntheit. Die Armutsrate konnte innerhalb von zehn Jahren von fast 80 Prozent auf unter neun Prozent gesenkt werden. Viele Kommandanten schlossen sich dem Programm an und sind auch weiterhin für die Stadt tätig. „Wir haben keinen Hass und keine Ängste mehr“, sagte einer der ehemaligen Rebellen in einem Kurzfilm, der in Kirchberg gezeigt wurde. Im nächsten Schritt will Kauswagan über den Ökolandbau hinausgehen und die Produktion auf biodynamische Landwirtschaft umstellen.

„Die Besucher zeigen, was für eine vielfältige Gruppe Bio-Landwirte aus verschiedenen Regionen der Welt sind“, meinte Jean-Martin Fortier in der Schlussrunde des World Organic Forums. Das verbindende Element ist für ihn simpel: der Boden.

Charlotte Dufour plädierte dafür, das Wohlergehen der Landwirte ins Zentrum des Diskurses zu rücken. „Wie können wir sie abholen, wo sie sind?“, fragte sie und rief für eine bessere Kooperation zu einer Herzens- statt Geisteshaltung auf.

„Die Bio-Bewegung als Vorreiter sollte ihre positiven Resultate mehr kommunizieren“, ist Ivo Degns Wunsch an die Branche. Vereint mit anderen an Nachhaltigkeit interessierten Landwirten lasse sich mit einer stärkeren Stimme sprechen. „Zusammen werden wir bessere Lösungen finden.“

Auch Steffen Reese nimmt aus der Diskussion um Anbaustandards mit, man müsse die prozess-orientierte Bio-Zertifizierung mehr mit Ergebnis-Orientierung verbinden. „Kümmern wir uns um unseren Haushalt, aber lassen wir die Fenster offen“, so sein Fazit.

Lena Renner

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