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Bio für die Mehrheit – eine Mehrheit für Bio?

Biofach-Kongress beleuchtet Status Quo

Bio für die Mehrheit – eine Mehrheit für Bio? © NuernbergMesse / Frank Boxler
Im neuen Format Sustainable Future Lab diskutierten die Teilnehmer und Referenten interaktiv über das Selbstverständnis der Bio-Branche in Deutschland, Chancen und Probleme durch die Öffnung und den Trend zu regenerativer Landwirtschaft.

Naturschutz-Blockaden in der EU-Politik, der Plan zur Deregulierung Neuer Gentechnik, die Öffnung des Bio-Markts und die Angst vor Downgrading und Greenwashing: Beim Kongress der Biofach 2024 gab es allerhand Gesprächsbedarf. Die über 170 Veranstaltungen wurden laut Messeleitung von knapp 8.000 Interessierten besucht. Im neuen Format Sustainable Future Lab stand die Zukunft der Bio-Branche auf dem Prüfstand.

Zum Biofach-Kongress gehört als wichtiger Bestandteil eine Analyse der aktuellen Landwirtschafts- und Ernährungspolitik in der EU mit Blick auf die Bio-Entwicklung. Das Fazit 2024: nicht gut. Im November 2023 wurde die Glyphosat-Zulassung um weitere zehn Jahre verlängert; im selben Monat ließ das EU-Parlament die Verordnung zur nachhaltigen Nutzung von Pestiziden (SUR) platzen. Im Februar 2024 gab das Parlament grünes Licht für die Deregulierung Neuer Gentechnik. Und, was die Biofach-Referenten noch nicht wussten: Im März wurde auch das (eigentlich schon beschlossene) Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wieder auf Eis gelegt, da mehrere Mitgliedstaaten die finale Bestätigung im Rat blockieren wollten.

„Es gibt heute keine Mehrheit für die Vision von Farm to Fork“, bedauerte Jürn Sanders, Direktionsvorsitzender des Schweizer Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL). Die bestehenden Verordnungen reichten nicht aus, um den Klimawandel und die Biodiversitätskrise aufzuhalten – dafür bedürfe es eines gemeinsamen Ziels und mehr Kooperation. Außerdem müsse die Wissenschaft die Notwendigkeit von mehr Maßnahmen mit Fakten untermauern und sich selbst mehr in die Politik einbringen.

„Wir müssen besser mit den Landwirten zusammenarbeiten“, meinte Joanna Stawowy, die in der EU-Agrarkommission für die Bio-Entwicklung zuständig ist. Ein Grund für das Scheitern der SUR sei, dass man den Fokus zu wenig auf Anreize gelegt habe. Dasselbe lässt sich laut Jan Plagge, Präsident des Bio-Dachverbands IFOAM Organics Europe, mit Blick auf die gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP) sagen. Sie sei viel zu komplex und enthalte Zielkonflikte sowohl für Landwirte als auch für die Behörden. Das Regelwerk müsse für Farmer positiv sein und ihnen flexible Vor-Ort-Lösungen ermöglichen.

Gentechnik-Deregulierung: verheerend für den Ökolandbau

Sehr besorgt zeigten sich die Bio-Akteure in verschiedenen Podien über die Pläne der Europäischen Union zur Neuen Gentechnik. „Wenn man etwas in der EU dereguliert, wird es auch nie wieder reguliert werden“, warnte Plagge.

Bei der letzten Abstimmung über Neue Gentechnik im EU-Parlament wurde der Kommissionsvorschlag zur Deregulierung durchgewunken – allerdings mit zahlreichen Än- derungen. So wurde eine Kennzeichnungspflicht nicht nur auf Saatgutebene, sondern auch für Endprodukte in den Verordnungstext aufgenommen. Außerdem sprach sich das Plenum wie schon der Umweltausschuss für ein vollständiges Verbot von Patenten aus. Diese Änderung enttarnten Plagge und der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling jedoch als „Nebelkerze“ und „Kommunikationstrick“: Solange das europäische Patentübereinkommen nicht geändert werde, blieben Neue Gentechnik-Pflanzen auch patentierbar.

Die Referenten stimmten zudem darin überein, dass die erwartbaren Konsequenzen für die Bio-Branche verheerend blieben. „Die Kennzeichnung löst das Bienchenproblem nicht“, stellte Boris Voelkel, Co-Geschäftsführer der Naturkostsafterei, lapidar fest. Für den Fall einer Deregulierung sehe sich der Bio-Hersteller wenig vorbereitet. „Die Bio-Branche wird verantwortlich dafür sein, dass ihre Produkte frei von Kontamination bleiben“, erklärte Häusling. Die Folgen des damit verbundenen Aufwands und der Kontrollkosten: „Bio wird teurer.“ Und für Plagge bedeutet die geplante Deregulierung schlicht, dass die EU-Bio-Ziele nicht mehr erreichbar sind.

Auch aus dem Publikum gab es heftige Kritik an dem Vorhaben. Die Aufhebung des Verursacherprinzips und des Vorsorgeprinzips verstoße gegen die juristischen Verträge, betonte die Agrarwissenschaftlerin Andrea Beste. „Wir wollen den Ökolandbau eigentlich voranbringen – keine Sterbebegleitung machen“, stellte Kai-Uwe Kachel, Referent für Ökolandbau im Landwirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommern, fest. Die Befürworter der Neuen Gentechnik sind in seinen Augen weit weg von der Praxis und müssten in die Realität zurückgeholt werden.

Ein Lichtblick im Kampf gegen die Deregulierung: Die nächste EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2024 liegt bei Ungarn, das alter wie neuer Gentechnik ablehnend gegenübersteht. Und solange der Gesetzesentwurf im EU-Rat keine qualifizierte Mehrheit erlangt, können auch die Trilog-Verhandlungen nicht beginnen. „In diesem Jahr wird nichts mehr kommen“, folgerte Häusling. Es sei deshalb enorm wichtig, die Diskussion voranzutreiben und die Zivilgesellschaft weiter zu mobilisieren.

Fake-Fleisch für die Welternährung?

Bisher untergeordnet im Blickfeld der Bio-Branche sind die Entwicklungen im Bereich von Laborfleisch. bioPress-Herausgeber Erich Margrander stellte den Gesundheitswert des „Fakes, der schmeckt und aussieht wie Fleisch“ in Frage und betonte, zelluläre Produkte hätten keinen Platz in einer ganzheitlichen Ernährungsphilosophie.

Lawrence Woodward, Gründer und langjähriger Leiter des Organic Research Centre (ORC) sowie Geschäftsführer der gentechnik-kritischen, britischen Organisation ‚Beyond GM‘, forderte die Bio-Branche auf, sich ins Thema Laborfleisch einzubringen und die aktuelle Grauzone mit Blick auf Regulierung, Transparenz, Macht und Unternehmensinteressen mitzuentwickeln. Es brauche eine transparente und ganzheitliche Diskussion über die Notwendigkeit, das mögliche Einsatzgebiet, die Energiebilanz, Kosten und Lebensmittelsicherheit.

„Nach heutigem Stand leistet Laborfleisch keinen Beitrag zur Welternährung“, gestand die Grünen-Abgeordnete Renate Künast ein, die als Teil einer ‚Strategie für Proteine der Zukunft‘ auch zelluläre Ersatzprodukte nicht ausschließen will. Diese Position begründete sie mit dem Klimawandel, der in einer Geschwindigkeit komme, „die uns um die Ohren fliegt“, weshalb es ein Fehler wäre, das Thema Labornahrung dichtzumachen. Allerdings liege das größte Potenzial für die Proteinversorgung momentan in pflanzenbasierter Ernährung in allen Varianten – speziell im Bereich bio-vegan.

Die Bio-Branche neu erfinden

Neben politischen Gesprächen wurde im Biofach-Kongress 2024 interaktiv über das momentane Selbstverständnis der Bio-Branche diskutiert. Im Sustainable Future Lab durften die Teilnehmer im vollbesetzten Raum per Online-Umfrage ein aktuelles Stimmungsbild vermitteln. Ganze 76 Prozent stimmten der Aussage ‚Die Bio-Branche gibt es nicht mehr‘ zu.
„Ist jeder, der Bio macht, auch Teil der Branche?“, fragte Kathrin Jäckel,

Geschäftsführerin des Bundesverbands Naturkost Naturwaren (BNN). Das ist für sie nicht ganz eindeutig zu beantworten. Sie sieht gerade einen Widerspruch vom Narrativ der Gemeinschaft und einer „großen Vereinzelung“ – dem Bestreben von Bio-Unternehmen, nur die eigene Marke nach vorne zu bringen.

„Angesichts neuer Marktteilnehmer gibt es jedenfalls die geschlossene Branche nicht mehr“, erklärte Alnatura-Geschäftsführer Rüdiger Kasch. Und: „Das Wort ‚Branche‘ klingt schon grauenhaft“, meinte die Bio-Beraterin Martina Merz aus dem Publikum. Damit sperre man sich selbst ein. Sie spricht lieber von Bio-Markt, Bio-Community und innerhalb davon nochmal einer besonders „engen Familie“ als Impulsgeber.

Rapunzel-Chef Leonhard Wilhelm rief dazu auf, Erfolg auch bei anderen zuzulassen und wieder mehr Wissen miteinander zu teilen. „Wir müssen uns selbst hinterfragen und neu erfinden“, postulierte Julius Palm, stellvertretender Geschäftsführer von Followfood. Das Bio-Pioniertum zu schützen dürfe nicht dazu führen, eine Entwicklung der Branche zu verhindern, und Newcomer böten in dieser Hinsicht auch eine Chance. ‚Bio für alle‘ bedeute auch, dass die Pioniere etwas vom Kuchen verlieren, und das führe bei manchen zu Existenzängsten und zur Verklärung der guten alten Zeit, in der man allein unter sich war. „Man muss sich für Veränderung öffnen und andere teilhaben lassen“, stimmte Wilhelm zu. In den LEH zu gehen sei zwar ein schwerer Schritt, aber gleichzeitig eine Notwendigkeit – „sonst schaffen wir keine 100 Prozent Bio.“

Regenerativ: Erholung für Böden oder Einladung an Greenwasher?

Ein anderes überraschendes Votum: Fast die Hälfte der Teilnehmer des Future Labs stimmte der Aussage ‚Regenerativ ist das neue Bio‘ zu. „Wir müssen innerhalb der planetaren Grenzen operieren und Bio-Anbausysteme allein sind dafür laut wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht ausreichend“, bezog Palm auf dem Podium für das Konzept Position. Die Ökosysteme seien inzwischen so degradiert, dass sie sich nicht von alleine erholen können – dafür brauche es eine regenerative Bio-Landwirtschaft.

„Bio ist als regulatorischer Standard bisher top“, hielt Jäckel entgegen. Dem regenerativen Konzept fehle die inhaltliche Tiefe hingegen bisher komplett. Es herrschte Einigkeit im Podium, dass mit der mangelnden Definition sowie keinerlei gesetzlichen Kriterien die Gefahr einhergeht, dass Firmen wie Nestlé den Begriff öffentlichkeitswirksam für ihr Greenwashing okkupieren. Dagegen müsse sich die Branche klar positionieren und das Prädikat regenerativ für sich selbst beanspruchen.

Agrarökologie: Prinzipien statt Vorschriften

Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Bio, Agrarökologie und regenerativer Landwirtschaft wurden in einer Veranstaltung des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) vertieft unter die Lupe genommen. Die Stärke des Bio-Standards – einheitliche Kriterien, die gesetzlich kontrolliert werden – wurde dabei gleichzeitig als Schwäche wahrgenommen: zu viele Vorschriften und die Orientierung an einem starren und komplexen Regelwerk.

Wie Markus Arbenz, Senior-Berater beim FiBL Schweiz, erklärte, hat sich unter anderem aus diesem Grund im globalen Süden die Agrarökologie als Alternative zu Bio durchgesetzt. Ausgehend von Lateinamerika hat die Bewegung einen ganzen Systemwandel zum Ziel, stellt die soziale Dimension und Ernährungssicherheit in den Vordergrund und orientiert sich an Prinzipien statt an detaillierten Vorschriften. Die Bio-Zertifizierung erhält oft erst Relevanz, wenn Produkte nach Europa exportiert werden sollen. Zur ‚Agroecology Coalition‘, die anlässlich des UN Food Systems Summit 2021 ins Leben gerufen wurde, gehören inzwischen 250 Mitglieder, darunter knapp 50 Regierungen und 200 Organisationen (aus Deutschland etwa der WWF und die Welthungerhilfe). Eine Kritik ist auch hier der mögliche ‚Missbrauch‘ durch Konventionelle, weshalb ein Teilnehmer forderte, ein Pestizidverbot fest in den Grundsätzen zu verankern. Bisher gehört zu den 13 Prinzipien nur die ‚Reduzierung von Inputs‘.

Als Befürworter der regenerativen Landwirtschaft war André Leu, langjähriger IFOAM-Präsident und Gründer des Netzwerks ‚Regeneration International‘, eingeladen. 2015 ins Leben gerufen, handle es sich dabei um die älteste Organisation für regenerativen Landbau. Zum Gründungsausschuss gehörten neben Leu etwa die bekannte Öko-Ikone Vandana Shiva sowie Ronnie Cummins, der kürzlich verstorbene Gründer der Organic Consumers Association (OCA); im Lenkungsausschuss sitzt unter anderen die Grünen-Abgeordnete Renate Künast.

„Wir wollten einen einfachen und neutralen Begriff, um Landwirte und andere Interessengruppen dabei einzubinden, einen Wandel in der Agrarindustrie anzustoßen; Brücken bauen, um die gesamte Landwirtschaft zu verbessern“, erklärt Leu die Motivation der Initiatoren. Dem Vorwurf der fehlenden Definition setzt er die Erklärung seiner Organisation entgegen, wonach „regenerative Systeme die Umwelt, den Boden, die Pflanzen, das Tierwohl, die Gesundheit und das Gemeinwesen verbessern“. Grundlage bei der Bewertung, ob ein Input ökologisch ist, blieben dabei die vier Bio-Prinzipien, die von der IFOAM festgelegt wurden: Gesundheit, Ökologie, Fairness und Sorgfalt. Und: Die Vereinfachung durch große Unternehmen sorge als positiver Effekt für mehr Aufmerksamkeit.

Paul Holmbeck, Bio-Berater und ehemaliger Direktor der NGO Organic Denmark, ist von dem Ansatz nicht überzeugt. „Es gibt kein regeneratives Prinzip, das nicht schon in Bio enthalten ist“, stellte er fest. Das Problem mit dem neuen Begriff: Zu 90 Prozent werde er von Greenwashern gebraucht und sei dann inhaltlich „komplett hohl“. Auf der anderen Seite hält er den ‚ernsthaften‘ Vertretern der Bewegung zugute, dass sie die Bedeutung von Bodengesundheit wieder mehr ins Zentrum rücken.

„Bei Bio ging es ursprünglich um ein ganzheitliches System“, stellte Beate Huber, Vize-Vorsitzende der FiBL-Geschäftsleitung, abschließend fest. Dieser Gedanke sei allerdings in letzter Zeit aus dem Fokus geraten und müsse wieder mehr in den Blick genommen werden. „Wir müssen wieder über die Zertifizierung hinausgehen.“

Lena Renner

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