Veganismus tritt aus dem Schatten
Bio-Produkte um einen weiteren Mehrwert ergänzt
Nicht nur die Zahl der Vegetarier steigt beständig – auf aktuell rund sechs Millionen in Deutschland – sondern auch die an komplett vegan lebenden Menschen. Nach Meldungen der veganen Gesellschaft sind es an die 800.000. Für den Lebensmittelhandel eine neue interessante Kundengruppe …
Sebastian Zösch, Geschäftsführer des Vegetarierbundes Deutschland (VEBU) stellt fest: „Der vegetarisch-vegane Markt erfährt gerade einen Boom. Immer mehr Nachfrage nach pflanzlichen und nachhaltigen Produkten erzeugt eine enorme Vielfalt an Produkten und Produktinnovationen." Das lässt sich auch an den Umsatzzahlen ablesen:
Nielsen und bioVista haben im Auftrag der Veganen Gesellschaft Deutschland e.V. den Jahresumsatz mit rein pflanzlichen Produkten untersucht. Danach verbuchte der klassische Lebensmitteleinzelhandel (LEH) im Jahr 2012 ein Umsatzplus von 19 Prozent. Zehn vegane Produkte waren exemplarisch dafür ausgewählt worden.
Mit 19,4 Prozent hat die Umfrage von bioVista noch ein etwas deutlicheres Plus ergeben: 2011 lag der Jahresumsatz hier bei 194,3 Millionen Euro, im Folgejahr waren es schon 232,1 Millionen.
Eine weitere aktuelle bioVista-Statistik zu den Entwicklungen im eigenen Panel aus rund 400 Bio-Läden hat gezeigt, dass das Wachstum mit veganen Produkten deutlich stärker ist als beim Gesamtsortiment (in diesem Fall basierend auf 5.700 als vegan deklarierten Produkten).
Sowohl der Umsatz mit veganen Trockenprodukten als auch mit der Frische stiegen im Vergleichszeitraum Mai 2011 bis April 2012 und Mai 2012 bis April 2013 um zwölf Prozent.
Dagegen wuchs der Umsatz mit dem Trockensortiment insgesamt um vier und der mit dem Frischesortiment insgesamt sogar nur um ein Prozent. Bezogen auf den Anteil am Gesamtumsatz war eine Zunahme von 17,2 auf 18,5 Prozent zu verzeichnen; der Absatzanteil für vegane Produkte stieg von 15,5 auf 16,5 Prozent.
Veganer ernähren sich komplett ohne tierische Zutaten, inklusive Schweinegelatine, tierisches Lab und ähnliche Hilfsstoffe. Den größten Zulauf hat die Bewegung bei den 25- bis 34-jährigen, aber auch immer mehr Teenager und ältere Menschen lassen sich begeistern.
Wird auf eine ausgewogene Zusammensetzung und eine ausreichende Versorgung mit essentiellen Nährstoffen geachtet, eignet sich eine vegane Ernährung für jede Lebensphase. Die Gesundheit kann sogar davon profitieren.
Gründe für den Umstieg auf eine vegane Ernährung oder Lebensweise gibt es viele. Gesundheit und Fitness spielen ebenso eine Rolle wie ökologische, ethische und Tierschutzaspekte.
Die seit 2010 aktive Vegane Gesellschaft Deutschland will mit diversen Öffentlichkeitsaktivitäten über den Veganismus aufklären und bestehende Vorurteile abbauen. Nach Meinung von Leiter Christian Vagedes kann eine vegane Lebensweise Lösungen für die Ernährungssituation insgesamt bieten, da die Lebensmittel nicht „über tierische Umwege“ erzeugt würden.
„Vegan und bio gehören zusammen“, so Vagedes weiter. Gerade wenn man sich rein pflanzlich ernähre, sollte die Qualität der Lebensmittel aber sehr gut sein und nicht durch Pestizide, Nitrate und anderes leiden. Hier kommt die Kompetenz und Erfahrung der Bio-Branche ideal zum Tragen.
Aktuell 34 Prozent mehr Umsatz
Das Sortiment präsentiert sich modern und abwechslungsreich. Besonders viel tut sich bei den praktischen fleischfreien Fertig- und Teilfertiggerichten.
So verzeichnet der klassische Lebensmitteleinzelhandel schon seit fünf Jahren allein mit vegetarischen Teilfertiggerichten ein stetiges Wachstum um jährlich rund 30 Prozent. Im letzten Jahr entsprach das Plus von 34 Prozent einem Umsatzwert von fast 58 Millionen Euro.
Verantwortlich für den steigenden Umsatz sind vor allem Handelsketten wie Edeka, Rewe, Kaufland, tegut, Kaiser’s Tengelmann und Aldi. Würde man die Umsätze unter Einberechnung des Naturkost-Einzelhandels erheben, würde sich das Umsatzplus nochmals deutlich erhöhen. (Quelle IRI Information Ressources)
Bio-Produkte zeichnen sich dabei durch eine deutlich größere Vielfalt an Zubereitungsvarianten und Geschmacksrichtungen aus. Oft mit dem Zusatzbonus der Glutenfreiheit.
Von Tofu-Würstchen und Seitan-Schnitzel über bratfertige Burger bis zu Tempeh-Spießen und Lupinen-Gyros reicht das Spektrum. Bei den Herstellern handelt es sich überwiegend um erfahrene Bio-Betriebe, die mit den Convenience-Produkten Basisprodukte wie Tofu- oder Seitanstücke ergänzen.
Bei einigen kommt außerdem eine Auswahl an veganem Aufschnitt hinzu, teils als Scheiben und teils als ganze Würste. Dass es nicht für alle konventionellen Fleisch- und Fischprodukte vegane Pendants gibt, liegt am hohen Qualitätsanspruch der Branche: Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker, künstliche Aromen und Co. sind tabu.
Stattdessen sorgen raffinierte Gewürzmischungen, frisches Gemüse, Kräuter, natürliche Räucherung über Buchenholz, manchmal sogar Früchte immer wieder für sensorische Abwechslung. Die Produkte liegen überwiegend unter Schutzgas verpackt in klaren Hartschalen oder Folien in den Kühlregalen. So kann sich der Kunde auf den ersten Blick von der optischen Qualität überzeugen, oft ergänzt mit Zubereitungstipps.
In der Anbieter-Liste dominieren bekannte Namen, die bei Bio-Stammkäufern bereits hohes Vertrauen genießen. Beispielhaft lassen sich unter anderem LifeFood, Purvegan (Albert’s), Topas, tofutown, Soto, Nagel sowie Lord of Tofu nennen.
Manchmal arbeiten diese Bio-Pioniere auch zusammen. Schließlich bedarf die Herstellung von Bio-Sojaerzeugnissen und anderen veganen Alternativen geeigneter Rohwaren, Rezepturen, Maschinen und Verfahren. Dabei werden nicht immer nur Produktneuheiten auf den Markt gebracht.
Neu ist, dass die Hersteller ihre Produkte auch deutlich als vegan kennzeichnen. Wegen der Lizenzgebühren aber nicht unbedingt mit einem der beiden vegan-Logos, der Vegan-Blume der britischen Vegan Society oder dem gelbgrünen V-Label mit der Klassifizierung vegan vom Vegetarierbund Deutschland.
Beide Logos sollen der leichten und sicheren Orientierung der Verbraucher dienen, gerade weil nicht alle bei der Herstellung verwendeten Zutaten auch im Zutatenverzeichnis auftauchen müssen.
Aus der Kühlung in Minutenschnelle auf den Teller
LifeFood etwa, bietet unter der Fachhandelsmarke Taifun mittlerweile über 30 verschiedene Produkte auf Tofu-Basis an. Das LEH-Angebot unter der Marke Tukan wächst ebenfalls beständig, wobei der Hersteller bevorzugt die auch im Fachhandel besonders erfolgreichen Produkte aufnimmt.
Mit Räuchertofu Sesam-Mandel, Tofu-Filets Bärlauch, Bratgriller und mehr kann der Kaufmann sein SB-Regal bestücken. Im Freiburger Werk werden dafür jährlich rund 2.500 Tonnen Sojabohnen verarbeitet. Diese stammen überwiegend aus eigenem Vertragsanbau in Süddeutschland und Elsass.
Darüber hinaus engagiert sich LifeFood als zertifizierter Saatgutvermehrer für den Anbau von Bio-Soja in Deutschland und stellt das Saatgut ihren Landwirten zur Verfügung.
Etwas kleiner, aber fein und innovativ, gestaltet sich das Angebot von Lord of Tofu. Der Familienbetrieb und Bioland-Partner aus Lörrach setzt neben regionalen Sojabohnen zusätzlich den Kombucha-Pilz ein, der sich durch seine Vitalstoffe auszeichnet und den Tofu-Produkten eine reizvolle Geschmacksnuance verleiht.
Das gilt sowohl für den Klassiker, den aromatisch gewürzten Hildegards Tofu, die originellen Riesen-Vegarnelen oder zart geräucherten Schillerlocken als auch für die Käse-Alternativen und haltbaren Brotaufstriche.
Die komplette Auswahl finden der Handel und ebenso die Gastro-Branche des Weiteren bei Max-Tofu, die dabei auf Direktvertrieb setzen. Max Breisacher kommt aus der Fleischbranche und hat lange bei einem Sojaverarbeiter gearbeitet. Daher steckt in den Produkten viel Handwerk, sei es bei Hot Dogs, Pizza-Knackerle, Gemüsepastete, Veggie-Gyros oder frischer Bolognese.
Topas, Soyana, Purvegan, Nagel und Heirler haben weitere Marktnischen entdeckt. So ergänzt Familie Gaiser ihre Topas Tofu-Range aus Wurst, Mini Wienern und anderem um Produkte auf Basis von heimischem Weizeneiweiß nach Seitan-Art.
Die Wheaty-Produkte zeichnet ein kräftiger, fleischähnlicher Biss und die Gefrier-Tau-Stabilität aus. Die bewusste Anwenderorientierung wird unter anderem bei den bunten Grill-Mixschalen mit Steak, Würstchen und Chorizo oder den Bratstücken wie Rosmarin-Roulade und Seitans-Braten deutlich.
Die Space-Bars (Snackprodukte), die Gran Chorizo und die Patés brauchen im Unterschied zu den übrigen Sorten keine Kühlung. Dass sich eine Urform des Weizens, der beliebte Dinkel, in Form einer gesunden Fleischalternative genießen lässt, beweist Soyana aus Schlieren.
Gehacktes, Geschnetzeltes und Gulasch aus reinem Bio-Dinkel stehen zur Wahl, wobei der Geschmack der Fertigprodukte zusätzlich durch mitverpackte Gewürzmarinaden variiert werden kann.
Albert’s, die bekannte Marke von Purvegan, gilt deutschlandweit als einziger Hersteller von veganen Bio-Fleischalternativen aus Süßlupine.
Schon seit der Gründung in den 80er Jahren produziert das Unternehmen ausschließlich biologische und vegane Produkte. Angefangen haben sie ebenfalls mit Tofu und Seitan, die in großer Bandbreite auch weiterhin Verkaufslisten füllen.
Die wachsende Lupinen-Range mit Filets, Geschnetzeltem, Gyros, Burgern, panierten Schnitzel oder Cocktailwürstchen, ist jedoch noch ein Alleinstellungsmerkmal. Purvegan will mit den nach eigenen Rezepturen hergestellten Produkten einen zukunftsweisenden Trend setzen. Immerhin stellen Süßlupinen hervorragende heimische und vielseitig einsetzbare Eiweißlieferanten dar.
Als jüngsten Coup hat Purvegan im September frische Lupinen-Aufstriche lanciert. Angeboten werden die bisher drei Sorten in wiederverschließbaren Schalen; das MHD liegt wie bei den übrigen Produkten bei 62 Tagen.
Veggie-Käse zum Streichen, Schneiden, Backen
Vielerorts eroberte sich Tofu seinen Weg in den deutschen Handel als „schnittfähiger Sojaquark“ beziehungsweise Sojakäse. Ebenso wie Pural ordnet unter anderem Lord of Tofu einige Produkte entsprechend ihrer Konsistenz und Würzung dem Käsesortiment zu, mal nach Feta-Art und mal nach Mozzarella-Art. Interessant sind zudem die innovativen Käsealternativen der Tofumanufaktur Nagel.
Bei ihrem VegiBelle handelt es sich um einen Weißkäse auf Basis von geronnener Sojamilch, der ausschließlich mit veganen Käsekulturen hergestellt und gereift ist. Während VegiBelle No.01 mildem Weißkäse ähnelt, verdanken Barbecue Green und Barbecue Red grünen Kräutern beziehungsweise Paprikaflocken ein pikant würziges Aroma.
Daneben vertreibt Christian Nagel erfolgreich eine Reihe an Fleisch- und Wurstalternativen auf Basis von Soja, Tempeh und Seitan. Hier zeigt die Liste mit den Rennern – geräucherte Tofus, etwa Italia Tofu, Champignon Tofu oder Hijiki-AlgenTofu, –, dass die deutschen Verbraucher generell offenbar aromaintensivere Produkte bevorzugen.
Wie Landjäger, wie Lyoner, wie Gulasch … an diesen Bezeichnungen erkennt man die diversen vegetarischen und veganen Produkte von Heirler. Größtenteils werden sie ohne Soja und Co. hergestellt.
Eine Ausnahme machen die Tofu-Produkte unter der Marke Yamato. Tofu pur und mit Kräutern sowie die fertig zubereiteten, würzigen Sorten Saté, Thai Curry und Mexicana würden sich sehr positiv entwickeln, heißt es bei Heirler.
Das Gleiche erhofft man sich auch von den neuen Soja-Frischkäsezubereitungen, bei deren Verpackung Heirler auf die gewohnten runden Kunststoffbecher setzt. Alternative Frischkäse findet man ansonsten etwa in der „weißen Linie“ von Soyana, neben veganen Sauerrahmprodukten.
Dazu kommen die Green Heart Aufstriche von Wojnars Wiener Leckerbissen. Drei verschiedene Sorten stehen zur Auswahl, ebenso wie bei den aparten Hummus-Variationen auf Basis von Bio-Kichererbsen im Drehverschlussbecher.
Veganes auch ungekühlt
Die zahlreichen Bio-Trockenprodukte in der Art von extrudierten Sojastückchen oder Bratlingsmischungen müssen vor der eigentlichen Zubereitung in Wasser weichen. Dafür punkten sie mit geringem Gewicht, Lagerfähigkeit bei Raumtemperatur und langer Haltbarkeit.
Auch die Milch- und Sahnealternativen mit Soja, Reis und Getreide, (etwa von Provamel oder Soyana), zählen zu den pflanzlichen Klassikern im Trockenbereich. Dazu gesellen sich einzelne Zutaten von Sojamehl über Mayonnaise (u.a. VantasticFood, Soyana) bis zu Backmitteln (u.a. Biovegan).
Ebenso ein wachsendes Angebot von Rohkost oder Convenience, zum Beispiel frischer Pizza-Teig von Donau-Strudel, Pizza Pepperoni von Natural Cool, oder Gebäck von der Bohlsener Mühle.
Auch Naba und Sobo greifen die wachsende Nachfrage nach praktischen, veganen Bio-Produkten auf: Erstere führen derzeit neue Eintöpfe in der 400 Milliliter-Dose ein. Und bei Sobo darf genascht werden – mit veganen Dessertpulvern und gelatinefreie Weingummi-Sorten.
Der größte Teil der veganen Produkte findet seinen Weg in die Märkte über den Großhandel. Neben den genannten Warengruppen führen diese in der Regel auch eine oder mehrere Eigenmarken. Das größte Sortiment ist bei Claus Reformwaren und Pural Naturkost in Baden-Baden zu finden. Allein unter der Eigenmarke Pural bietet das etablierte Unternehmen diverse vegane Kekse, Knabberwaren und Süßigkeiten an.
Trockenfertiggerichte sowie die kühlpflichtigen Käsealternativen Vegi Cheezly Hard Italian Style und Mozzarella Style ergänzen das fleischfreie Angebot und stehen einmal mehr für die vielen Chancen, die der Handel im Zuge des Vegan-Booms hat. Claus-Pural unterstützt seine Partner hier mit einer neuen Werbekampagne: Passend zu dem Titel „VeganTISCH“ gibt es eine Sortimentsempfehlung, ergänzt durch umfangreiche Werbemittel wie Poster und Flyer.
Claus liefert auch an AVE (Absolute Vegan Empire). In der Branche ist AVE vor allem für den Online-Shop www.alles-vegetarisch.de bekannt. Der Bio-Anteil liegt nach eigenen Angaben inzwischen bei 40 Prozent, Tendenz steigend.
Dazu tragen die hauseigenen Handelsmarken Vantastic Foods und Vegetalis bei, die AVE neben Produkten von anderen Herstellern anbietet. Die Bandbreite bei Vegetalis reicht von Tofu Mandel-Nuss über Fertig-Burger und Bratlinge bis zu Soja-Trockenprodukten.
Vantastic Food gilt als Gourmet-Linie unter den Eigenmarken. Hier finden die Kunden Kühlpflichtiges und Haltbares, unter anderem Veggie Fleisch, Wurstalternativen, Snacks, Mayonnaise und Süßwaren.
Gefragt nach der allgemeinen Marktsituation für vegane Produkte, meint Marketingmanagerin Sakura Jendro: „Vor allem in den letzten drei Jahren erfuhr die Branche einen massiven Wachstumsschub.
Dennoch bin ich überzeugt, dass wir immer noch ganz am Anfang stehen und die nächsten Jahre viel bewegen können. Mehr und mehr echte Innovationen werden entwickelt und die Lebensmittel- branche revolutionieren …“