Editorial
Editorial Ausgabe 44
August / September / Oktober 2005
Liebe Leserin, lieber Leser!
Bio auf der Anuga! Das ist nicht neu, und doch ist nicht`s mehr so, wie es einmal war. Bio ist erstmals ausdrücklich in das Warenverzeichnis aufgenommen und weltweit in die Kommunikationsstrategie der Koelnmesse einbezogen. Das war vor Wochen auch hierzulande sichtbar, als Bio in der LZ thematisiert und von Anuga-Bio-Werbung begleitet wurde.
Ernsthafte Schritte zur Unterstützung der Bio-Vermarktung unternahm Koelnmesse bereits im letzten Herbst mit dem 1. Bio Handels-Forum in Köln. Der Erfolg gab den Kölnern recht und auch dem bioPress Verlag, auf dessen Betreiben das Forum zustande kam. Nicht der Handel muss zu Bio kommen, sondern umgekehrt, Bio den Weg in den Mainstream finden. Und der bewegt sich nun mal durch Köln mit ihrer weltweit größten Lebensmittelmesse.
Schon seit langem finden dort Biohersteller ihre Abnehmer und Kontakte. Aber noch nie war Bio so sehr im Zentrum des Geschehens mit so viel Aufmerksamkeit wie in diesem Jahr. Liegt es am wachsenden Erfolg der Biovermarktung und den überdurchschnittlichen Wachstumsraten im klassischen Handel? Gibt es einen Wandel in der Einstellung der Hersteller und auch mehr Achtung, Aufmerksamkeit und Interesse bei den Kaufleuten?
Der aufmerksame Beobachter findet: Beides! Die Akteure gehen aufeinander zu. Fast alle Hersteller suchen den Weg in den konventionellen Handel. Die Lebensmittelkaufleute hätten den Namen „Kaufmann“ nicht verdient, würden sie das Geld nicht in die Hand nehmen, das der Markt ihnen bietet.Ungeachtet aller Barrieren verbreitet sich Bio immer weiter hinein in die LEH-Sortimente.
Dass das nicht immer gelingt, liegt an den gewachsenen Strukturen – auch wieder beider Seiten. Die Naturkostbranche will einfach unter sich bleiben und wiederspricht damit ihren eigenen Tugenden! Immer mehr Bio geht doch nur mit allen zusammen, da kann auf Dauer weder Aussortieren noch Zulassungsbeschränkungen erfolgreich sein. Und der LEH-Großhandel hat wenig Interesse, sich mit zusätzlich 1.500 und mehr Bioprodukten zu belasten, von denen er noch dazu wenig versteht.
Warum ist Köln für Bio so wichtig? Hier trifft sich die Welt des Lebensmittelhandels. Da ist es einfacher und besser, Bio mitten in die Höhle des Löwen zu tragen, als diese gewachsene Struktur aufzulösen und anderswo neu aufzubauen. Die Naturkostbranche beweist das selbst mit der Entstehung der Bio-Supermärkte. Da werden altbekannte (Supermarkt-) Strukturen übernommen und auf die Naturkostbranche übertragen. Auch der Konzentrationsprozess ist im Gange. Selbst ein Branchenriese wie Rewe hat sich auf den Weg in die Naturkostbranche gemacht und eröffnet Ende September innerhalb von sechs Monaten den zweiten Bio-Supermarkt. Und wo bleiben die anderen? Ist zu erwarten, dass jetzt alle Bio-Supermärkte eröffnen? Oder geht es vielmehr darum, mehr Bioprodukte in das flächendeckende Vertriebsnetz für Lebensmittel hinein zu leiten und damit Bio-Vollsortimente im LEH zu schaffen?
Der Bio-Umsatzanteil des LEH an der gesamten Biovermarktung ist von 28 Prozent 1997 auf 37 Prozent 2004 gestiegen. Die Entwicklung war getragen von der Ausweitung kleiner Sortimente in vielen Outlets. Hatte der Marktführer im Jahr 2.000 etwa 2.500 Abladestellen, so waren es 2004 sagenhafte 12.500. Das wurde durch die dahinterstehende zentrale Logistik ermöglicht. Viele kleine Absatzstellen ergeben eben auch einen großen Brocken.
Wirklich explosiv könnte der Umsatz steigen, wenn Systemlieferanten Bio-Vollsortimente verfügbar machen und die interessierten Kaufleute nicht, wie der Fachgroßhandel, mit Verhaltensmaßregeln schrecken. Ob Shop in Shop-Konzept oder die vernünftigere Variante „Bio in die Sortimente zu integrieren“, sollte den unterschiedlichen Bedingungen vor Ort überlassen bleiben. Die Kaufleute benötigen Unterstützung bei der Sortimentsentwicklung, der meist unbekannten Verkaufsargumentation, und sie brauchen Lieferanten! Die Einschätzung der richtigen Präsentation ist bei den Kaufleuten selbst am besten aufgehoben.
Das zeigt die Auswertung der Bewerber zur Selly 2005 sehr deutlich. Wem lediglich das Großhandelsangebot des LEH zur Verfügung steht, erreicht zirka ein Prozent Umsatzanteil oder meist weniger. Einzelne mit einem Shop in Shop-Konzept bleiben scheinbar auf halber Strecke stecken. Richtig rund läuft der Bioabsatz dort, wo angemessene Bio-Vollsortimente in die normalen Sortimente integriert sind. Das hat bereits vor vier Jahren ein Vertreter der Coop, Basel auf einer Podiumsdiskussion während der Anuga 2001 deutlich vertreten und alle anderen Versuche als „verkrampft“ bezeichnet.
Wer sich einen Eindruck über die Vielfalt der verfügbaren Bioprodukte verschaffen will, findet dazu reichlich Gelegenheit auf der Anuga-Sonderschau „Voll-Bio“ in Halle 3.2.
Erich Margrander
Herausgeber