Start / Ausgaben / bioPress 98 - Januar 2019 / Starke Wertschöpfungspartnerschaften im Fokus

Öko-Marketingtage

Starke Wertschöpfungspartnerschaften im Fokus

Viel Prominenz bei den ersten Öko-Marketingtagen der Akademie Schloss Kirchberg

Starke Wertschöpfungspartnerschaften im Fokus
Prominente Gesprächsrunde v.l.n.r.: Henrik Haase (Food-Aktivist), Jan Plagge (Präsident Bioland), Alexander Gerber (Vorstandssprecher Demeter), Rudolf Bühler (Gründer Stiftung Haus der Bauern), Klemens Fischer (Bio-Entwicklungsberatung) und Horst Luley (Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde).

Zum ersten Mal fanden im Oktober 2018 in der Akademie Schloss Kirchberg/Jagst in Schwäbisch Hall die Öko-Marketingtage statt, organisiert von der Stiftung Haus der Bauern und der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH). Prominente Redner trafen Teilnehmer aus allen Marktbereichen. Auch die Bundesvorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, gab sich die Ehre.

Im Mittelpunkt standen die Chancen und Risiken des Ökomarketing, wie es funktionieren kann und welche Bewegungen es in der Biovermarktung gibt. Fast zwei Dutzend Referenten und Diskutanten, darunter Götz Rehn (Alnatura), Felix Prinz zu Löwenstein (BÖLW), Jan Plagge (Bioland) und Alexander Gerber (Demeter), waren der Einladung nach Kirchberg gefolgt.

Die über 200 Teilnehmer stammten aus allen Marktbereichen: vom Bio-Bauern über den Lebensmittel-Handwerker, den Verarbeiter und den Produzenten bis zu den Verbänden und dem Groß- und Einzelhandel. Auch aus den Reihen der Wissenschaft, der Verwaltungen und der Politik kamen Experten und Interessierte. TV, Tages- und Fachpresse sowie Radio waren vor Ort, um die Veranstaltung zu verfolgen.

100 Prozent Bio als gemeinschaftliches Ziel

Über das langfristige Ziel des Ökomarketings waren sich alle einig: 100 Prozent Bio soll erreicht werden. Fast so große Einigkeit herrschte über den Weg: Man müsse gemeinschaftlich vorgehen, die Werte von Bio erfolgreich kommunizieren und starke Wertschöpfungspartnerschaften bilden. Die Diskussion über die Vertriebswege, Naturkostfachhandel versus konventioneller Lebensmittelhandel, fand in Kirchberg nicht statt.

Bio ist in der Mitte der Gesellschaft, im Mainstream, angekommen. „Es geht nicht mehr um gutes oder schlechtes Bio“, betonte Alexander Gerber, der Vorstand von Demeter. Jan Plagge, Präsident von Bioland, führte aus: „Mainstream heißt nicht Masse – sondern massenhaft Verantwortung zu übernehmen“. Er strebt mit seinem Verband eine Kooperation auf Augenhöhe unter allen Akteuren der Wertschöpfungskette an.

Unterstützend könnten auch die neuen Medien wirken, die eine direkte und individuelle Vernetzung zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Verbrauchern ermöglichen.

Welche Lebensmittel braucht die Zukunft?

Empfangen wurden die Teilnehmer durch ein starkes Grußwort von Rudolf Bühler, dem Gründer und Vorstand der BESH und Vorsitzenden der Stiftung Haus der Bauern, bevor es weiter ging zur Frage „Welche Lebensmittel braucht die Zukunft?“

Ulrich Hamm von der Universität Kassel stellte dar, dass die Verbraucher über die letzten 20 Jahre hinweg immer weniger Geld für Lebensmittel ausgeben, aber immer höhere Ansprüche stellen – eine Lücke zwischen Einstellung und Verhalten. Gleichwohl seien die 30 Prozent der Verbraucher, die als Bio-Kunden überhaupt in Frage kommen, durchaus bereit, für bestimmte Eigenschaften der Ware mehr zu bezahlen. Bei der Bio-Nachfrage gäbe es keinen Engpass. Gefragt seien vor allem artgerechte Tierhaltung, weniger Zusatzstoffe und regionale Herkunft.

„Unsere Marktforschungsergebnisse zeigen ausnahmslos, dass die Zahlungsbereitschaft von Verbrauchern für besondere Lebensmittel permanent unterschätzt wird. Es genügt, ihnen die besonderen (Prozess)- Eigenschaften der Lebensmittel auf einfache Weise zu vermitteln.“

Die verantwortungsvollen Genießer waren Thema von Klaus Flesch von Slow Food Deutschland. ,Good Food‘, das ist vorrangig Gesundheit, Geschmack und Genuss aber damit zwangsläufig verbunden auch Umwelt- und Tierschutz. Wenn die Verbraucher nach Good Food verlangen, dann landen sie bei Bio – und treiben so die Biomarkt-Entwicklung voran.
Beide Referenten waren sich einig: Besonders wichtig seien Transparenz und das daraus resultierende Vertrauen. Der Ver­- braucher wolle wissen, wo sei- ne Lebensmittel herkommen.

Gerechter Preis für die Erzeugnisse

Für die Erzeuger stand Rudolf Bühler ein: „Es muss ein gerechter Preis für die Erzeugnisse gezahlt werden – auch für den damit verbundenen Zusatznutzen und nicht nur für das Produkt an sich.  Wir brauchen eine gerechte und sozialwirtschaftlich angemessene Verteilung innerhalb der Wertschöpfungskette.“

Die Bauern müssten auf Augenhöhe mit dem Handel agieren können und möglichst viel Wertschöpfung in eigener Hand halten. So betreibt die BESH als bäuerliche Erzeugergemeinschaft einen eigenen Schlachthof und eine eigene Dorfkäserei.

Vertreter des Handels als Stimmen aus der Praxis

Als Praktiker aus dem Handel kamen Thomas Gutberlet (Tegut), Jürgen Mäder, (Edeka Südwest) und der Alnatura-Gründer und Geschäftsführer Götz Rehn zu Wort. Eins ist unstrittig: Bio ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Tegut ist ein Beispiel dafür. Das Unternehmen setzt heute enorme 26 Prozent Bio um. Gutberlet warnt allerdings davor, dass vieles, was früher unter den Begriff Bio fiel, heute von den verschiedensten Stellen vereinnahmt wird, wie etwa Tierwohl oder Regionalität: „Bio muss die Hoheit behalten“. Und die bisherige Spaltung zwischen Biofachhandel und konventio- nellem Lebensmittelhandel sei nicht praktikabel: „Es kann kein ‚die dürfen‘ und ‚die dürfen nicht‘ geben“.

Bio als Zugpferd

Für Edeka Südwest dient nach Jürgen Mäder Bio als Zugpferd. Im eigenen Haus gibt es allerdings bei einem Bio-Anteil am Umsatz von nur sieben Prozent noch Nachholbedarf: „Mainstream packen wir, Bio ist schwieriger.“ Was die Preisgestaltung betrifft, ist er anderer Meinung als Ulrich Hamm oder Thomas Gutberlet. Seinen Erfahrungen nach sei der Preis immer noch ein Hauptkriterium der Kunden beim Kauf.
Alnatura-Chef Götz Rehn meint dagegen, die Erwartungen der Kunden seien höher als das, was wir denken: „Die Menschen wollen eine Wirtschaft, die den Menschen dient.“

Alle Praktiker betonen, dass die Motivation und Schulung der Mitarbeiter vor Ort ein wichtiges Instrument der Biovermarktung sei. Ebenso wichtig sei eine Vermarktung, die den Landwirten ein Gesicht gibt und Storytelling betreibt.
Auswirkungen der UTP-Richtlinie auf die Wertschöpfungspartner
Einen Einblick in die rechtliche Seite der Gestaltung der Lebensmittelkette gab Hanno Bender von der Lebensmittelzeitung. Er referierte über den Stand der zu dieser Zeit in der Diskussion befindlichen Ausgestaltung der Richtlinien gegen unfaire Praktiken in der Lebensmittellieferkette in der EU-Kommission.

Die UTP-Richtlinie (unfair trading practices) solle Bauern davor bewahren, dass Handelsketten verderbliche Ware erst mit Verzögerungen bezahlen, Verträge nachträglich einseitig ändern oder Bestellungen in letzter Minute stornieren. Bei Verstößen sollen nationale Behörden Sanktionen verhängen können.

Es gab zahlreiche Änderungsanträge der Parlamentarier, die unter anderem negative Auswirkungen für Genossenschaften hätten oder die Durchsetzung von Tierschutz- und Umweltstandards einschränken. Die Verhandlungen sollten bis Ende letzten Jahres abgeschlossen sein. Hätten sich die Änderungsanträge durchgesetzt, würde die ursprüngliche Absicht ins Gegenteil verdreht. Es würde ein Bummerang daraus, der genossenschaftliche Vereinigungen zerschlagen und die Kennzeichnung von beispielsweise gentechnisch veränderten Lebensmitteln verbieten würde, anstelle unfairer Praktiken zu verhindern. Die Antragsteller hätten dann für die Ablehnung ihrer eigenen Eingabe plädieren müssen.

Problematik der Bio-Importe

Vom deutschen Markt auf die internationale Ebene ging es mit Nicole Graf, der Rektorin der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn. Sie brachte Zahlen und Fakten zum Bio-Boom weltweit mit. Auch das Thema Bio-Importe kam zur Sprache. Die verschiedenen Standards bei internationalen Bio-Produkten seien in der Handelspraxis ein großes Problem. Außerdem müsse die Branche alles daran setzen, dem Verlust der Glaubwürdigkeit beim Verbraucher entgegenzuwirken. „Der steigende Anteil an Bio-Lebensmitteln birgt auch Probleme, etwa die Anonymisierung“, stellte die Professorin fest.

Auch Felix Prinz zu Löwenstein vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) sieht eine mögliche Beschädigung des Verbrauchervertrauens, wenn Bio Massenware wird: „Die EU ist nicht willens und in der Lage, eine anständige Überwachung in Drittländern durchzuführen.“ Er sieht die Politik in der Pflicht, zu bestimmen, wo es hingehen soll, und entsprechende Maßnahmen zu definieren und zu organisieren.

Politik muss Bio unterstützen

Damit ist er auf einer Linie mit Annalena Baerbock, der Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, die in einer beeindruckenden Stegreifrede eben dieses formulierte. Und zur Einleitung des Konferenzdinners beschrieb ihr konservativer Gegenpart, die Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch, staatliche Maßnahmen in Baden-Württemberg, mit denen Bio mehr in die Breite gebracht werden soll. Namentlich nannte sie die Öko-Musterregionen Baden-Württemberg und die Außer-Haus-Verpflegung. Gerade bei der Verköstigung an Schulen, in Kantinen und in Krankenhäusern kann und muss nach Meinung der Staatssekretärin die Politik Rahmenbedingungen stellen für mehr Bio auf den Tisch, am besten regional.

Elke Reinecke
 

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