Editorial
Editorial Ausgabe 76/Juli 2013, 3. Quartal
Liebe Leserin, lieber Leser!
Biopionier Klaus Griesbach hat Anfang der 1970er Jahre den Bioladen Schwarzwurzel in Hamburg eröffnet. Ja, man hat damals auch augenzwinkernd den Krieg gegen die Paläste unterstützt, so Griesbach heute. Er musste 1998 Konkurs anmelden.
Sein Bioladenkonzept aus der Frühzeit der Biovermarktung hat die Konkurrenz der sich professionalisierenden Bio-Branche nicht überstanden. Er ist nach China gegangen und hat dort einige Jahre einen Aufsteiger im Biogeschäft beraten. Bio boomt im Land des Drachen.
Auf dem Land in China gibt es viele Biobauern, weil sie schlicht noch nie Geld für Agrochemie ausgegeben haben. Doch nur einige können sich den Bioanbau leisten. Der chinesische von Griesbach beratene Biounternehmer, im Hauptberuf Börsianer, zertifiziert die Bauern und lebt mit der Preissteigerung auf dem Weg vom Land in die Stadt.
Sechshundert Prozent und das stabil Tag für Tag ist besser als die Börse! Und sorgt dabei für ein prima Ansehen. Die übrigen Bauern können ihre (Bio)Produkte in der Region behalten und selbst essen, ohne Aufschlag!
Die aufsteigende Mittelschicht in China verlangt auf dem Lebensmittelmarkt chemiefreie und gesunde Lebensmittel. Diesen Trend bedient Griesbach, wenn er die Produktion kontrolliert. Doch das ging nur so lange, bis der Wissenstransfer abgeschlossen war. Dann stand dem 73-jährigen Griesbach die Kündigung ins Haus. Seitdem kann er sich mit seiner winzigen Rente Bio-Einkäufe nicht mehr leisten!
Bio nur für die Reichen! Diese Entwicklung hatte Altkanzler Schröder bei der Vereidigung von Renate Künast schon im Auge. Bio im Supermarkt als eine Ergänzung im Premiumbereich passt in diese Befürchtungen.
Aber auch die Preisentwicklung im Bio-Supermarkt ist teilweise erschreckend: 3,49 bis 3,99 € für ein Kilo Äpfel. Das könnte gut sein für die Bauern, wenn der Mehrpreis tatsächlich bei ihnen ankommt.
Bio für Alle ist so nicht drin, auch wenn die Preisschraube zugegebenermaßen nicht mit der in China zu vergleichen ist.
100 Prozent Bio nur im Bio-Supermarkt ist eine andere Lesart als die Wandlung der Landwirtschaft zu 100 Prozent weg von der Agrochemie. Bio kann dann auch nicht billig zu haben sein. Wer die Böden retten will für die kommenden Generationen, ist schon bereit zu einem Opfer. Und eine Einkaufsstätte, in der es nur Bio zu kaufen gibt, ist doch glaubwürdig.
100 Prozent als Marketinginstrument! Nur können nicht alle die Welt retten. Einige wollen sich einfach nur gesundes Essen leisten (können). Soll das eine Frage des Geldbeutels bleiben?
Die schlichte Realität ist noch immer: Wer sich mit Bio ernähren will, braucht eine Bio-Einkausstätte. Bio im Supermarkt gibt es flächendeckend nur, was die Handelssysteme hergeben.
Ohne eigenes Engagement der Kaufleute reichen auch 2.000 Bio-Produkte oftmals nicht für eine warme Küche rund um die Woche. Es sei denn, die Kunden sind leidensfähig und entwickeln sich zu Verbrauchern der verzichtserklärenden Fraktion, die in den 70er Jahren zu den Biopionieren unter den Konsumenten zählten.
Nachhaltigkeit wird zwar groß geschrieben im Lebenmittelhandel, die Bemühungen wirken jedoch wie der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Es wird meist von Null angefangen und die Chance übersehen, die Bio bietet. Man will lieber mögliches Versagen in Kauf nehmen, als sich die Handlungsvormacht von Bio nehmen zu lassen.
Sicher ist, dass viele Jahre ins Land ziehen werden, bis auch nur der heutige Bioumsatzanteil mit Nachhaltigkeitsprodukten erreicht sein wird. Derweil geht viel Zeit verloren und die Landwirtschaft verkommt zum Energielieferanten und die Exporte der hochsubventionierten verarbeiteten Produkte aus mit Agrochemie gedopten deutschen Rohstoffen steigen weiter. Derweil wird immer mehr Bio importiert. Das freut die ausländischen Anuga-Aussteller seit Jahren. Sie machen gute Geschäfte mit Bio.
Die deutschen Lebensmittel-Handelskonzerne sind hierfür ebenso verantwortlich wie die Haltung des Naturkostfachhandels, der Bio-Hersteller und Bio-Großhandel eine einseitige Fachhandelstreue auferlegt. Der Lebensmittel-Einzelhandel könnte Bio-Vollsortimente flächendeckend verkaufen, wenn er beliefert würde.
Erich Margrander
Herausgeber
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