Bio-Eigenmarken im Handel
Plötzlich ist Bewegung in den Sortimenten
Auch wenn die Forderung nach Vielfalt statt Einfalt in der Biovermarktung die Supermärkte erreicht hat und aktuell eine Ausweitung der Markenangebote vor sich geht, ist die Kraft der Eigenmarken-Sortimente immens, wenn nur die Umsatzgrößen gezählt werden. Wird Bio in immer dem gleichen Kleid der Handelsmarken wahrgenommen, kann das mit der Zeit auf Kosten des Vertrauens gehen. Glaubt doch der Verbraucher, dass Bio eine große Nähe zum Ursprung hat. Bio fördert das Image. Also lohnt es sich, kräftig in die Marken des Handels zu investieren.
Die großen Handelsunternehmen besetzen das boomende Bio-Wachstum zuallererst mit ihren Eigenmarken. „Edeka Bio“ heißt es da oder – neu – „Rewe Bio“. Das Kerngeschäft mit Bio soll zur Förderung der Kundenbindung genutzt werden. Das hat in den letzten Jahrzehnten die zügige Entwicklung von Biovermarktung eher behindert als zum Durchbruch für breite und damit für Verbraucher interessante Biosortimente zu führen.
Der Erfolg im Fachhandel und der Einstieg von Edeka in den Biowettbewerb haben den Bio-Zug richtig ins Rollen gebracht. Nachdem dann die Discounter aufgesprungen sind, stiegen wiederum die Ansprüche der Vollsortimenter. Sie bauen ihre Eigenmarken zügig aus und einer übertrumpft den anderen. Ein echter Wettbewerb, der erstmals nicht über den Preis gehen muss!
Die Entwicklung der Breite und Tiefe von Biosortimenten wird in der Folgezeit ein weiterer Gradmesser nachhaltigen Erfolgs. Das wird dann nicht mehr allein mit der Konzentration auf´s eigene Image funktionieren. Hier werden die Herstellermarken gebraucht, denen die geforderte Nähe zum Produkt zugeschrieben wird. Austauschbarkeit wie bei Eigenmarken wird bei Herstellermarken nicht unterstellt. Eher Glaubwürdigkeit durch Kompetenz in den vielfältigen Herstellungsprozessen.
Verbraucher erwarten vom Hersteller mehr als Handelskompetenz. Hersteller werden durch ihre Produkte identifiziert. Sie garantieren Unterscheidbarkeit, und viele von ihnen zusammen genommen bieten die breite Vielfalt, die sich (Bio-)Verbraucher wünschen.
Außerdem kümmern sie sich um die Rohstoffabsicherung, ständige Innovationen und umfassende Informationen über die Inhaltsstoffe bis hin zu den Geschichten, die den Ursprung und den Werdegang der Lebensmittel transparent machen. Mehr als die Handelsunternehmen allein zu leisten imstande wären. Das muss der Handel noch verinnerlichen: Die Verbraucher der Zukunft erwarten wenig glanzvolle Versprechungen. Aufgeklärte Konsumenten verlangen Klarheit.
Eigenmarken-Trockensortimente werden interessanter
Discounter haben es zunächst einmal wieder geschafft, mit einem relativ schmalen Sortiment, vorzugsweise mit den Schnelldrehern und umsatzträchtigen Eckartikeln, einen großen Teil des Bio-Kuchens im LEH zu vereinnahmen. Innerhalb von 5 Jahren haben sie erhebliche Marktanteile an sich gerissen.
Wertet man die bislang vorliegenden Daten des AC Nielsen Handelspanels für das 1. Halbjahr 2007 aus, dann haben Discounter bei TK Gemüse fast 70 Prozent der Bio-Umsätze im LEH, nahezu die Hälfte der Gemüsesaft- und Joghurtumsätze, 40 Prozent beim Süßgebäck und 30 Prozent bei Milch, Teigwaren und Fruchtsäften an sich gezogen.
Die Vollsortimenter, die teilweise jahrzehntelang in ihr Bio-Sortiment investiert haben, allerdings oftmals längst nicht so medienwirksam wie dies die Billigkonkurrenten nun getan haben, liegen nur noch bei Milch mit einem Umsatzanteil von knapp 50 Prozent, bei Teigwaren mit 40 Prozent und Müsli mit 35 Prozent vorne.
Drogeriemärkte, die auch schon deutlich länger Bio-Produkte im Sortiment haben, konnten ihren ersten Platz bei Brotaufstrichen mit einem Umsatzanteil von über 50 Prozent und bei Müsli mit 35 Prozent halten.
Discounter punkten mit schmalem Angebot
Schaut man sich den Sortimentsumfang der verschiedenen Unternehmen hinsichtlich ihrer Eigenmarken an, so bestätigt sich, dass die Discounter mit einem relativ schmalen Sortiment hohe Umsätze erzielen können. Lediglich Plus reicht mit seinen fast 200 Eigenmarkenartikeln an die Größenordnungen heran, die die Vollsortimenter im Januar 2008 in „durchschnittlich“ einzuordnenden Läden angeboten haben. Rewe kommt auf zirka 350 Artikel, gefolgt von Rossmann mit 330, Edeka mit 250 und Tengelmann mit 220. Der Drogeriemarkt Müller hat lediglich gut 160 Artikel seiner Eigenmarke anzubieten und liegt damit noch hinter Plus. Die übrigen Discounter haben deutlich kleinere Bio-Sortimente. Penny hat einen Blitzstart mit inzwischen 110 Artikeln hingelegt, Aldi Süd rappelt sich langsam auf und liegt mit etwa 100 Artikeln vor Lidl mit knapp 60 Artikeln. Norma und Netto wurden wegen fehlender Flächendeckung in diese Betrachtung nicht mit einbezogen.
Bio-Innovationen noch schwach vertreten
Vielfach werden konventionelle Sortimente in Bio-Qualität kopiert. Aber es gibt auch zahlreiche innovative Produktideen, die im letzten Jahr die Regale erobert haben und davon zeugen, dass man auch kreativ mit Bio umgehen kann. Allerdings könnte es noch kreativer sein. Gerade im Bereich Convenience und TK wird hier experimentiert. Ob der langen Haltbarkeit und dem besseren Frischeimage, im Vergleich zu Konserven, eine verständliche Strategie. So halten Fertiggerichte vorzugsweise mit leckerem Gemüse oder aber auch Bio-Fleisch Einzug in die Kühltruhen. Bei beiden Produktgruppen ist das Bio-Image besonders stark, da dem Verbraucher zahlreiche Negativ-Erlebnisse mit abschreckenden Inhaltsstoffen bei konventioneller Ware im Gedächtnis steckt.
Aber auch bei Süßwaren finden sich interessante Produkte, die es so in konventioneller Qualität kaum gibt. Hauptexportschlager der Bio-Hersteller natürlich die Reiswaffel in verschiedensten Varianten, die nun auch von konventionellen Unternehmen kopiert werden. Aber auch Honig-, Obst- und Haselnusswaffeln locken den Kunden. Stark im Kommen ist Bio-Schokolade in Kombination mit dem Fairhandelssiegel. Einige konventionelle Markenhersteller sind schon mit einigen wenigen Varianten am Start. Ein ganz Großer wie Ritter, der schon einige Jahre Bio-Projekte in Lateinamerika aufbaut, will ganz groß einsteigen und nach eigenen Angaben den Bio-Schokoladenmarkt revolutionieren.
Molkereiprodukte führend
Bei der näheren Betrachtung der angebotenen Sortimente fällt auf, dass die Warengruppe Molkereiprodukte inklusive Fette und Eier bei vielen Unternehmen die größte Vielfalt bietet. Natürlich nur dort, wo auch Kühltheken vorhanden sind, was die Drogeriemärkte ausnimmt. Rewe kommt sogar auf 50 Einzelartikel in dieser Warengruppe, damit stammt jeder siebte Artikel aus dieser Warengruppe. Auch Edeka kommt mit 45 Artikeln auf eine stattliche Anzahl. Hauptsächlich Joghurt- und Käsevarianten sind für diese hohe Zahl verantwortlich. Der Hauptumsatzträger ist allerdings die Milch mit fast 56 Millionen Euro Umsatz von Januar 2007 bis Juni 2007. Aber auch Joghurt inklusive der Fruchtvarianten generierte fast 55 Millionen Euro in diesem Zeitraum.
Süßwaren holen stark auf
An zweiter Stelle folgen dann Süßwaren. Diese relativ junge Warengruppe in Bio-Qualität im LEH hat es schnell auf eine stattliche Anzahl gebracht. Rewe bietet knapp 50 verschiedene Leckereien an und wird mit 45 an der Zahl von Rossmann fast eingeholt. Aber auch Edeka und Tengelmann trumpfen mit zirka 20 Angeboten auf. Spitzenreiter ist in dieser Warengruppe das Süßgebäck mit bis zu 16 angebotenen Gebäckvarianten bei Rossmann. Mit dieser Warengruppe erzielte der LEH im ersten Halbjahr 2007 immerhin 12 Millionen Euro Umsatz, etwa doppelt soviel wie noch ein Jahr zuvor.
Würzmittel überraschende Vielfalt
Mit einigem Abstand folgen dann Würzmittel. Hierunter finden sich Speiseöle, Essig, Kräuter, Gewürze und Brühwürfel zusammengefasst. Fast alle Unternehmen bieten hier zweistellige Artikelzahlen an. Im Anschluss daran folgen erst die eigentlichen Bio-Innovationen, die es bislang teilweise immer noch nur sehr selten von konventionellen Herstellern gibt. Pikante Brotaufstriche, eine Domäne der Bio-Hersteller, haben auch den LEH erobert und finden sich in zahlreichen Geschmacksvarianten bei Rossmann, Müller, Edeka und Rewe. Knapp sieben Millionen Euro Umsatz haben die Unternehmen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2007 mit diesem Sortiment erwirtschaftet.
Gemessen an der Anzahl von Einzelartikeln folgt dann der Bereich Cerealien und Getreide, auch eine ehemalige Domäne der Bio-Pioniere, wurden sie doch vor Jahrzehnten verächtlich als Müsli- und Körnerfreaks tituliert. Heute darf das Sortiment in keinem Laden fehlen. Was es auch nicht tut. Lediglich Plus hält sich da nicht ganz an diese Regel und verzichtet auf das Angebot von echtem, unverarbeitetem Bio-Getreide, dem Herzstück der Bio-Bewegung. Alleine der Verkauf von Müsli machte einen Umsatz von über 17 Millionen Euro im ersten Halbjahr 2007.
Teevielfalt berechtigt ?
Beeindruckend sind auch die vielen Teevarianten im LEH. So leisten sich die Rewe 17, Tengelmann 13, Rossmann 12 und Müller 10 verschiedene Teesorten. Bei Rewe muss allerdings beachtet werden, dass derzeit auf die neue Eigenmarke Rewe Bio umgestellt wird und daher in dieser Zählung Doppelartikel enthalten sind, wenn während dem Umstellzeitraum auch noch Füllhorn-Artikel im Regal zu finden waren. Ob dieses große Angebot auch entsprechende Umsätze zur Folge hat, kann derzeit mangels Datenmaterial nicht gesagt werden.
Datenverfügbarkeit vor Quantensprung
Denn AC Nielsen hatte diese Artikel bislang noch nicht bio-codiert und kann daher noch keine Auswertungen liefern. Das soll sich aber bald ändern. So arbeitet man in der Unternehmenszentrale in Deutschland fieberhaft daran, ob der großen Nachfrage nach diesen Daten, sämtliche Artikel in der Food-Datenbank mit der Bio-Kennung zu versehen, um künftig für alle Warengruppen ähnlich brillante Zahlen zu liefern, wie dies in der Vergangenheit für einige wenige der Fall war. Man darf also äußerst gespannt sein, über die neuen Erkenntnisse die diese Daten bringen werden.
So richtig interessant wird die Analyse dieser Zahlen vor allem ab diesem Jahr. Denn die Wachstumsraten rührten bisher zu einem bedeutenden Teil aus dem Distributionsausbau der Bio-Sortimente im Lande. Neue Verkaufsflächen kamen in den letzten Jahren mit hohem Tempo hinzu und machten es unmöglich, das organische Wachstum der Bio-Umsätze aus bestehenden Flächen heraus zu messen. Das wird der vorrangig interessante Fakt sein, auf den man achten sollte. Wie entwickelt sich die Verbrauchernachfrage nach Bio-Lebensmitteln, aus dem bestehenden Sortiment heraus? Daran muss man künftig Wachstumschancen, Bio-Strategie und Sortimentspolitik messen. Also wartet ein überaus interessantes Jahr auf Marktforscher und Marketingleiter.
Markus Rippin