Start / Ausgaben / BioPress 52 - August 2007 / Bio-Umsatzsteigerung bei 20 Prozent

Bio-Umsatzsteigerung bei 20 Prozent

Die Umsatzzahlen für 2005/2006 stehen jetzt endgültig fest

Die vorläufigen Daten für den Umsatz mit Öko-Lebensmitteln in Deutschland für 2006 müssen um mindestens 100 Millionen auf 4,6 nach oben korrigiert werden. Nachdem alle Daten aus dem allgemeinen Lebensmittelhandel (LEH) vorliegen und in die Prognosen hineingerechnet sind, wird deutlich, dass die vorläufige, auf Paneldaten beruhende Hochrechnung der LEH-Umsätze für Öko-Lebensmittel mit 4,5 Milliarden Euro zu niedrig war.

Prognostiziert waren 500 Millionen Euro Umsatzsteigerung.

Die endgültigen Daten weisen jedoch ein Umsatzwachstum mit Öko-Lebensmitteln im allgemeinen LEH 2006 um rund 650 Millionen Euro gegenüber 2005 aus. Das entspricht einer Steigerung um mehr als 40 Prozent.

Dieser enorme Umsatzanstieg im allgemeinen LEH war im Wesentlichen auf vier Faktoren zurückzuführen: Der größte Wachstumsimpuls ist 2006 von der Sortimentsausweitung bei verschiedenen Discountern und beim Branchenprimus Edeka ausgegangen.

Des Weiteren sind 2006 weitere Einzelhandelsgeschäfte (u. a. im Discount-Bereich) neu in den Absatz mit Öko-Produkten eingestiegen. Außerdem haben nahezu alle Geschäftstypen des allgemeinen LEH hohe Absatzsteigerungen im bestehenden Sortiment verzeichnet. Schließlich haben angebotsbedingte Knappheiten in der Versorgungslage mit Öko-Lebensmitteln zu Preis- und damit Umsatzsteigerungen auf der Einzelhandelsstufe geführt.

Neben dem allgemeinen LEH haben nur noch die Naturkostläden (hier vor allem die Bio-Supermärkte) und die Drogeriemärkte von dem „Bio-Boom" profitieren können.

Ungebremstes Bio-Wachstum

Der „Bio-Boom" in Deutschland hält nun schon das dritte Jahr in Folge an, was auch deswegen besonders bemerkenswert ist, als sich die Einkommen der Verbraucher in den letzten drei Jahren real kaum verändert haben. Dies zeigt, dass deutsche Verbraucher keineswegs nur Billig-Lebensmittel kaufen wollen, sondern im Jahr 2006 bereit waren, im Vergleich zum Vorjahr 18 Prozent mehr Geld für Öko-Lebensmittel auszugeben. Von diesem positiven Gesamttrend profitieren aber immer weniger Anbieter, d.h. es gibt starke Strukturverschiebungen im Gesamtmarkt.

Die Tabelle verdeutlicht die Entwicklungen der Öko-Lebensmittelumsätze (ohne Außer-Haus-Verzehr) in Deutschland seit 2000. In absoluten Umsätzen haben alle aufgeführten Absatzkanäle von dem Marktwachstum profitiert. Das unterschiedliche Ausmaß der Gewinner am Öko-Markt wird deutlich, wenn man die Marktanteile betrachtet.

Große Anteile am Öko-Markt haben seit 2000 der allgemeine Lebensmittelhandel (einschließlich Discounter) und die „Sonstigen" (vor allem Drogeriemärkte) hinzugewonnen. Im Vergleich von 2006 zu 2005 hat nur der allgemeine Lebensmitteleinzelhandel (einschließlich Discounter) seine Bedeutung am Öko-Markt ausgebaut.

Beim absoluten Umsatzwachstum konnten auch die Naturkostfachgeschäfte von 2005 auf 2006 um fast 100 Millionen Euro zulegen und erstmals die Grenze von einer Milliarde Umsatz überspringen.

Hinter diesen Zahlen verbergen sich sowohl beim allgemeinen LEH als auch beim Naturkostfachhandel größere Umwälzungen. Beim LEH haben 2006 die Discounter insgesamt am stärksten zugelegt und insbesondere Verbrauchermärkten Marktanteile abgenommen. Allerdings zeigte sich in jüngster Zeit auch, dass Öko-Lebensmittel im Discounter nicht an jedem Standort und nicht von alleine zum Selbstläufer werden.

Sehr hohe zweistellige Umsatzsteigerungen im bestehenden Sortiment wurden von selbstständigen Einzelhändlern insbesondere der Edeka und von kleineren Handelsketten mit starkem Öko-Engagement der Geschäftsführung gemeldet.

Starke strukturelle Veränderungen finden auch zwischen den Naturkostläden statt. Während 2006 viele größere Naturkostläden zweistellige Wachstumsraten beim Umsatz zu verzeichnen hatten und wieder zahlreiche neue Bio-Supermärkte eröffnet wurden, mussten viele kleinere Naturkostläden trotz des starken Marktwachstums für immer geschlossen werden, weil sie dem Wettbewerb mit dem allgemeinen Lebensmittelhandel und der steigenden Zahl von Bio-Supermärkten nicht standhalten können.

Exakte Angaben über solche Ladenschließungen sind zwar nicht verfügbar. Wenn man aber die Adressdateien von regionalen Verkaufstellenverzeichnissen aus den Jahren 2002 bis 2004 stichprobenartig überprüft, so ergibt sich daraus ein Rückgang in der Zahl der Geschäfte, der auch dann noch im zweistelligen Prozentbereich liegen dürfte, wenn man unterstellt, dass einige Läden nur den Standort gewechselt haben.

Weniger Direktvermarktung

Ein noch stärkerer Strukturwandel vollzieht sich bei den landwirtschaftlichen Erzeugern. Auch hier führt die steigende Zahl von Verkaufsstellen im allgemeinen Lebensmittelhandel dazu, dass viele meist kleinere landwirtschaftliche Unternehmen den Verkauf an Endverbraucher einstellen, weil er sich kaum noch lohnt.

Wenn Eier, Kartoffeln, Möhren, Äpfel und Milch aus dem Öko-Landbau praktisch in fast allen Supermärkten und Discountern zu günstigen Preisen angeboten werden, dann nehmen immer weniger Verbraucher extra Wege zu Landwirten auf sich, um diese klassischen Direktvermarktungsprodukte einzukaufen.

Größere Hofläden, die ein breites Sortiment und darüber hinaus betriebliche und regionale Spezialitäten anbieten, konnten demgegenüber auch 2006 ein deutliches Umsatzwachstum verzeichnen. Insbesondere Öko-Fleisch, das nur in wenigen Geschäften des allgemeinen Lebensmittelhandels frisch verkauft wird, ist in den letzten Jahren zu einem großen „Umsatzbringer" für die landwirtschaftlichen Erzeuger geworden.

Insgesamt dürfte aber der Umsatz aller landwirtschaftlichen Direktvermarkter (einschließlich Wochenmärkte) 2006 zum zweiten Mal in Folge rückläufig gewesen sein.

Unter der zunehmenden Verfügbarkeit von Öko-Brot und -Backwaren in immer mehr Einkaufsstätten hat 2006 auch der Umsatz der Bäckereien gelitten, die deutlich an Marktanteilen verloren haben. Bei dem zweiten Hauptvertreter des Lebensmittelhandwerks, den Fleischereien, bremsten zwar zunehmende Angebotsengpässe das Wachstum der Angebotsmenge, führten aber gleichzeitig zu steigenden Preisen, so dass der Umsatz insgesamt noch ausgedehnt werden konnte.

Reformhäuser haben dagegen schon im zweiten Jahr in Folge beträchtliche Umsatzeinbußen (nicht nur im Öko-Lebensmittelbereich) hinnehmen müssen. Der einstige Pionier der Vermarktung von Öko-Lebensmitteln, der im Jahr 2000 noch über einen 10-prozentigen Marktanteil verfügte, hat es offensichtlich nicht geschafft, bestehende Kunden nachhaltig an sein Verkaufskonzept zu binden bzw. genügend jüngere Neu-Kunden zu gewinnen.

Das in den Jahren 2003 bis 2005 stürmische Umsatzwachstum der Drogeriemärkte, das im Wesentlichen durch den Neu-Einstieg einiger Ketten und die beträchtliche Sortimentsausweitung bestehender Ketten erzielt wurde, hat sich 2006 deutlich verlangsamt. Auch hier scheint der direkte Wettbewerb mit dem allgemeinen LEH und Bio-Supermärkten härter geworden zu sein.

Das Umsatzwachstum mit Öko-Lebensmitteln insgesamt hätte 2006 deutlich höher ausfallen können, wenn nicht zunehmende Versorgungsengpässe die Sortimentsausweitung gebremst hätten. Das in den letzten drei Jahren starke Wachstum der Verbrauchernachfrage nach Öko-Lebensmitten hat sich bislang nicht auf die Bereitschaft einer steigenden Zahl deutscher Landwirte ausgewirkt, ihre Betriebe auf den Öko-Landbau umzustellen. Offensichtlich üben die staatlichen Abnahme- und Preisgarantien für die so genannte grüne Energie auf die Landwirte eine höhere Anziehungskraft für Investitionen aus als die Marktnachfrage der Verbraucher nach Öko-Lebensmitteln.

Die Beschaffung von Öko-Lebensmitteln wird daher 2007/2008 das beherrschende Thema im Handel mit Öko-Lebensmitteln bleiben, denn ein Ende des deutschen „Bio-Booms" ist nicht in Sicht. Auch in unseren Nachbarländern (z.B. in Österreich, Dänemark und den Niederlanden) verzeichnete der Umsatz mit Öko-Lebensmitteln 2006 sehr hohe Zuwachsraten.

Entgegen der Wünsche vieler Verbraucher und zunehmend auch der Einkäufer einiger Handelsketten wird daher den Anbietern in Deutschland nichts anderes übrig bleiben, als die steigende Nachfrage nach Öko-Lebensmitteln zunehmend durch Rohstoffimporte aus osteuropäischen EU-Ländern und Drittländern zu decken.

Markus Rippin

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