Editorial
Editorial Ausgabe 89/September 2016, 4. Quartal
Liebe Leserin, lieber Leser!
Der aktuelle Food-Trend ist vegan. Einmal mehr zeigt sich, in einer offenen Gesellschaft steckt viel Bewegung. Der Bio-Big Bang hält seit Ende der 90er Jahre unvermindert an. Free from, regionale Beschaffung und Nachhaltigkeit sind in die Regale eingezogen. Alles lange Zeit zu selbstverständliche Eigenschaften von Bio-Produkten, die jedoch ihren Ökoaspekt ausmachen. Herkömmliche Lebensmittelproduzenten und -vermarkter setzen jetzt ebenfalls darauf, ohne sich dabei um die Ökologisierung zu kümmern. Sie düngen und spritzen weiter!
Vor drei Jahren hat bioPress auf der Anuga Bio-Konferenz 2013 dem Thema Vegan über drei Tage ein breites Zeitfenster gewidmet. Die Befürchtung, dass vegan ohne Bio in die Regale gedrückt werden sollte, war berechtigt. Vegan sei wichtiger als Bio!
Dass ausgerechnet die vegane Ernährung auf gedopten Lebensmitteln basiert, ist nicht zu vertreten. Zu dieser Erkenntnis haben sich zwischenzeitlich auch wichtige Player am Markt durchgerungen. Auf der veganfach Messe im November in Köln wird die Präsenz veganer Bioprodukte darauf hinweisen, dass vegane Ernährung ein Jahrzehnte alter wichtiger Aspekt des Biomarktes ist.
Viele vegane Bio-Innovationen zeigen dies. Auch die Ansprüche von Teilen des Handels, die Bioqualität bei der Vegan-Vermarktung bevorzugen, und wie dm Drogeriemarkt das einfordert, lassen hoffen, dass Chemiefreiheit und ökologische Produktion mit dem Tierschutzgedanken zusammen gehen.
Vegan - dann SICHER mit Bio. Mit diesem Slogan begleitet bioPress eine Gruppe von Ausstellern auf der veganfach Messe. Und diese bioPress-Ausgabe steht mit ihrem Schwerpunkt ganz im Zeichen von vegan. Die monatelange Arbeit hat gezeigt, wie schwer es Kaufleuten fallen muss, dieses Thema zu bewältigen. Trotz unserer jahrzehntelangen Nähe zu Vegan fällt es schwer, mit dem Thema zu koexistieren. Denn weder die Hersteller noch die Kaufleute müssen vegan sein, wenn sie Veganes vermarkten.
Die Vegan-Bewegung organisiert sich weltoffen. Vegane Fachgeschäfte gibt es nur in Ansätzen. Die Vermarktung läuft über bereits bestehende Vertriebskanäle. Der herkömmliche Lebensmittelhandel hat mit Bio dazu gelernt. Neue Entwicklungen bei den Kundenwünschen werden schnell erkannt und bedient. Kaufleute bemühen sich, in den Supermärkten ihre Vegan-Angebote sichtbar zu machen. Ein Aufwand, den die Naturkostbranche noch nicht aufbringt. Käufer, die sich interessieren, müssen das Produkt in die Hand nehmen und selbst erkennen, ob und wie vegan es ist.
Essen ist heute nicht allein mehr Angelegenheit von Nahrungsaufnahme, Gesundheit und Genuss. Die Einstellung spielt jetzt auch eine wichtige Rolle. Woher kommt das Produkt? Was ist der ökologische Fußabdruck, und hat wer gelitten: Boden, Tier und/oder Mensch? Was früher die unterschiedlichen Angebote an Diäten waren, sind heute die Lebenswelten. Sie existieren nebeneinander und deren Grenzen verlaufen fließend.
Die bestehenden Abgrenzungen in der Biovermarktung sind stark in Bewegung geraten. Vieles verändert sich. Die Naturkostmarken zieht es an den Point of Sale. Die Verbraucher wollen Bio dort einkaufen, wo sie immer einkaufen, sagt der dänische Landwirtschaftsminister zu bioPress und begründet das mit kurzen Wegen und der zur Verfügung stehenden Zeit für den Einkauf. Aus Rumänien sollen Hausmanns-Spezialitäten per Internet direkt nach Deutschland vermarktet werden. Ohne kostentreibenden Zwischenhandel.
Währenddessen tun sich manche Verbandsvertreter schwer, neben der eigenen Klientel andere Bio-Vermarktungswege zu akzeptieren. Einige Hardcore-Aktivisten rufen gar zum Boykott der Marken auf, die sich nicht an die Fachhandels-Vorgaben halten und eigene, breitere Wege zu den Verbrauchern gehen wollen. Die Kaufleute mit Sinn für Kundenbedürfnisse sollen die Bio-Lieferanten noch schwerer finden.
Der Fachhandels-Verband triumphiert: Die Dämme halten! Wer Dämme kennt, weiß, dass sie oft bis zuletzt aussehen, als würden sie nie durchbrochen. In Wirklichkeit ist es schon an etlichen Stellen weiter, als es so manchem lieb ist. Wer kann schon in alle Ecken schauen? Die dumpfe Ahnung scheint denn auch der Auslöser zu sein für Boykottaufrufe wegen der aktuellen Veränderungen.
Jahrelang hat der Alnatura-Block gehalten. Bis Tegut mit der Zuordnung der Bioartikel begann und dm-Drogeriemarkt sich für Markenvielfalt anstelle von immer mehr vom Gleichen entschied. Dass ausgerechnet die Kaufleute jetzt in die überkommene Blockplatzierung einsteigen und die Alnatura-Umsätze retten sollen, ist utopisch. Die Order, in allen Edeka-Märkten einen Alnatura-Block zu installieren, dürfte auf Widerstände der Kaufleute treffen, die schon Besseres kennen: Bio-Markenvielfalt in allen Sortimenten mit dadurch hoher Bio-Verfügbarkeit für alle. Anstatt einer Allerweltsmarke aus 1.000 Produkten.
Erich Margrander
Herausgeber