Editorial
Editorial Ausgabe 77/Oktober 2013, 4. Quartal
Liebe Leserin, lieber Leser!
Wann sind Lebensleistungen anerkennenswert? Wenn sie ins Gigantische wachsen? Hessens Ministerpräsident Bouffier hat beim Richtfest des - ohne Frage richtungweisenden - weltgrößten Holz-Hochregallagers von Alnatura seinen Respekt vor der ökologischen Leistung eines Teils der Biobranche gewürdigt.
Wenn ein Mann wie Götz Rehn, der aus der klassischen Lebensmittelbranche stamme und von Wirtschaft eine Ahnung habe, da mitmischt, dann sähe er, Bouffier, sich in der Lage, das Wert zu schätzen. Das sei schließlich etwas anders, als wenn Idealisten am Werke seien!
Das hat gesessen. Respekt, Herr Bouffier. Männer seines Kalibers nehmen, was sie kriegen können und verkaufen das noch als Vorteil für das Verharrende!
Keine Frage, die Bio-Branche braucht Leuchttürme. Ob die jedoch von Größe und Konzentration abhängen, mag jeder selbst beurteilen. Zentralwirtschaften haben noch immer Wettbewerb kalt gestellt. War nicht das System, viele regionale Großhändler versorgen ihre Region mit Bio, sehr erfolgreich?
Immerhin haben alle dabei gewonnen. Wenn nun die Schnellsten herauswachsen und alle Anderen hinter sich lassen, mag das Bouffier imponieren, das muss jedoch nicht jedem gefallen. Zentralismus ist nicht die Erfolgsgeschichte der Bio-Branche.
Im Gegenteil, gerade die vielen kleinen und mittelständischen Akteure sind die Träger der Bewegung zu einem Nachhaltigkeitsbewusstsein beim Essen, das jetzt aus eigenem Antrieb weiter vorwärts drängt.
Das System, die Großen beherrschen die Szene, sorgt immer mehr für Irritationen. Es scheint nichts mehr so zu sein, wie bisher. Ob das nicht auch etwas Gutes hat? Veränderungen schaffen wieder neue Impulse.
Die Bio-Versorgung konzentriert sich auf die Zentren und zwingt viele Verbraucher aus den Peripherien auf weite Wege zum Einkaufen. Der Endverbraucher CO2-Fußabdruck der Biokäufer ist dadurch so stark belastet, dass dies der Polemik gegen die Biobranche dient.
Seit zwölf Jahren begleiten wir die Biopräsenz auf die Lebensmittel-Weltleitmesse Anuga und ackern für Bio in nahezu 30 Vertriebswegen. Heute werden auch Kaufleute mit Bio-Vollsortimenten versorgt. Es haben sich viele freie Kaufleute gefunden, die ihren Kunden Bio anbieten. Und sie kaufen. Bleibt nur die Frage, wer liefert? Das sind immer mehr.
Treue Fachhandelslieferanten geraten unter Druck, wenn sie erleben müssen, wie regionale Hersteller sie aus den angestammten Regalen drängen. Die müssen dabei nicht einmal fachhandelstreu sein. Regionale dürfen auch andere Vertriebsschienen in der Region bedienen. Das scheint vernünftig.
Dazu kommen die Massen an Eigenmarken-Artikeln, von denen die klassischen Bio-Hersteller nur profitieren können, wenn sie Privat Label-Produktion akzeptieren. Auch wenn das ihrer Vorstellung von Transparenz widerspricht.
Tausende selbstständige Lebensmittel-Kaufleute entwickeln ihre Bio-Sortimente beständig weiter. Andere Vermarkter erobern Bio-Marktanteile. Wer weite Einkaufswege in Kauf nehmen muss, freut sich über Hauslieferungen von Internet- oder Abokisten-Anbietern. Zudem entwickeln Lebensmittelgroßhändler Biosortimente für alte und neue Kunden. Genügend freie Kaufleute wollen die Bio-Sortimente ihrer Vorstufen ergänzen.
Kaufleuten und Einkäufern werden auf der Anuga-Sonderschau Voll-Bio mehr als 1.200 Bio-Produkte von rund 80 Anbietern in den Regalen präsentiert. Schwerpunkte sind Süßwaren mit zirka 200 Artikeln, Backwaren sind gefragt, Convenience und viel Frische von O+G und Mopro über Fleischwaren bis zu Fisch. Ecovin bringt rund 30 Piwis zur Verkostung.
Durch das Anuga Bio-Kompetenzzentrum zieht sich das Thema Vegan mit Beiträgen vom Sonntag bis Mittwoch. Beim ersten OliveOil Market stehen 150 Olivenöle, darunter fast die Hälfte in Bioqualität, im viel begangenen Messeboulevard zur Verkostung bereit. Der IOC International Olive Council aus Madrid gibt einen Empfang zu diesem Anlass.
Die Nachhaltigkeitskampagne Save our Soils (SOS) fordert zur Rettung der fruchtbaren Böden auf. Sarah Wiener schreitet zur Guerilla Gardening Pflanzaktion. Auch in diesem Jahr wird wieder zum Bio-Abendempfang eingeladen für ungezwungene Gespräche mit Bio-Büfett und ökologisch geistigen Getränken.
Erich Margrander
elektronische Ausgabe zum Blättern
index-Ausgabe_77-Oktober 2013.html