Editorial
Editorial Ausgabe 80/Juli 2014, 3. Quartal
Liebe Leserin, lieber Leser!
Die Bio-Branche muss nicht mehr darüber reden, dass Bio mitten in der Gesellschaft angekommen sei. Ihre Zukunft liegt vielmehr in der Lösung der Frage verborgen, wie der Strom in Fluss gehalten wird und wie Bio weiter ausgebreitet werden kann. In einem städtischen Umfeld ist die Nachfrage höher als auf dem Land. Das Gefälle zwischen Stadt und Land nivelliert sich jedoch zusehends. Ob auch die Nachfrage in der Fläche mit neuen Bio-Supermärkten beantwortet werden wird, darf eher bezweifelt werden.
Bio-Supermärkte sprießen meist in den Zentren wie Pilze aus dem Boden. Die ersten Bio-Ketten haben bereits die Hälfte der top 50 des Handels überholt und stehen unter den ersten 25. In Stadt und Land zeigen Lebensmittel-Kaufleute, die den Wandel nicht verschlafen, was möglich ist.
Erfolgreiche Kaufleute setzen heute auf ein breites Bio-Sortiment in allen Warengruppen. Obst und Gemüse, eine Vielzahl an Backwaren, großes Mopro-Angebot, Käse, Fleisch, Wurst und Schinken und nicht zuletzt Fisch in Bioqualität ergänzen das herkömmliche Angebot.
Eine tegut...-Filiale erreicht mit 25 Prozent Bioanteil von 12.000 Artikeln rund 30 Prozent des Umsatzes. Das ist schon lange keine ideologische Frage mehr. Da stecken Kundenwünsche dahinter, die befriedigt werden.
Der Weg vom Mauerblümchen Öko zum Genussaspekt Natur zeigt eine enorme Wandlung von der Verzichtserklärung zu lebenswerten Geschmackswelten. Nicht mehr die Angst vor dem Moloch Umweltzerstörung beherrscht den Alltag. Der moderne Mensch richtet sich ein in (s)einem Wohlgefühl, zu dem die Kaufleute mit ihren Angeboten etwas beizutragen haben oder eben nicht.
Wie schafft tegut... was andere nicht oder nur schwer bewältigen? Viele freie Kaufleute haben den Willen, ihre Bioangebote kunden- und standortgerecht auszubauen. Das scheitert jedoch an grundsätzlich zwei Blockaden. Ihre eigene Vorstufe kann das, im Gegensatz zur tegut...-Zentrale,nicht leisten.
Auch manche Bemühungen der letzten zehn Jahre, beispielsweise in einigen Edeka-Großhandlungen, führen nicht zu einem vergleichbaren Erfolg. Die vorherrschenden Strukturen bilden andere Schwerpunkte. Und Bio lässt sich nicht nebenbei stark machen. Einzelne Kaufleute, die sich auf ihr Biosortiment konzentrieren, haben dank erheblicher eigener Kraftanstrengungen ähnliche Erfolge vorzuweisen wie die Fuldaer.
Die Biobranche fordert mit lauten Rufen in Richtung Politik mehr Unterstützung für den Ökolandbau, damit mehr Bauern umstellen. Gleichzeitig bleibt der Bio-Fachhandel gerne unter sich und will das Umsatz-Wachstum nicht mit dem herkömmlichen Handel teilen. Eine mögliche Konkurrenz wird mit Ausgrenzung behindert.
Wer selbstständige Supermarkt-Kaufleute beliefert, muss mit Sanktionen der Hersteller rechnen, die sich allzu oft dem Druck des Fachhandels beugen. Diese kontraproduktiven Grenzen müssen zugunsten von mehr Ökolandbau (für alle?) fallen.
Dem Lebensmittelhandel bleiben nur die Eigenmarken ihrer Vorstufe und die Angebote der Dachmarken. Diese Produkte drängen alle in das gleiche Angebotssegment, so dass es nicht zur gebotenen Sortimentsbreite und Vielfalt kommen kann. Grundlegende Prinzipien der Lebensmittelkaufleute werden oft außer Acht gelassen und der mögliche Erfolg gefährdet.
Zukunftsfähig scheint nur eine Zusammenarbeit mit Biogroßhändlern, die es verstehen, ein Sortiment speziell auf die herkömmlichen Supermärkte auszurichten. Für jedes Produkt, das durch Verweigerung nicht den Weg ins Supermarktregal findet, gibt es eine Alternative. Fisch in der Dose eines deutschen Fachhandels-Lieferanten kommt dann möglicherweise von einem Anbieter aus Spanien, an dessen Küste auch Fische zu Hause sind. Auch hier wächst Europa zusammen.
In der Region München hat es ein Backwarengroßhändler geschafft, ein breites Backwarenangebot in die Supermärkte zu bringen. Wo Obst und Gemüse und dazu Mopro geliefert wird, entstehen unglaubliche Bio-Angebots-Inseln auch außerhalb der Zentren!
Bio findet seinen Weg. Und wo sich Kundenwünsche zeigen, reagieren aufgeweckte Kaufleute. Wer Biopolitik machen will, kann sich nicht gegen den Strom der Zeit stellen.
Erich Margrander
Herausgeber
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