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Editorial

Editorial Ausgabe 45/Nov. 2005

Liebe Leserin, lieber Leser!

Diese bioPress-Ausgabe erscheint mit drei Wochen Verspätung. Die Ereignisse der Weltleitmesse für Lebensmittel rund um das Thema Bio sind so wichtig geworden, dass bioPress sich als nicht nur oberflächlicher Beobachter intensiv damit auseinandersetzen muss. Das ist nicht in einer Woche getan und die Anuga hat ihren festen Termin kurz vor dem normalen bioPress-Erscheinungszyklus.

Sechs Wochen liegt sie zurück, die Anuga 2005, so lange wie die Dauer der Koalitionsverhandlungen. Und für beides gilt: Nichts ist so beständig wie die Veränderung! Außerdem gilt auch, dass Beständigkeit ein Wert an sich ist, mit dem Berge versetzt werden können.Was den politischen Gegner erfolgreich macht, gilt es im Hin und Her des Tagesgeschäftes zu bekämpfen. Dabei ist es unerheblich, ob die Vernunft ja dazu sagt! Diese Balgerei funktioniert so lange, bis die Unvernunft unerträglich wird und der dabei angerichtete Schaden alle trifft. Die Folge ist dann nicht selten eine „Große Koalition".

In solchen Situationen bricht sich Bahn, was bei vernünftigem Konsens schon lange erledigt hätte werden müssen. Das Gesetz der Masse gilt in allen Lebenslagen und notwendige Veränderungen lassen sich vielleicht hinausschieben jedoch nie gänzlich aufhalten. Die Biovermarktung konnte sich zwar in den letzten vier Jahren großer Aufmerksamkeit von Seiten der regierenden Politik erfreuen, aber der geübte Beobachter der Branche hat Grund zur Frage: Wer war zuerst ? Beständiges Bio-Umsatzwachstum oder die Impulse der Politik?

Niemand kann ernsthaft behaupten, dass die knapp 1.100 Aussteller, die auf der Anuga Bio im Angebot hatten, wegen der Politik gekommen wären. Umfragen weisen schon seit Mitte der 90er Jahre Zustimmungswerte von über 80 Prozent für Bio aus. Dem ist der Markt gefolgt und dann auch die Politik. Dass mit dem Wohlergehen der Bevölkerung Politik gemacht werden kann, weist auf die nachhaltigen Folgen in den Ernährungsgewohnheiten hin. Das „immer besser, immer billiger" ist zwar nicht vom Tisch - der Discountanteil wird nicht geringer -, andererseits hat sich vor zwei, drei Jahren ein Wechsel in der Stimmung vollzogen.

Genuss und Geschmack steht wieder im Mittelpunkt der Entwicklung. Selbstverständlich geht es auch in der Lebensmittelvermarktung nicht ohne Geld verdienen. Also muss irgendwo ein Ende sein mit billig und immer billiger. Genuss und Geschmack als Botschafter für den gesunden Zustand von Lebensmitteln bedeutet im Wandel der Zeit eine weitere Chance in der Ökologisierung der Landwirtschaft. Und dass Chemiefreiheit von Lebensmitteln nicht mehr nur mit einer anthroposophischen Vision für eine bessere Welt in Zusammenhang gebracht wird, sondern sich immer mehr Menschen die Frage stellen, warum Doping im Sport verbannt, in der Lebensmittelproduktions aber Normalität sein soll, hat heute etwas mit der Vorsorge für sich selbst zu tun. Etwas tun für die eigene Sicherheit und Gesundheit, Selbstverantwortlichkeit in Sachen Wohlergehen, Konzentrations- und Leistungsfähigkeit liegt heute nicht mehr im (Ernährungs)wissen der Großmütter und den Händen der Alten. Der moderne Mensch in der heutigen Wissensgesellschaft sucht den eigenen Zugang zu den Aspekten des Wohlergehens!

Dem muss sich der Kaufmann stellen, will er in Zukunft den Geschmack seiner Kunden treffen. Lebensmittel können nicht neu erfunden werden! Daher ist die Umkehr zu den Wurzeln notwendig. Nicht neu erfinden, sondern neu orientieren, ist die Devise. Wenn es nicht mehr immer weiter vorwärst geht, und einfach Umkehren keine Glaubwürdigkeit findet, entwickelt sich die „Große Koalition" der Vernunft und die urspünglichen Werte von Lebensmitteln treten wieder zum Vorschein.

Die Natur hat alle guten Eigenschaften auf seiner Seite. Heute wissen das die Meisten. Und dass die Konsumenten auch dort zu folgen scheinen, wo wir das wegen der fehlenden finanziellen Mittel nicht vermuten, lässt den Schluss zu, dass Bio vielleicht gar nicht an den Mitteln scheitert?Dass Vernunft, dass Natur bezahlbar ist?

Es fehlt nur an der Übung. Bio ist erlernbar! Die Bedürfnisse treten überall zutage und der Wille der Kaufleute, den Kunden zu bieten, wonach sie verlangen, wird Bio-Angeboten immer mehr Schneisen in die Regale schlagen. Wer dabei zu spät kommt...

Diese bioPress-Ausgabe beschreibt über viele Seiten breite Bioangebote für den Supermarkt, wie sie auf der Anuga zu finden waren. Der begonnene Bio Handels-Dialog soll auf dem Bio Handels-Forum im nächsten September in Köln fortgesetzt und weiter vertieft werden. Die Entwicklung weist darauf hin, dass Bio in naher Zukunft nicht nur in den Herzen und Köpfen zur Normalität wird, sondern auch in der Logistik des Lebensmittelmarktes.

Erich Margrander

Herausgeber

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