Rapunzel
Rapunzel-Chef läuft 1000 Kilometer
für eine gentechnikfreie Landwirtschaft
Joseph Wilhelm (3. v. r.) war auf einem langen Marsch gegen Gentechnik. Weder auf dem Acker noch auf dem Teller wollen die Deutschen Gentechnik. Laut einer GfK-Umfrage aus dem vergangenen Herbst an 1000 Personen würden über 80 Prozent zum Beispiel einen höheren Preis für ihre Milch bezahlen, wenn die Milchtiere kein gentechnisch verändertes Futter bekämen. Immer wieder bestätigen derartige Markforschungsstudien, dass die Verbraucher gentechnisch veränderte Pflanzen (GVP) ablehnen. Von daher verzeichnen Initiativen gegen Agro-Gentechnik regen Zuspruch. Ein aktuelles Beispiel ist die Aktion genfrei-gehen, die Joseph Wilhelm in diesem Sommer bereits zum zweiten Mal initiierte. Der engagierte Bio-Pionier und Gründer der Rapunzel Naturkost AG wollte damit ein positives Zeichen setzen und der Bevölkerung die Gefahren von GVP bewusst machen. Sein Weg führte ihn von Berlin über Bonn bis zum Sitz des EU-Parlaments in Brüssel – 1000 Kilometer zu Fuß!
„Der Anti-Gentechnik Marsch ist ein Pro-Marsch für die Freiheit der Biodiversität, für die Unanhängigkeit der Bauern und letztendlich für das Wohl der ganzen Bevölkerung“, sagte Vandana Shiva, die Preisträgerin des alternativen Nobelpreises beim Start in Berlin am 18. Juni. An der Auftaktveranstaltung nahmen schätzungsweise 1500 Menschen teil, darunter viele, die in der Bio-Branche arbeiten. Neben Frau Shiva waren noch zahlreiche weitere Prominente, Politiker und Medienvertreter gekommen: Percy Schmeiser aus Kanada, der für sein Engagement für eine gentechnik-freie Landwirtschaft ebenfalls den alternativen Nobelpreis bekommen hat, die Fraktionsvorsitzende der Grünen Renate Künast, Felix Prinz zu Löwenstein vom BÖLW, Thomas Dosch von Bioland und andere.
Jeder der wollte, konnte mitgehen, egal ob einzelne Etappen oder die gesamte Strecke durch Deutschland, Holland und Belgien. Diese führte zunächst durch die neuen Bundesländer, wo es momentan die meisten GVP-Versuchsfelder gibt (s. Register der Europäischen Kommission unter (http://ec.europa.eu/food /dyna/gm_register/index_en.cfm). Trotzdem wurden die friedlichen Aktivisten offen und interessiert aufgenommen. Gut besucht waren vor allem die Stationen in Städten wie Leipzig, Bonn oder Aachen, in denen die mit Luftballons und Informationsmaterial ausgerüstete Gruppe Halt machte. Immer wieder sprachen Vertreter aus Umweltinstitutionen oder Politik Wilhelm ihre Hochachtung aus. Und überall sorgten ortsansässige Bio-Unternehmen für Speis und Trank.
Koexistenz ist unmöglich
Nachdem die Wanderer am 23. Juli wieder einmal eine Nacht mit Wind und Hagel gemeistert hatten, überquerten sie kurz hinter Aachen die Grenze zu Holland. Ein Fluss mit einem schmalen darüber trennt hier die beiden Länder. Um zu verdeutlichen, dass sich das Ausbreiten gentechnisch manipulierter Pollen auch über Landesgrenzen hinweg nicht kontrollieren lässt, bliesen sie Seifenblasen in die Luft. Genau wie diese über das Wasser schwebten und sich an den Gräsern absetzten, so kann auch GV-Material in die Umwelt gelangen. Bio-Felder und konventionelle Felder sind gleichermaßen bedroht.
Anders als in Deutschland, Österreich oder der Schweiz, ist das Thema Gentechnik in Holland eher selten Thema. Das dürfte damit zusammenhängen, dass es in dem exportorientierten Land weniger Klein- bzw. Einzelbetriebe für die Erzeugung und Verarbeitung gibt. Doch auch hier ist es noch nicht zu spät für eine Gegenbewegung, wobei Aktionen wie genfrei-gehen die öffentliche Diskussion zum Thema Gentechnik stark fördern. In Deutschland spiegeln sich die Erfolge einer allgemeinverständlichen Aufklärungsarbeit zum Beispiel in der wachsenden Zahl von gentechnikfreien Regionen: Mittlerweile etwa 190 Regionen, Städte und Kirchengebiete. Je größer die zusammenhängende Fläche ohne GVP, umso geringer ist die Gefahr einer Verunreinigung von heimischen Öko-Produkten.
Anders als die Inhaltsstoffe müssen Zusatzstoffe, die mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen wie Bakterien oder Hefen hergestellt wurden, nicht gekennzeichnet werden. Auch bei tierischen Produkten wie Eiern, Milch und Käse, Fisch oder Wurst erfahren Verbraucher nicht, ob die Tiere Gen-Futter bekommen haben. Es sei denn,die Hersteller nutzen die neue Möglichkeit, ihre Lebensmittel mit der Aufschrift „ohne Gentechnik“ zu versehen. Bei Bio-Produkten kann man bislang sicher sein, dass sie ohne direkte oder indirekte Beteiligung von GVO produziert werden. Die Hersteller verzichten sowohl auf veränderte Futtermittel für ihre Tiere als auch auf mit GVO-produzierte Zusatzstoffe, Enzyme, Vitamine oder Hefen.
Gentechnikfreie Lebensmittel müssen weiterhin erhältlich sein
Nicht zuletzt aufgrund der Globalisierung wird es immer schwieriger, ‚sauberes’ Saatgut, Lebens- und Futtermittel zu bekommen. Nach Angaben des Umweltinstituts München landen 80 Prozent aller GVP im Futtertrog, allen voran Soja und Mais. Baumwolle und Raps stammen heute gleichfalls größtenteils aus dem Gentechnik-Labor. Großflächig angebaut werden GVP vor allem in Nord- und Südamerika, China, Südafrika und Indien. Das Risiko einer Verschleppung über Container und Maschinen wächst. Unsicher sind auch Anbau- und Freisetzungsfelder in Europa, trotz der gesetzlichen Sicherheitsabstände von 150 Metern zu konventionellen und 300 Metern zu ökologischen Feldern. Bienen zum Beispiel, haben einen Flugradius von 3,5 Kilometern und könnten also durchaus auch GV-Rapsfelder streifen. In Kanada hat sich Gen-Raps über den Pollenflug fast flächendeckend ausgebreitet, weshalb viele Imker bereits aufgeben mussten. Alice Fridum von Allos mahnte in diesem Zusammenhang: „Unsere Bienen fliegen nicht unter einer Glasglocke.“
Verunreinigte Bio-Lebensmittel würden das Vertrauen der Verbraucher enorm schädigen und der ganzen Branche schaden. Joseph Wilhelm äußerte überzeugt: „Wir können darauf Einfluss nehmen, unsere Ernährung, Landwirtschaft und Naturschutzgebiete vor möglichen Beeinträchtigen zu schützen“, sagte Wilhelm. Nach der ersten Tour quer durch Deutschland und einer verlängerten Sammelphase hatte er dem damaligen Landwirtschaftsminister Horst Seehofer 55.000 Unterschriften gegen Agro-Gentechnik überreicht. Diesmal hatten er und seine insgesamt 3.400 Mitwanderer bereits während der Tour schon 35.000 Stimmen zusammengetragen. Jede einzelne Stimme sei wichtig, so Wilhelm und ergänzte: „Wir erwarten von den Politikern Achtsamkeit und Respekt gegenüber dem mehrheitlichen Willen der Menschen - klare Aussagen und kein Taktieren.“ Der Berater im EU-Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung Hannes Lorenzen, der die Listen gern annahm, stimmte zu: „Das Thema muss stärker in die EU eingebracht werden. Dazu braucht man Leute, die sich als Bürger gegen Agro-Gentechnik in Bewegung setzen.“
Wissenswert:
Bei GVP wurde das Erbmaterial durch ein modernes biotechnologisches Verfahren so verändert, wie es auf natürlichem Weg oder durch Kreuzung nicht möglich wäre. Über Artgrenzen hinweg werden zum Beispiel Gene aus Bakterien und Viren eingeschleust. Gemäß den europäischen Gentechnik-Gesetzen besteht für GVO eine Zulassungs- und Informationspflicht. Es müssen eine Risikobewertung und Überwachung von Langzeiteffekten erfolgen. Produkte mit mehr als 0,9 Prozent an gentechnisch veränderten Bestandteilen sind zu kennzeichnen. Nicht aber tierische Produkte, bei denen die Tiere GV-Futter bekommen haben.
Versprechen der Saatgut-Konzerne, u.a.:
- Geringerer Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln (z.B. Pflanzen mit Resistenz gegen ein Breitbandherbizid, Insekten oder Krankheiten)
- Einfachere Verarbeitung (z.B. Pflanzen mit verlangsamter Reifung)
- Optimierte Eigenschaften (z.B. vermehrte Produktion von Vitaminen)
- Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften
Studien belegen aber, dass Gentechnik-Anbau keinen Vorteil bringt! Zudem bestehen Risiken, u.a.: Verunreinigungen bei Anbau, Transport, Lagerung, Verarbeitung
Resistenzprobleme (z.B. in Verbindung mit Antibiotka bei Pflanzen mit eingebauten Bakteriziden), unvorhergesehene schädliche Effekte (z.B. Allergenität) oder Auskreuzung
Gefährdung der Ökosysteme und Artenvielfalt, zunehmende Abhängigkeit der Bauern von einigen wenigen Saatgut-Konzernen, eine Freisetzung von Gen-Pflanzen lässt sich nicht mehr rückgängig machen.
Bettina Pabel