Editorial
Editorial Ausgabe 79/April 2014, 2. Quartal
Liebe Leserin, lieber Leser!
Die große Medienbegeisterung bei der Biofach Messe-Eröffnung ist dieses Jahr ausgeblieben. In den Medien wird Bio eher als ganz normale Erscheinung behandelt. Der Glanz, den Bio dabei verliert, wird wett gemacht durch die breite Nachfrage im Mainstream. Es ist ein Stück weit Ruhe eingekehrt. Ist das schon die Ruhe vor dem nächsten Sturm? Und welcher Sturm bricht los?
Auf dem Altar der Marktwirtschaft könnten Schranken fallen, wenn das Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA keine Rücksicht nimmt auf die echte Beste Praxis in der Landwirtschaft und statt dessen von den Lobbyisten das Machbare durchgesetzt wird. Dann dürfen die Verbraucher ein weiteres Mal zum Versuchskaninchen der Agrar- und Lebensmittelchemie werden.
Am Ende gibt es massenweise Opfer und wenige Gewinner wie Monsanto oder BASF. Kriegsgewinnler nennt man das in harten Auseinandersetzungen, wo die Eroberungszüge laut hörbar und die Wunden offen sichtbar sind.
Ist das nur ein subjektiver Eindruck und weicht der Widerstand gegen die Unvernunft einer gefährlichen Opportunität? Jeder will (s)ein Stück vom Kuchen. Sollen die anderen sich mühen!
Da rollt eine neue Veggie-Welle über die Lande. Überwiegend Frauen und auch die Jugend sind begeistert von der rein pflanzlichen Ernährung. Sie schauen ganz genau hin, ob nicht auch nur ein Zipfelchen tierisches Irgendwas in den Lebensmitteln steckt.
Derweil vergessen viele - zu viele? - die Behandlung der so verehrten Pflanzenwelt. Es ist offensichtlich zu viel verlangt, die Bedürfnisse der Pflanzen mit dem Tierwohl gleichzusetzen. Dann müsste nämlich das Doping auf den Äckern schleunigst beendet werden.
Die Biobranche weist schon immer auf das Gemeinwohl hin und dass die Produktion von Ökoprodukten und deren Vermarktung mehr sei, als das pure Weglassen von Agrarchemie. Fairer Handel gehöre dazu und Regionalität, ethische Gesichtspunkte wie Verantwortung für die zukünftige Generation und gegenüber allen Geschöpfen dieser Welt.
Die Natur erhalten heißt: Luft und Wasser nicht verschmutzen. Da haben wir schon einiges dazu gelernt. Der Rhein schäumt nicht mehr wie vor 40 Jahren, die Wäsche an der Leine wird nicht mehr schwarz vom Dreck in der Luft.
Und doch ist sie evident, die Naturzerstörung ist nicht weg. Der Feinstaub in Städten von Peking bis Paris schädigt noch immer die Gesundheit von Abermillionen. Und manche sagen, mehr als unser tägliches Essen. Ob das nicht eine Täuschung ist?
Die Landwirte beackern den Boden für die Ernten. Dem größten Teil der Essen auf dem Teller geht eine Umweltzerstörung voraus. Die Verantwortung wird noch immer, auch von den Veganern, verdrängt!
Gegen den Hunger wird hochwertiges Saatgut nach Afrika gebracht. Gemeint sind Hybridpflanzen von Monsanto und Co. Der höchste Wert dabei ist der Profit der Monopolisten. Ethik? Keine Spur!
Die Biobranche sollte ihre wichtigsten Alleinstellungsmerkmale auf die vorderste Agenda setzen: Der Erhalt der Böden und die Vielfalt des Saatguts. Nachhaltige Produktion und Beste bäuerliche Praxis heißt doch nicht, sich auf die Rezepturen der Agrarchemie zu verlassen. Der Finger muss in die Wunde.
Die Bio-Bauern kommen ohne die Monsantos dieser Welt aus. Sie haben eine Beste Praxis entwickelt, die den Boden erhalten kann. Ja, das tausende Jahre alte Beispiel der Terra Preta zeigt, dass über den Erhalt hinaus eine unvorstellbare Entwicklung der Böden möglich ist!
Nachhaltigkeit betreibt heute jeder. Selbst die Politikstrategie Bioökonomie bezeichnet den Verbrauch an nachwachsenden Rohstoffen für Verbundwerkstoffe bis Biokraftstoffe als nachhaltig! Wasser- oder Energieeinsparung sind nur oberflächliche Symptome, mit denen der heilige Schein beleuchtet wird.
Die Biobranche kann echte, ganzheitliche Nachhaltigkeit bieten. Die darf jedoch nicht auf dem Altar von Bio-Marketing auf Teufel komm raus geopfert werden. Schöne Geschichten sind nicht alles. Was fehlt, sind Nachhaltigkeitsstrategien, die über operative Strategien weit hinaus gehen. Neue gesellschaftliche Konzepte bei der Umstellung auf Ökolandbau sind gefragt. Und die Vermarktung muss ausgedehnt werden. Die Biobranche ist im Umbruch. Offen ist die Frage der Gestaltung.
Erich Margrander
Herausgeber
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