Thema: Lebensmittelherkunft
Rückverfolgbarkeit als Konsumentenservice und Marketinginstrument
„Wo kommen meine Lebensmittel her?" - wer als Endverbraucher diese Frage stellt, interessiert sich offenbar für die Herkunft seiner Nahrung, gehört also zu einer für den qualitätsorientierten Handel wichtigen Käuferschicht. Zum anderen lässt die Frage den Keim eines Misstrauens spüren: der Kunde kann oder möchte dem Händler nicht blind vertrauen, er möchte nachprüfen, ob seine Vorstellung mit der Realität übereinstimmt.
Stellen wir uns eine konkrete Situation vor: Kunde P. Meier kommt mit einen Bund Bio-Möhren in der Hand in das Büro von Marktleiterin W. Clausen und fragt nach der Herkunft des Gemüses. Welche der folgenden Reaktionen wirkt überzeugender?
„Unser Obst- und Gemüsebereich verfügt über ein zertifiziertes Rückverfolgbarkeitssystem vom Feld bis zur Ladentheke. Die Angaben von Erzeugern und Lieferanten werden in ein komplexes EDV-System eingespeist. Mitarbeiter der Qualitätssicherung können die Herkunft jeder Charge innerhalb kurzer Zeit ermitteln."
„Geben Sie den Bund Möhren einmal her. Sehen Sie die Nummer auf dem Etikett? Die geben wir hier im Internet ein – das können Sie auch zu Hause machen. Wir klicken auf OK, da haben wir schon den Abpackbetrieb und hier den Öko-Landwirt, der diesen Bund Möhren angebaut hat. Seine Adresse ist auch angegeben – möchten Sie ihn besuchen?"
Beide Male zeigt die Marktleiterin, dass das Unternehmen die Herkunftssicherung im Griff hat. Dem Kunden allerdings mag die zuletzt genannte Antwort eher im Gedächtnis bleiben.
Wer die Herkunft so anschaulich belegen möchte wie eben beschrieben, wird über ein funktionierendes System zur stufenübergreifenden Rückverfolgbarkeit verfügen oder ein solches einrichten müssen. Soll das Ergebnis per Mausklick zur Verfügung stehen, müssen die Daten aus allen Stufen zudem kompatibel sein und in Echtzeit zentral zusammen geführt werden.
Die Präsentation einer umfassenden Herkunftsbeschreibung im Internet anhand von Produktcodes ist also wie die Spitze eines Eisbergs: Der marketingwirksame letzte Schritt eines Rückverfolgbarkeitssystems über die Wertschöpfungskette.
Seit 2005 verpflichtet die EU-Verordnung 178/2002 jedes Unternehmen, das mit Nahrungs- oder Futtermitteln handelt, den Lieferanten sowie den Abnehmer seiner Ware zu dokumentieren. Freiwillige Systeme von EurepGAP über QS bis hin zu firmenindividuellen Lösungen verfolgen zudem den Weg der Ware vom Landwirt bis an die Ladentheke stufenübergreifend und chargenbezogen.
Der Aufwand für alle beteiligten Unternehmen ist beträchtlich, die Kunden profitieren von einem Plus an Sicherheit. Für den Verbraucher allerdings ist von all dem nur wenig sichtbar, denn bisher verstehen Systemanbieter, Hersteller und Händler die konkrete Rückverfolgbarkeit meist als interne Maßnahme.
Vorreiter Rind und Ei
Bei unverarbeitetem Rindfleisch und bei Eiern herrscht bereits heute teilweise gesetzlich verordnete Transparenz. Im Jahr 2000, als die BSE-Krise noch im Bewusstsein von Medien und Menschen war, trat die Rindfleischetikettierungsverordnung in Kraft. Seither muss auf jedem Stück Rindfleisch die Referenznummer des Tieres angegeben werden, außerdem die Zulassungsnummer des Schlacht- und Zerlegebetriebs. Für verarbeitete Ware allerdings gelten diese Regeln nicht.
Bei Schaleneiern sind aufgedruckte Herkunftscodes seit 2004 Pflicht. Nicht in jedem Fall der Legehennenhalter, jedoch immerhin die Packstelle wird so eindeutig feststellbar, zudem Herkunftsland und Haltungsform. Am Markt verbreitet war der Herkunftsnachweis auf der Schale bereits zuvor – KAT sei Dank. Der Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsverfahren (KAT) vergibt sein Gütesiegel an Eier aus Boden-, Freiland und Biohaltung.
Seit fünf Jahren wird die Betriebsnummer bereits beim Erzeuger auf alle KAT-zertifizierten Eier geprintet. Mit jährlich rund 400 Millionen Stück hat der Verein nach eigenen Angaben auch rund 90 Prozent der Bioeier im System. Doch was steht auf dem Ei? Die Frage als Adresse (www.was-steht-auf-dem-ei.de) im Internet eingegeben führt über die auf dem Ei geprintete Nummer zur Anschrift des KAT-geprüften Herkunftsbetriebs.
Das Angebot, hat sich bewährt: rund 1.000 mal wird die Homepage jeden Tag aufgerufen. Geraten Eier mit negativen Schlagzeilen in die Presse, schnellen die Zugriffszahlen nach oben. Daneben rufen regelmäßig Verbraucher an und berichten von tatsächlichen oder empfundenen Unregelmäßigkeiten. Der Verein verfolge solche Hinweise durchaus weiter, versichert KAT-Geschäftsführer Caspar von der Krone: „Ich sehe auch den Verbraucher als Teil der Qualitätssicherung."
KonventionellerHandel auf der Überholspur?
Gerade einmal acht Prozent der KAT-kontrollieren Eier stammen aus Bio-Haltung. „Der konventionelle LEH ist im Moment auf der Überholspur," schätzt Branchenberater Jürgen Michalzik die Situation ein. Das bestätigt ein Blick auf weitere Vorreiter: Hofer, das österreichische Schwesterunternehmen von Aldi, führt „Zurück zum Ursprung" als Premiummarke für Molkereiprodukte.
Mithilfe der Chargennummer findet der Käufer auf der bebilderten Homepage www.zurueckzumursprung.at eine detaillierte Darstellung der Produktherkunft. Erzeugung und Verarbeitung der Produkte sind konventionell, befolgen jedoch über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehenden Richtlinien.
Für Rückverfolgbarkeit und die Kontrolle der Betriebe steht das Siegel „Prüf nach!"von Werner Lampert gerade. Im österreichischen Bio-Sektor ist Lampert kein Unbekannter, beim Aufbau der Bio-Handelsmarke ja!natürlich für die Handelsketten Merkur und Billa verantwortete er Aufbau und Kommunikation der Marke.
Seit 2006 veröffentlicht der Tiefkühlkosthersteller Iglo die Herkunft seines Rahmspinats. Chargengenau können die Erzeuger online recherchiert werden, dabei ergänzen Fotos und Zitate der Bauern die kurzen Infotexte. Für das bisher zwei Produkte umfassende Biosortiment ist dieser Service bisher nicht vorgesehen.
Auch die Großen im deutschen Lebensmittelhandel sind aktiv: im Metro Group Futurestore, dem Testmarkt des Konzerns, können Kunden die Herkunft von Eiern und seit Mitte 2006 auch von einzelnen Obst- und Gemüseartikeln in mehreren Computerterminals erfragen. Derzeit lassen sich abgepackte Kartoffel, Äpfel, Zwiebel und Kiwi anhand der aufgedruckten Los- und Herkunftsnummern bis zum Acker zurückverfolgen.
Erste Befragungen weisen auf großes Kundeninteresse hin. „Entscheidend scheint weniger eine regelmäßige Nutzung des Angebots zu sein als vielmehr der psychologische Faktor, dass der Konsument jederzeit die Möglichkeit hätte, die Herkunft zu kontrollieren," sagt Albrecht von Truchseß, Pressesprecher der Metro AG. Vor einer Entscheidung über die künftige Nutzung des Systems im Unternehmen müsse der Testlauf jedoch gründlich ausgewertet werden.
Obst mit Herkunft
Der Biosektor merkt ebenfalls, dass Öko-Kontrollen und Imagekampagnen allein das Verbrauchervertrauen im anonymen Lebensmittelhandel nicht dauerhaft erhalten. Frutura als Österreichs größter Händler für Obst und Gemüse aus Bioanbau beliefert unter anderem die Zentralen von Hofer und Spar. Ab August diesen Jahres sollen Einzelhandel und Verbraucher die Herkunft aller Frutura-Produkte bis zum Ursprungsfeld online zurückverfolgen können.
Intern sei die Rückverfolgbarkeit bereits seit sechs Jahren aufgebaut worden, berichtet Manfred Hohensinner, Geschäftsführer des Unternehmens und selbst Bioproduzent. „Auch die Bauernkollegen sollten sich mit ihrem Produkt identifizieren." beschreibt er einen seiner Gründe für den Aufbau der Herkunftssicherung.
Die Datenverarbeitung basiert auf dem Programm Bio-Tracey von intact, als Codenummern dienen die EAN-Barcodes, mit denen die Produkte etikettiert werden. Frutura kauft direkt von Vertragsanbauern im In-und Ausland, zudem werden sämtliche Produkte selbst verpackt. Dies vereinfache Auszeichnung und Dokumentation erheblich, betont der Händler. In Süddeutschland listet Aldi seit November 2006 testweise Frutura-Ware in einigen Filialen.
Belgische, italienische, französische und englische Produzenten bieten ökologisches Obst und Gemüse über den Vermarkter Mandala an (www.mandalaorganicgrowers.com). Mit dem internetbasierten Programm Organic Ecology halten nicht nur die Landwirte ihre Daten auf dem neuesten Stand, auch der Konsument hat über den Code auf dem Produktetikett Zugriff auf Angaben zum Erzeugerbetrieb und produktrelevante Einzelheiten des Anbaus.
Übergreifende Lösungen
Einzelne Produkte, einzelne Hersteller, einzelne Handelsketten: bei öffentlichen Herkunftsnachweisen herrschen Einzellösungen vor. Jedes Angebot umfasst eine eigene Internetseite, nutzt unterschiedliche Programme, braucht eigene Öffentlichkeitsarbeit.
Inzwischen gibt es erste übergreifende Angebote: Sowohl bei Bio mit Gesicht als auch bei Nature & More kann der Verbraucher eine auf dem Produkt aufgebrachte Codenummer online eingeben, um den Erzeuger oder Hersteller des gekauften Produktes im Internet zu besuchen.
Bio mit Gesicht
Einen gemeinsamen Datenstandard für die Rückverfolgbarkeit von Bioprodukten, einen gemeinsamen Auftritt nach außen und einen Vertrauensvorsprung für Verbandsware beabsichtigt die Bio mit Gesicht GmbH, eine gemeinsame Initiative des Forschungsinstituts für biologischen Landbau e.V. (FiBL), des Naturlandverbands, der Erzeugergemeinschaft Marktgesellschaft der Naturland-Betriebe und des hessischen Einzelhändlers Tegut.
Chargengenau kann der Kunde recherchieren, wer seine Lebensmittel erzeugt hat und wo sie verarbeitet wurden. Frank Wörner, Geschäftsführer der Bio mit Gesicht GmbH, betont die hersteller- und produktübergreifenden Einsatzmöglichkeiten des Systems: „Der frei verfügbare Datenstandard OrganicXML dient als Schnittstelle. So können wir auf Daten aus den bestehenden Rückverfolgbarkeitssystemen der Erzeuger, Verarbeiter und Händler zurückgreifen."
Auch verarbeitete Produkte sind in das System eingebunden. Dafür müssen allerdings alle Betriebe, die Vorprodukte liefern, ebenso wie das etikettierende Unternehmen Lizenznehmer sein.
Umfassend ist auch der Anspruch an die Verbraucherinformation auf www.bio-mit-gesicht.de: Über die Adresse des Erzeugers hinaus erhält der Kunde online ein bebildertes Betriebsportrait, zudem Anschrift und Beschreibung aller weiteren Unternehmen, die das Lebensmittel auf seinem Weg verarbeitet haben. Bisher sind rund 200 Unternehmen registriert.
Im System erfasst wird Ware sämtlicher Anbauverbände. Bei den Abnehmern gibt sich Bio-mit-Gesicht wählerisch: Gekennzeichnete Ware wird nur an Systemteilnehmer vermarktet, Discounter werden nicht aufgenommen. Bisher wird Bio-mit-Gesicht-Ware über tegut und den Berliner Großhandel Terra angeboten.
Für Guido Fröhlich, Fachmann für Qualitätssichterung bei tegut, ist klar: „Die Kunden brauchen einen Händler, dem sie vertrauen." Kundenbefragungen nach der Einführung der ersten acht Bio-mit-Gesicht-Produkte hätten ergeben, dass die Glaubwürdigkeit der Lebensmittel mit der Kennzeichnung um 65 Prozent gestiegen sei. Viele dieser Kunden seien gar nicht interessiert daran gewesen, die Produktherkunft auf der Internetseite nachzulesen.
Den Erzeuger sichtbar zu machen ist eine Sache, eine besondere Qualität zu kommunizieren eine andere.
Die Ende 2004 gegründete niederländische Stiftung Nature & More verbindet beides. Neben einer ausführlichen Beschreibung der Erzeugerbetriebe liefert die Homepage www.natureandmore.com dem Endkunden eine Art Betriebsprofil. Mitarbeiter der Stiftung schätzen ein, in welchen Bereichen die Erzeuger über ihre Verpflichtung als Biobetrieb hinaus positiv wirken. Dabei fließen Bemühungen um Bodenfruchtbarkeit, Umweltpflege, aber auch soziale Maßnahmen in ein Punktesystem ein.
Geschäftsführer Hugo Skoppek sieht Nature & More als freiwillige Selbstdarstellung der Erzeuger mit ihren besonderen Stärken. Bei der Auditierung gehe es daher vor allem darum, Aussagen der Anbauer zu verifizieren. Für die Dokumentation der Produktherkunft hat man den gegenüber einer stufenübergreifenden Chargenrückverfolgbarkeit einfacheren Weg gewählt, die Produkte beim Erzeuger mit Etiketten zu versehen, die neben einem Hinweis auf die Internetseite die Betriebsnummer tragen.
Zu finden ist das Logo bisher vor allem im Bereich Obst. Zu den Nutzern des Systems zählen der niederländische Großhändler Eosta und organic farm foods aus England. Bei der Aufnahme verarbeiteter Produkte in das System ist die Stiftung nach Testläufen mit Produkten der Hersteller Lebensbaum, Voelkel und Naturata-Spielberger zurückhaltend. „Hier kann der Markt die zusätzlichen Kosten für die Auditierung der zahlreichen Erzeuger aller Einzelzutaten häufig nicht tragen," so Skoppek.
Nur mit dem Handel
Der Aufwand für den Handel, BtoC-Systeme der Rückverfolgbarkeit zu nutzen, ist unterschiedlich. Ist der Handel lediglich Abnehmer von Lebensmitteln, deren Ursprung dokumentiert wird, landet die Ware ohne wesentlichen Zusatzaufwand im Regal.
Für ein System wie Bio mit Gesicht, das den gesamten Weg der Ware nachvollzieht, gelten andere Regeln. Guido Fröhlich (tegut) hält den Aufwand zur konsequenten Umsetzung für groß. Der Händler müsse nicht nur möglichst viele seiner Lieferanten zur Teilnahme verpflichten, damit verbunden sei zum Teil auch eine Festlegung auf einen begrenzten Kreis von Zulieferern. Doch er ist überzeugt, dass sich der Aufwand lohnt: „Je mehr der Markt boomt, desto mehr braucht er so ein System."
Wie profitiert der Handel davon, dass der Kunde dem Erzeuger zumindest virtuell ins Gesicht gucken kann? „Nur in Einzelfällen wird der Verbraucher die Herkunft der Produkte tatsächlich nachprüfen" so Fröhlich. Im Kern sei das System nichts anderes als eine vertrauensbildende Maßnahme. Berater Michalzik bestätigt in Bezug auf die Herkunftssicherung: „Der Verbraucher muss sich auf die Marken verlassen, aber er muss wissen, dass er das nachvollziehen könnte."
Dass die Kommunikation der Warenherkunft zum Verbraucher sich durchaus auszahlen könnte, weiss Tilman Becker. Der Leiter des Instituts für Agrarpolitik und Landwirtschaftliche Marktlehre an der Universität Hohenheim schätzt die Zahlungsbereitschaft des Konsumenten für Rückverfolgbarkeit auf fünf bis 20 Prozent.
Axel Wirz vom Food und Agrar Marketing Service betonte auf einem Expertenworkshop am FiBL, Rückverfolgbarkeit an sich sei kein Qualitätskriterium. Vielmehr diene es als aktiver Nachweis von Produktversprechen und Werbeaussagen. Aus Marketingsicht hänge der Nutzen der Rückverfolgbarkeit davon ab, überprüfbare und belastbare Aussagen mit einem klaren Absender kommunizieren zu können. Für bestens geeignet hält der Marketingberater das Instrument zum Aufbau von Handels- und Herstellermarken.
Florian Gerlach